Heimatkunst

[83] Heimatkunst ist ein etwa seit 1897 aufgekommenes ästhetisches Schlagwort, durch das die Forderung ausgedrückt werden soll, daß die Gebilde der Poesie und bildenden Kunst aus dem Heimatsboden ihrer Schöpfer hervorwachsen, daß sie Land und Leute, Zustände und Begebenheiten des Gebietes spiegeln sollen, in dem der Künstler oder Schriftsteller wurzelt und heimisch ist. Gegenüber der Decadence oder der papiernen Literatur- und Theatermache der Großstädte bildet die H. eine gesunde Reaktion; ihre Anhänger fordern, daß der Künstler das gestalte, was er innerlich versteht, was er erlebt, beobachtet oder mit verständnisvollem Anteil als seiner eignen Art entsprechend nachempfunden hat, und vor allem das,[83] was er mit treuem und liebendem Herzen umfaßt. Die H. unterscheidet sich von der rein örtlichen Schriftstellerei durch ihre weitern Gesichtspunkte, von der Volksschriftstellerei durch den Verzicht auf lehrhafte Tendenz und die Reinheit ihrer ästhetischen Ziele. Anderseits kann sie durch die Enge ihres provinziellen Charakters leicht ungeeignet werden zur Bewältigung der großen Probleme des Zeitlebens; sie bildet daher nur die Vorstufe zu einer alle Landesteile gleichmäßig bewegenden Nationalkunst und den Gegensatz zur Weltliteratur, in die nur solche Werke eingehen, die kraft ihres idealen und künstlerischen Gehaltes der ganzen Kulturmenschheit bedeutsam sind. Die H. ist übrigens weit älter als ihr Name. Zu ihr zu rechnen sind von ältern Dichtern vor allem Uhland und andre Männer der schwäbischen Schule; große Heimatkünstler sind Jeremias Gotthelf und Theodor Fontane; aber auch Klaus Groth, Fritz Reuter, Anzengruber, Rosegger, Otto Ludwig, Gottfried Keller u. a. gehören hierher, von neuern mit bewußter Tendenz A. Bartels, F. Lienhard, Sohnrey, Flaischlen und als der namhafteste von allen Frenssen, aber auch bei Hauptmann, Sudermann, Halbe, Liliencron, Avenarius etc. finden sich mehr oder minder starke Berührungen mit der H., und unter den bildenden Künstlern sind in eben diesem Sinne vor allem die Worpsweder zu nennen. Vgl. A. Bartels, Heimatkunst (Berl. 1904).

Quelle:
Meyers Großes Konversations-Lexikon, Band 9. Leipzig 1907, S. 83-84.
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