Verein

[46] Verein, eine zeitlich begrenzte oder unbegrenzte, organisierte, rechtsfähige Verbindung von physischen oder auch juristischen Personen zur Erreichung eines bestimmten Zweckes, mit einer innerhalb der Vereinssatzungen unbeschränkten oder doch individuell nicht abgeschlossenen Anzahl von Mitgliedern, deren Ein- und Austritt an bestimmte Voraussetzungen geknüpft, aber von dem Belieben des einzelnen abhängig ist. Von der Gesellschaft unterscheidet sich der V. vor allem dadurch, daß erste eine nichtrechtsfähige Vereinigung mehrerer Personen darstellt. Aus diesem Grunde werden auch nichtrechtsfähige Vereine nach den Grundsätzen über die Gesellschaft (s. d., S. 720) behandelt. Das Recht der Staatsbürger, zu gemeinsamen Zwecken sich zu vereinigen und gemeinsame Ziele gemeinsam anzustreben (Vereinsrecht, Recht der Assoziation), und ebenso das Recht der freien Versammlung (Versammlungsrecht) gehören zu denjenigen Rechten, die unmittelbar aus der persönlichen Freiheit abzuleiten sind. Gleichwohl ging das Streben der Gesetzgebung in den einzelnen deutschen Staaten bis zum Jahre 1848 dahin, politische Vereine zu verbieten und die Abhaltung von Volksversammlungen schlechthin von der Genehmigung der Behörden abhängig zu machen (vgl. Zirkler, Das Assoziationsrecht der Staatsbürger, Leipz. 1834). Nach dem Vorgang Frankreichs machte sich aber seit 1848 eine entgegengesetzte Strömung geltend; die deutschen Grundrechte (s. d.) forderten Vereins- und Versammlungsfreiheit, und diese kam trotz eines entgegengesetzten Bundesbeschlusses vom 13. Juli 1854 in den nach 1849 entstandenen Verfassungen zur Anerkennung. Das Vereins- und Versammlungsrecht ist in Preußen durch Gesetz vom 11. März 1850, in Bayern durch Gesetz vom 26. Febr. 1850, in Sachsen durch Gesetz vom 22. Nov. 1850, in Baden durch Gesetz vom 21. Nov. 1867 geordnet. Letztere Bestimmungen sind die freisinnigsten. Die wesentlichsten Grundsätze des Vereinsrechts nach den genannten drei Gesetzen von 1850 sind folgende: Die Vereine stehen unter obrigkeitlicher Kontrolle (Vereinspolizei). Politische Vereine müssen Satzungen und Vorsteher haben, die (in Preußen auch die Mitglieder) der Behörde anzuzeigen sind. Minderjährige und Frauen sind von der Teilnahme ausgeschlossen. Politische Vereine dürfen nicht mit andern Vereinen zu gemeinsamen Zwecken in Verbindung treten. Sitzungen und Vereinsversammlungen müssen der Obrigkeit angezeigt werden; die Polizei darf zu jeder Versammlung Beamte oder andre Bevollmächtigte abordnen. Wenn die Polizeiorgane die Auflösung aussprechen, haben alle Anwesenden sich sogleich zu entfernen. Öffentliche Volksversammlungen müssen 24 Stunden vor ihrem Beginn der Behörde angemeldet werden; diese ist berechtigt und verpflichtet, die Versammlung zu verbieten, wenn Gefahr für das öffentliche Wohl oder die öffentliche Sicherheit obwaltet. Zu Versammlungen unter freiem Himmel und zu öffentlichen Aufzügen ist polizeiliche Erlaubnis erforderlich. Sollen Vereine aus bloßen Gesellschaften zu juristischen Personen (Körperschaften) werden, so ist hierzu ein besonderer Regierungsakt erforderlich.

Der Art. 4 der deutschen Reichsverfassung zieht das Vereinswesen in die Zuständigkeit der Reichsgesetzgebung; doch sind nur einzelne Bestimmungen von Reichs wegen erlassen worden. Besondere Beschränkungen der Vereins- und Versammlungsfreiheit waren im Sozialistengesetz enthalten (s. Sozialdemokratie, S. 634). Das Reichstagswahlgesetz gestattet die Bildung von Vereinen zum Betrieb der den Reichstag betreffenden Wahlangelegenheiten. Nach dem Reichsmilitärgesetz ist den Militärpersonen des aktiven Heeres die Teilnahme an politischen Vereinen und Versammlungen untersagt. Nach der deutschen Gewerbeordnung (§ 152 f.) ist für alle gewerblichen Arbeiter das Verbot aufgehoben, zur Erlangung günstigerer Lohnbedingungen (s. Koalition) sich zu vereinigen. Im besondern aber hat das Reichsgesetz vom 11. Dez. 1899 inländischen Vereinen jeder Art gestattet, miteinander in Verbindung zu treten.

