Gotha

[155] Gotha, Hauptstadt des gleichnamigen Herzogtums, das seit 1826 mit Koburg zu dem Herzogtum Sachsen-Koburg-Gotha vereinigt ist, abwechselnd mit Koburg Residenz des Herzogs, in freundlicher Lage am Leinekanal (Leina), 308 m ü. M., hat fünf evang. Kirchen, darunter die Margareten- u. Augustinerkirche, eine kath. Kirche u. eine Synagoge. Das vornehmste Bauwerk der Stadt ist das auf dem 330 m hohen Schloßberg liegende, weithin sichtbare Schloß Friedenstein.

Wappen von Gotha.
Wappen von Gotha.

Es ward von 1643–46 an Stelle des zerstörten Schlosses Grimmenstein (s. S. 156) erbaut, dient zum Sitz mehrerer Landesbehörden, zur Aufbewahrung einer Bibliothek von 200,000 Bänden (darunter seltene Literaturschätze, ca. 8000 englische Patente und gegen 6000 Handschriften) und einer Münzsammlung (etwa[155] 75.000 Stück). Nach W., S. und O. hin wird der Friedenstein von einem ausgedehnten Park umrahmt. In diesem liegt das Neue Museum im reichsten Renaissancestil, mit den Sammlungen des Naturalien-, Antiken-, Kunst- und chinesischen Kabinetts, der Gemäldegalerie und Kupferstichsammlung. Von andern Gebäuden sind bemerkenswert: das herzogliche Palais im italienischen Villenstil mit Gemäldesammlung, nahebei der Marstall, das Palais Friedrichstal, der Orangerie gegenüber, das Theater (1837–39 erbaut), die Gebäude der Generalagentur der Feuerversicherung für Deutschland (1888 im deutschen Renaissancestil erbaut), der Feuerversicherungsbank, der Deutschen Grundkreditbank und der Lebensversicherungsbank, das altertümliche Rathaus am Markt, das Landschaftshaus etc. Interessant ist der Friedhof V mit der ersten deutschen Feuerbestattungshalle, mit Kolumbarium im griechischen Stil und Verbrennungsapparat (vgl. Wettig, Die Leichenverbrennung etc. in Gotha, 4. Aufl., Gotha 1902). Von den öffentlichen Denkmälern sind zu erwähnen: das Arnoldidenkmal, errichtet für den Finanzrat Arnoldi, Begründer der Feuerversicherungs- und der Lebensversicherungsbank für Deutschland in G., 2 Kriegerdenkmäler, Denkmäler des Fürsten Bismarck, des Malers Jacobs, des Naturforschers Blumenbach, des Komponisten Wandersleb, des Landgerichtsdirektors Sterzing als Mitbegründer des Deutschen Schützenbundes etc. Die Bevölkerung beläuft sich (1900) mit der Garnison (1 Bat. Infanterie Nr. 95) auf 34,651 Seelen, darunter 818 Katholiken und 296 Juden. G. hat eine große Eisengießerei und Maschinenfabrik, eine Eisenbahnhauptwerkstatt, mehrere Porzellanfabriken, eine Waggon- und eine Metallwarenfabrik, Fabrikation von Schuh-, Schlauch-, Gummi- und Spielwaren, Leder, Pianofortes, Schuhabsätzen, Blechwaren, Wurstwaren, Geschäftsbüchern etc. und Dampsziegeleien. Weltbekannt ist das J. Perthessche Geographische Institut. Der Handel, vorzugsweise Speditionshandel, wird unterstützt durch eine Handelskammer, eine Reichsbanknebenstelle und andre öffentliche große Bankinstitute. Bei der Lebensversicherungsbank für Deutschland waren 1902 versichert 97,529 Personen; bei der Feuerversicherungsbank betrug die Versicherungssumme 5864,9 Mill. Mk. G. ist Knotenpunkt der Staatsbahnlinien Bebra-Weißenfels, G.-Leinefelde und G.-Ohrdruf; dem Verkehr in der Stadt dient eine elektrische Straßenbahn. G. hat ein Gymnasium mit Realgymnasialklassen, Realschule, Handelslehranstalt, Schullehrerseminar, Kindergärtnerinnenseminar, Baugewerbe- und Handwerkerschule, Waisenhaus etc.; ferner einen Kunstverein, drei Konservatorien für Musik und mehrere wissenschaftliche Vereine. Die ehemalige berühmte Sternwarte auf dem nahen Seeberg ging 1857 ein; die neue Sternwarte liegt in der Nähe des Parkes. G. ist Sitz des Staatsministeriums für das Herzogtum Gotha, eines Landratsamts und eines Landgerichts. Die städtischen Behörden zählen 7 Magistratsmitglieder und 24 Stadtverordnete. In der Umgegend zeichnen sich besonders aus: der Arnoldische Berggarten am 439 m hohen Krahnberg mit Aussichtsturm, das Dorf Siebleben (s. d.), der 407 m hohe Seeberg mit großen Sandsteinbrüchen und der Boxberg, wo alljährlich die Pferderennen des Mitteldeutschen Rennvereins stattfinden. – Der Landgerichtsbezirk G. umfaßt die acht Amtsgerichte zu G., Liebenstein, Ohrdruf, Tenneberg (Waltershausen), Thal, Tonna (Gräfentonna), Wangenheim (Friedrichswerth) und Zella St. Blasii.

