Uhland

[872] Uhland, 1) Johann Ludwig, hervorragender Dichter und Literaturforscher, geb. 26. April 1787 in Tübingen, gest. daselbst 13. Nov. 1862, besuchte Gymnasium und Universität seiner Vaterstadt und studierte 1802–1808 die Rechte, neben diesem Studium das der mittelalterlichen Literatur, namentlich der deutschen und französischen Poesie, pflegend. Schon damals veröffentlichte er einzelne Gedichte (zum Teil unter dem Pseudonym Volker). 1810 unternahm er eine mehrmonatige Reise nach Paris, wo er auf der Bibliothek dem Studium altfranzösischer und mittelhochdeutscher Manuskripte jedenfalls eifriger oblag als dem des Code Napoléon, das der ursprüngliche Zweck seiner Reise war. Heimgekehrt, widmete er sich dann, wenn auch halb mit innerm Widerstreben, in Stuttgart der Advokatur. Sein patriotischer Sinn jauchzte den Ereignissen der Befreiungskriege, die er als rheinbündischer Württemberger nur mit Wünschen und Hoffnungen begleiten konnte, freudig entgegen. Bald darauf veröffentlichte er die erste Ausgabe seiner »Gedichte« (Stuttg. 1815), die in den spätern Auflagen noch durch wertvolle Stücke bereichert wurde. U. erscheint hier als der Vollender der glücklichsten und heilsamsten Bestrebungen der jüngern Romantik. Nicht nur die Vorliebe für mittelalterliches Leben und das Beste der mittelalterlichen Anschauungen, nicht nur die nationale, sondern vor allem die echt volkstümliche Gesinnung übernahm er von dieser, und in der wunderbar tiefen und poetischen Erfassung des Volkstümlichen liegt vor allem das Geheimnis von Uhlands unvergänglicher Wirkung. Hiermit verband er eine einfache, höchst knappe Prägnanz der Form, die so wie er nur noch Goethe und Heine erreicht haben. U. ist aber keine so ausgeprägte Individualität wie diese Dichter; durch seine unbedingte Hingabe an das Denken und Fühlen der Gesamtheit sind die individuellen Züge zurückgedrängt; es fehlen die leidenschaftlichen Erschütterungen seines Ich; dafür aber fesselt er uns durch Geradheit, Treue und Klarheit des Charakters, die ihn als einen edlen Typus des germanischen Menschen erscheinen lassen; nur ist er, besonders in seiner Frühzeit, von einem gewissen Hinneigen zu altfränkisch spießbürgerlicher Rührseligkeit nicht freizusprechen. Mit all diesen Eigenschaften hängt es zusammen, daß U. ein viel größerer Romanzen- als Liederdichter ist. Seine Romanzen bilden einen der köstlichsten idealen Schätze unsers Volkes; seine Lieder sind knapp, tief, wahr, von zartem Naturgefühl durchweht, aber an Zahl und an Mannigfaltigkeit des Inhalts etwas spärlich. Als Dramatiker ist U. ohne größere Bedeutung. Seine beiden dramatischen Werke: »Ernst, Herzog von Schwaben« (Heidelb. 1818) und »Ludwig der Bayer« (Berl. 1819), denen bei allen dichterischen Vorzügen die Energie spannender, vorwärts drängender Leidenschaft abgeht, errangen nur einen mäßigen Erfolg. Seit 1816 begannen die politischen Kämpfe und die ausgebreiteten wissenschaftlichen Forschungen den Dichter von größern Schöpfungen abzuziehen, und verhältnismäßig früh erlosch sein dichterisches Schaffen vollständig. U. beteiligte sich an dem Ringen um die württembergische Verfassung und gehörte später als Abgeordneter zur Ständekammer der freisinnigen Partei an. Seine Schrift über »Walter von der Vogelweide« (Stuttg. 1822) bekundete ihn als so feinsinnigen Kenner und Forscher der mittelalterlichen Literatur, daß bei vielen der Wunsch immer lebhafter wurde, ihn auf einem Lehrstuhl für seine Lieblingswissenschaften zu erblicken. Mit seiner 1829 erfolgten Ernennung zum Professor der deutschen Literatur an der Universität Tübingen ward dieser Wunsch erfüllt. Uhlands Lehrtätigkeit erfreute sich der reichsten Wirkung. Aber bereits 1832, als ihm die Regierung den Urlaub zum Eintritt in die Ständekammer verweigern wollte, legte er seine Professur nieder. Vor äußern Lebenssorgen namentlich auch seit seiner sehr glücklichen Ehe mit Emilie Vischer völlig gesichert, teilte er fortan seine Zeit zwischen der ständischen Wirksamkeit und seinen wissenschaftlichen Arbeiten. 1839 legte er sein Mandat als Abgeordneter nieder, und erst die Bewegungen des Jahres 1848 rissen ihn wieder aus seiner frei erwählten Zurückgezogenheit. Als Abgeordneter zur ersten deutschen Nationalversammlung der Linken angehörig, stimmte er gegen das Erbkaisertum, hielt auf seinem Posten bis zur Auflösung der Nationalversammlung aus und begleitete noch das Rumpfparlament nach Stuttgart. Von 1850 an zog er sich wieder nach Tübingen zurück, eifrig mit der Vollendung jener wissenschaftlichen sagen- und literaturgeschichtlichen Arbeiten beschäftigt, als deren Zeugnisse die Schriften »Über den Mythus von Thor« (Stuttg. 1836) und »Alte hoch- und niederdeutsche Volkslieder« (das. 1844, 2 Bde.; 3. Aufl. 1893, 4 Bde.) hervorgetreten waren. Alle äußern Ehrenbezeigungen konsequent ablehnend, in der schlichten Einfachheit seines Wesens und der fleckenlosen Reinheit seines Charakters von allen Parteien hochgeachtet, verlebte U. ein glückliches kräftiges Alter. Seine poetischen Werke wurden wiederholt als »Gedichte und Dramen« (Jubiläumsausgabe, Stuttg. 1886), seine wissenschaftlichen, geordnet und revidiert von Adalb. v. Keller, W. Holland und Franz Pfeiffer, als »Schriften zur Geschichte der Dichtung und Sage« (das. 1866–1872, 8 Bde.) herausgegeben. Die letztern brachten zum erstenmal jene vorzüglichen Tübinger Vorlesungen, die U. zwischen 1829 und 1832 über die »Geschichte der altdeutschen Poesie«, die »Geschichte der deutschen Dichtung im 15. und 16. Jahrhundert« und die »Sagengeschichte der germanischen und romanischen Völker« gehalten hatte. Alle diese Arbeiten lassen beim höchsten wissenschaftlichen Ernste den Dichter erkennen, der neben der wissenschaftlichen Methode und dem Forschereifer das künstlerische Verständnis und die feinste Mitempfindung für Volks- und Kunstdichtung, für den Zusammenhang von Dichtung und Mythe besaß. Eine neue Ausgabe von Uhlands »Gesammelten Werken« (nur eine Auswahl der wissenschaftlichen Arbeiten enthaltend) besorgte H. Fischer (Stuttg. 1892, 6 Bde.), eine gute Ausgabe der »Werke« (gleichfalls nur Auswahl), mit Biographie und Anmerkungen L. Fränkel (Leipz. 1893, 2 Bde.), andre: v. Gottschall (das. 1899), Holthof (Stuttg. 1901) u. a., eine kritische Ausgabe der »Gedichte« auf Grund des handschriftlichen Nachlasses Erich Schmidt und Jul. Hartmann (Stuttg. 1898, 2 Bde.). Uhlands »Tagebuch 1810–1820« gab J. Hartmann (Stuttg. 1897) heraus. Eine Statue (von G. Kietz) wurde U. 1873 in Tübingen errichtet. Vgl. K. Mayer, L. U., seine Freunde und Zeitgenossen (Stuttg. 1867, 2 Bde.); »Uhlands Leben«, aus dessen Nachlaß und eigner Erinnerung zusammengestellt von seiner Witwe (das. 1874); die biographischen Schriften von O. Jahn (Bonn 1863), Fr. Pfeiffer (Wien 1862), Notter (Stuttg. 1863), Dederich (Gotha 1886), Holland (Tübing. 1886), H. Fischer (Stuttg. 1887); Hassenstein, Ludwig U., seine Darstellung der Volksdichtung und das Volkstümliche in seinen Gedichten[872] (Leipz. 1887); Weismann, L. Uhlands dramatische Dichtungen erläutert (Frankf. 1863); Düntzer, Uhlands Balladen und Romanzen (2. Aufl., Leipz. 1890); Eichholtz, Quellenstudien zu Uhlands Balladen (Berl. 1879); Keller, U. als Dramatiker, mit Benutzung seines handschriftlichen Nachlasses (zahlreiche dramatische Entwürfe enthaltend, Stuttg. 1877); Maync, Uhlands Jugenddichtung (Berl. 1899); Moestur, Uhlands nordische Studien (das. 1902); A. Schmidt, Zur Entwickelung des rhythmischen Gefühls bei U. (Altenb. 1904); G. Schmidt, Uhlands Poetik (Frankf. a. M. 1906); Haag, Ludwig U. Die Entwickelung des Lyrikers etc. (Stuttg. 1907).