Die Übertretungen des Vereinsrechts sind im allgemeinen nur durch die Landesgesetze unter Strafe gestellt. Das Reichsstrafgesetzbuch (§ 128 und 129) bedroht nur die Teilnahme an solchen Verbindungen, die wegen ihrer Verfassung oder wegen ihrer Zwecke und Beschäftigungen als gefährlich erscheinen: 1) Die Teilnahme an einer Verbindung, deren Dasein, Verfassung oder Zweck vor der Staatsregierung geheimgehalten werden soll, oder in der gegen unbekannte Obere Gehorsam oder gegen bekannte Obere unbedingter Gehorsam versprochen wird, soll mit Gefängnis bis zu sechs Monaten, an Stiftern und Vorstehern mit Gefängnis von einem Monat bis zu einem Jahre bestraft werden. 2) Gefängnis bis zu einem Jahre, bez. von 3 Monaten bis zu 2 Jahren trifft die Teilnahme an einer Verbindung, zu deren Zwecken oder Beschäftigungen es gehört, Maßregeln der Verwaltung[46] oder die Vollziehung von Gesetzen durch ungesetzliche Mittel zu verhindern oder zu entkräften. Gegen Beamte kann in beiden Fällen auf Amtsunfähigkeit von 1–5 Jahren erkannt werden.

Es gibt drei Arten von Vereinen, 1) Vereine mit idealen Zwecken, z. B. Gesangvereine, Kegelvereine, Turnvereine etc., 2) Vereine mit wirtschaftlichen Zwecken, z. B. Versicherungsvereine, Geschwornenvereine etc., 3) Vereine ohne Rechtsfähigkeit, sogen. nichtrechtsfähige Vereine, z. B. die Studentenverbindungen etc.

Was die innere Organisation und das bürgerliche Recht der Vereine betrifft, so sind die Erwerbs- und Wirtschaftsgenossenschaften (s. Genossenschaften) sowie die trotz ihres Namens zu den Vereinen zu rechnenden Aktiengesellschaften (s. d.) und Gesellschaften mit beschränkter Haftung (s. Handelsgesellschaft) durch Reichsgesetze geordnet, und die land-, forst- oder wasserwirtschaftlichen, die Berg- oder Jagdgenossenschaften, deren Ordnung kraft des Einführungsgesetzes zum Bürgerlichen Gesetzbuch noch Landessache ist, haben in der Mehrzahl der deutschen Bundesstaaten ihre Ordnung durch Landesgesetze. Soweit es hiernach den Vereinen noch an bürgerlich-rechtlicher Ordnung fehlt, soweit ist sie ihnen zuteil geworden in § 21 bis 79 des Bürgerlichen Gesetzbuches, Art. 10,82–86,163–167 des Einführungsgesetzes zum Bürgerlichen Gesetzbuch, in § 50, Abs. 2, der Zivilprozeßordnung und in § 159–161 des Reichsgesetzes über die freiwillige Gerichtsbarkeit. Die Grundzüge dieser Ordnung sind die folgenden:

