Grabbe

[194] Grabbe, Christian Dietrich, dramat. Dichter, geb. 11. Dez. 1801 in Detmold, wo sein Vater Zuchthaus- und Leihbankverwalter war, gest. daselbst 12. Sept. 1836, erhielt eine ungeregelte Erziehung und gewann auch durch die Stellung des Vaters frühzeitig peinliche Eindrücke. Doch trieb er mit Eifer wissen schaft liche Studien und fühlte sich namentlich von den griechischen Tragikern und Aristophanes angezogen. Mehr dem Wunsch seiner Eltern als eigner Neigung folgend, bezog er die Universität Leipzig, um die Rechte zu studieren, und setzte dieses Studium seit 1821 in Berlin fort, wo er zugleich mit Heine, L. Robert u.a. auf vertrautem Fuße stand. Ein kurzer Aufenthalt in Dresden galt dem Versuch, als Schauspieler einen Ausweg für die Gärung seines Wesens zu gewinnen. Tieck, der sich für G. infolge seiner Dichtung »Gotland« lebhaft interessierte, vermochte doch der forcierten Genialität und der unliebenswürdigen Außenseite Grabbes keinen entsprechenden Lebensweg zu eröffnen. G. kehrte nach Detmold zurück, wurde hier 1827 Auditeur beim lippeschen Militär, ergab sich aber mancherlei Extravaganzen und schloß 1833 eine durchaus unglückliche Ehe mit der Tochter des Archivrats Clostermeier. Das Mißverhältnis zwischen dem Selbstgefühl seines Talents und der beengten äußern Stellung in kleinstädtischen Verhältnissen zerrüttete seine Lage innerlich, ließ seine Trunkleidenschaft stärker anwachsen und führte zu schweren häuslichen Zerwürfnissen und einer wachsenden Verstimmung zwischen ihm und seinen Behörden. Statt der nachgesuchten Hauptmannsstelle erhielt er einen Verweis wegen Vernachlässigung seiner Dienstgeschäfte und endlich halb mit, halb gegen seinen Willen seine Entlassung. Er begab sich zunächst nach Frankfurt und wandte sich von da aus an Immermann in Düsseldorf um Hilfe für sich und seine bejahrte Mutter. Immermann lud ihn zu sich ein und vermittelte ihm eine bescheidene Existenz. Anfangs schien G. ein neues Leben beginnen zu wollen, er versuchte sich auch als Theaterkritiker und schrieb »Das Theater in Düsseldorf« (Düsseld. 1835), bald aber versank er wieder in sein früheres wüstes Treiben und war nun rettungslos verloren. Mit völlig zerrütteter Gesundheit kehrte er in seine Vaterstadt zurück, versöhnte sich mit seiner Gattin und starb in deren Armen. G. gab zuerst eine Sammlung von Dramen und dramatischen Skizzen heraus u. d. T.: »Dramatische Dichtungen« (Frankf. 1827, 2 Bde.). Ein Brief Tiecks über das Hauptwerk der Sammlung war dem Buch, vom Dichter antikritisch glossiert, beigedruckt. Dieses Hauptwerk ist das Trauerspiel »Herzog Theodor von Gotland«, eine Dichtung, alles Geschmacks und aller Grenzen der Schönheit spottend, wild und wüst, aber der Anlage, den Gedanken, dem sprachlichen Ausdruck nach kolossal. Das Fragment »Marius und Sulla« ist ein Werk voll großen historischen Geistes und wahrhaft gewaltiger Anlage. Unbedeutend ist das tragische Spiel »Nannette und Marie«, voll tollen, drolligen Humors das mit kühner Selbstverspottung schließende ironisch-humoristische Lustspiel »Scherz, Satire, Ironie und tiefere Bedeutung«. Hierauf folgten die kühn erfundene Tragödie »Don Juan und Faust« (Frankf. 1829), die Hohenstaufen-Dichtungen: »Kaiser Friedrich Barbarossa« (das. 1829) und »Kaiser Heinrich VI.« (das. 1830), das grandios ausgeführte Gemälde »Napoleon oder die Hundert Tage« (das. 1831), das dramatische Märchen »Aschenbrödel« (Düsseld. 1835) und die fragmentarische, in vielen Zügen geniale Tragödie »Hannibal« (das. 1835). »Die Hermannsschlacht«, herausgegeben von E. Duller (Düsseld. 1838, mit dem Leben Grabbes), erschien erst nach Grabbes Tod. Sämtliche genannte Tragödien heben die Charakteristik der Handlung gegenüber derart hervor, daß sie von Haus aus für die Bühne völlig unbrauchbar erschienen. Aber auch die Charakteristik, obwohl blitzartig genial, frappant, oft scharf und epigrammatisch, enthält viel Gemachtes und gewaltsam Bizarres. Beinahe sämtliche Charaktere Grabbes entbehren der Wurzeln im Boden der Natur, so daß sie wohl blenden, interessieren, aber niemals tiefern Anteil erwecken können. Die Massenbewegungen in Grabbes Dramen sind voll Leben und energischer Farbengebung. Sammlungen seiner Werke erschienen von R. Gottschall (Leipz. 1870, 2 Bde.), O. Blumenthal (»Sämtliche Werke und handschriftlicher Nachlaß«, Berl. 1874, 4 Bde.); die beste, mit textkritischen Anhängen und der Biographie des Dichters, von E. Grisebach (das. 1902, 4 Bde.). Vgl. außerdem E. Willkomms Charakteristik Grabbes in den »Jahrbüchern für Drama, Dramaturgie und Theater«, Bd. 1 (Leipz. 1837); R. v. Gottschall, Christian Dietrich G. (in Reclams Universal-Bibliothek); Immermann, Memorabilien (Hamb. 1843, 2 Bde.); K. Ziegler, Grabbes Leben und Charakter (das. 1855) und die Biographie von E. Behrens: En tysk Digter Christ. Dietr. G., hans liv og digtning (Kopenh. 1903).

Quelle:
Meyers Großes Konversations-Lexikon, Band 8. Leipzig 1907, S. 194.
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