2) Wilhelm Heinrich, Ingenieur, geb. 11. Jan. 1840 zu Nordheim in Württemberg, gest. 30. Juli 1907 in Leipzig, begründete 1865 das Technikum Mittweida, die erste Privatlehranstalt für Maschinentechniker, 1868 das Technikum Frankenberg bei Chemnitz und lebte seit 1870 in Leipzig. Er gab für die Stärkefabrikation wesentliche Verbesserungen an und errichtete eine Versuchsstation mit vollständig fabrikmäßigem Betrieb und Lehrkursus. Auch lieferte er mehrere technische Kalender und schrieb: »Handbuch für den praktischen Maschinenkonstrukteur« (Leipz. 1883–86, 4 Bde. und Supplementband); »Die Corliß- und Ventildampfmaschinen« (das. 1879); »Skizzenbuch für den praktischen Maschinenkonstrukteur« (das., seit 1867, zum Teil in 2. Aufl.); »Dampfmaschinen mit Schiebersteuerung« (das. 1881); »Die Woolfschen und Compounddampfmaschinen« (das. 1882); »Die Hebeapparate« (Jena 1882–83, 2 Tle.); »Das elektrische Licht und die elektrische Beleuchtung« (Leipz. 1884); »Die Brotbäckerei, Biskuit- und Teigwarenfabrikation« (Jena 1885). Auch redigierte er die von ihm begründeten Zeitschriften: »Der praktische Maschinenkonstrukteur«, »Wochenschrift für Industrie und Technik«, »Technische Rundschau« u. a. (Leipz.).

Quelle:
Meyers Großes Konversations-Lexikon, Band 19. Leipzig 1909, S. 872-873.
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