1) Solange ein V. nicht rechtsfähig ist, d. h. solange er nicht das Vorrecht erlangte, wie ein einzelner Mensch Vermögensrechte und vermögensrechtliche Verbindlichkeiten zu haben, so lange steht er mit zwei Ausnahmen unter dem Recht der Gesellschaft des Bürgerlichen Gesetzbuches (§ 705–740). Diese Ausnahmen sind: a) der V. kann als solcher verklagt werden; b) wer ein Rechtsgeschäft für den V. abschließt, haftet immer persönlich. 2) Rechtsfähig wird ein V., je nachdem sein Zweck auf einen wirtschaftlichen Geschäftsbetrieb gerichtet ist oder nicht, durch Verleihung seitens des Bundesstaates seines Sitzes, bez. seitens des Bundesrates oder durch Eintragung in das Vereinsregister des Amtsgerichts seines Sitzes. 3) Zum Zweck der Eintragung ist ein V. durch den Vorstand unter Vorlage der von mindestens sieben Mitgliedern unterzeichneten Satzung sowie der Urkunde über Bestellung des Vorstandes dem Amtsgericht anzumelden; die zulässige Anmeldung ist vom Amtsgericht der zuständigen Verwaltungsbehörde mitzuteilen, die gegen die Eintragung Einspruch erheben kann, wenn der V. nach dem öffentlichen Recht unerlaubt ist oder verboten werden kann, oder wenn er einen politischen, sozialpolitischen oder religiösen Zweck verfolgt; der Einspruch kann im Verwaltungsverfahren angefochten werden. Wird ein Einspruch nicht erhoben oder endgültig aufgehoben, so erfolgt die Eintragung in das zur öffentlichen Einsicht aufliegende Vereinsregister; der Name des Vereins erhält hiermit den Zusatz »eingetragener V.« 4) Wesentliche Erfordernisse eines rechtsfähigen Vereins sind: Verfassung und Sitz, Vorstand und Mitglieder. Die Verfassung wird, soweit nicht das Bürgerliche Gesetzbuch zwingende Vorschriften hierüber enthält, durch die Vereinssatzung bestimmt. Als Sitz des Vereins gilt mangels andrer Bestimmung der Ort, an dem die Verwaltung geführt wird. Der Vorstand kann aus einem oder mehreren Mitgliedern bestehen. Die Bestellung ist widerruflich; in dringenden Fällen kann für fehlende Vorstandsmitglieder Ersatz vom zuständigen Amtsgericht bestellt werden. Der Vorstand ist der gesetzliche Vertreter des Vereins, er vertritt denselben gerichtlich und außergerichtlich; neben dem Vorstand können besondere Vertreter für gewisse Geschäfte bestellt werden; für die Handlungen seiner verfassungsmäßigen Vertreter haftet der V. in bestimmtem Umfange. Die Mitglieder sind zum Austritt berechtigt; durch die Satzung kann bestimmt werden, daß der Austritt nur am Schluß eines Geschäftsjahres oder erst nach Ablauf einer höchstens zweijährigen Kündigungsfrist zulässig ist. Die Mitgliederversammlung ist zur Ordnung aller Vereinsangelegenheiten zuständig, soweit sie nicht vom Vorstand oder einem andern Vereinsorgan zu besorgen sind; sie ist zu berufen, wenn (in Ermangelung anderweitiger Satzungsbestimmung) der zehnte Teil der Mitglieder es verlangt; bei Beschlußfassung entscheidet regelmäßig die Mehrheit der erschienenen Mitglieder. 5) Die Auflösung erfolgt infolge Vorausbestimmung der Satzung oder durch Beschluß der Mitgliederversammlung oder durch obrigkeitliche Verfügung aus Gründen der Vereinspolizei nach Maßgabe der Landesgesetze. Der Verlust der Rechtsfähigkeit tritt ein kraft Gesetzes durch die Eröffnung des Konkurses oder durch amtsgerichtliche Verfügung, falls nämlich ein eingetragener V. nicht mehr drei Mitglieder zählt, oder durch verwaltungsrechtliche Entziehung. Letztere erfolgt, wenn ein V. durch einen gesetzwidrigen Beschluß der Mitgliederversammlung oder durch gesetzwidriges Verhalten des Vorstandes das Gemeinwohl gefährdet; oder wenn er entgegen der Satzung einen politischen, sozialpolitischen, religiösen oder auf wirtschaftlichen Geschäftsbetrieb gerichteten Zweck verfolgt; oder wenn ein konzessionierter V. einen in der Satzung nicht bestimmten Zweck verfolgt. 6) Mit der Auflösung oder dem Verlust der Rechtsfähigkeit fällt das Vereinsvermögen an die verfassungsmäßig bestimmten Anfallsberechtigten, in Ermangelung solcher, falls der V. satzungsgemäß ausschließlich den Interessen seiner Mitglieder diente, an diese nach Kopfteilen, andernfalls an den Staat oder eine landesgesetzlich bestimmte juristische Person des öffentlichen Rechts. Fällt das Vereinsvermögen an den Staat, so ist dasselbe tunlichst entsprechend dem Vereinszwecke zu verwenden; andernfalls tritt ein förmliches Liquidationsverfahren ein, das im Bürgerlichen Gesetzbuch eingehend geregelt ist.

Zur reichsrechtlichen Regelung des Vereins- und Versammlungsrechts wurde 25. Nov. 1907 ein vom Bundesrat angenommener Entwurf eines Vereinsgesetzes für das Deutsche Reich dem Reichstag vorgelegt. Vgl. Gierke, Deutsches Genossenschaftsrecht (Berl. 1868–81, 3 Bde.); E. Ball, Das Vereins- und Versammlungsrecht in Deutschland (2. Aufl. von Friedenthal, das. 1907); Puschmann, Das deutsche Vereins- und Gesellschaftswesen (2. Aufl., Dessau 1898); Caspar, Das preußische Versammlungs- und Vereinsrecht (Berl. 1894); Delius, Das preußische Vereins- und Versammlungsrecht (3. Aufl, das. 1905); v. Bose, Das Vereinsrecht des neuen Bürgerlichen Gesetzbuches (Leipz. 1901); Altmann, Handbuch des deutschen Vereinsrechts (Berl. 1905); Sartor, Das bayrische Vereinsgesetz etc. (3. Aufl., Münch. 1903); Neubecker, Vereine ohne Rechtsfähigkeit (Leipz. 1908); Petri, Das Gesetz über das öffentliche Vereins- und Versammlungsrecht für Elsaß-Lothringen (Straßb. 1905).[47]

Nach dem österreichischen Vereinsgesetz vom 15. Nov. 1867 ist von jeder Vereinsversammlung wenigstens 24 Stunden vorher der Behörde durch den Vorstand Anzeige zu erstatten. Soll die Versammlung öffentlich sein, so ist auch hiervon Anzeige zu machen. Ausländer, weibliche Personen und Minderjährige können nicht Mitglieder von politischen Vereinen sein. Auch ist nach dem österreichischen Vereinsgesetz politischen Vereinen nicht gestattet, Zweigvereine zu gründen und Vereinsabzeichen zu tragen. Vgl. die Ausgabe des österreichischen Vereins- und Versammlungsgesetzes vom 26. Nov. 1852, bez. 15. Nov. 1867 von Tezner (4. Aufl., Wien 1907).

Quelle:
Meyers Großes Konversations-Lexikon, Band 20. Leipzig 1909, S. 46-48.
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