G. (in den ältesten Urkunden Gotegewe, später Gotaha genannt) kommt zuerst um 930 vor als ein Dorf, das zum Stift Hersfeld gehörte und durch dessen Abt Gothard (nachherigen Schutzheiligen von G.) mit Mauern umgeben wurde. Später kam es in den Besitz der Landgrafen von Thüringen, die daselbst eine Kemnate erbauten, aus der das feste Schloß Grimmenstein entstand. Um 1200 wird G. zuerst als Stadt genannt. Nach dem Aussterben der Landgrafen kam G. an die Wettiner und fiel bei der Teilung von 1440 an Herzog Wilhelm III., nach dessen Tod 1485 in der Teilung zwischen Ernst und Albert an die Ernestinische Linie. Die Reformation fand in G. schon um 1521 Eingang. Im Schmalkaldischen Krieg 1546 wurde ein großer Teil der Festungswerke des Grimmensteins von den Kaiserlichen geschleift. Zwar durften die Söhne Johann Friedrichs die Befestigungen später wiederherstellen; als sich jedoch einer derselben, Johann Friedrich der Mittlere, der zu G. residierte, in die Grumbachschen Händel (s. Grumbach) verwickelte und infolgedessen in die Reichsacht kam, wurde G. 1566 von dem Kurfürsten August von Sachsen, als Achtsexekutor, belagert und 13. April 1567 eingenommen, worauf der Grimmenstein völlig geschleift wurde. 1640 fiel G. an Herzog Ernst den Frommen, den Stifter der neuen gothaischen Linie der in G. seine Residenz nahm und das Schloß Friedenstein (s. S. 155) erbaute. Ernst II. (1772–1804) räumte die alten Festungswerke um G. weg und ersetzte sie durch Anlagen. Mit dem Aussterben der gothaischen Linie (1825) kam G. an Koburg. In G. blühte im 18. Jahrh. unter Ekhofs Leitung und der Mitwirkung von Böck, Iffland, Beck etc. bis 1779 die Schauspielkunst, während neuerdings durch A. Petermann (bis 1878 Leiter der geographischen Anstalt von J. Perthes) G. ein Mittelpunkt für die geographischen Wissenschaften wurde. Val. Beck, Geschichte der Stadt G. (Gotha 1870); Kühne, Beiträge zur Geschichte der Entwickelung der sozialen Zustande der Stadt und des Herzogtums G. (das. 1862); Hodermann, Geschichte des Gothaischen Hoftheaters 1775 bis 1779 (Hamb. 1894).

Quelle:
Meyers Großes Konversations-Lexikon, Band 8. Leipzig 1907, S. 155-156.
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