Rückwirkung

[226] Rückwirkung. Es ist ein der Natur der Sache und vor allem der Billigkeit entsprechender Satz, daß die Gesetze in der Regel keine rückwirkende Kraft haben, d.h. nur auf Handlungen und Begebenheiten, die sich nach dem Zeitpunkt, mit dem sie in Kraft treten, zugetragen haben, nicht auch auf frühere angewendet werden; namentlich sollen durch sie wohlerworbene Rechte nur dann geschmälert werden, wenn es das öffentliche Wohl erfordert. Nur ausnahmsweise hat ein Gesetz dann rückwirkende Kraft, wenn es bloß eine authentische Auslegung eines frühern Gesetzes enthält, oder wenn rückwirkende Kraft ausdrücklich oder sonst unzweifelhaft geboten ist. Die wichtigste dieser Ausnahmen enthält § 2 des deutschen Reichsstrafgesetzbuches, nachdem das neuere Strafgesetz, wenn es auch milder als das ältere ist, auch auf diejenigen strafbaren Handlungen Anwendung findet, die noch unter der Herrschaft des strengern ältern Gesetzes begangen wurden. Unzweifelhaft geboten, bez. gewollt ist die R. bei Gesetzen, die nur dadurch, daß ihnen R. eingeräumt wird, einen Erfolg erzielen, wie z. B. Gesetze über Aufhebung von Zehnt, Leibeigenschaft, Lehen, Fideikommissen etc. Die R. wird hier meist durch Entschädigung (Ablösung) gemildert. Es erstreckt sich dann, wenn das Gesetz selbst keine Grenze bezeichnet, die rückwirkende Kraft auf alle durch Zahlung, Vergleich oder richterliche Entscheidung noch nicht erledigte Sachen. Auch das deutsche Bürgerliche Gesetzbuch steht auf dem Standpunkte, daß im allgemeinen eine R. auf die vor dem 1. Jan. 1900 entstandenen Rechtsverhältnisse nicht stattfindet, jedoch wurde aus praktischen Gründen, um die Übergangszeit möglichst abzukürzen, für eine Reihe von Rechtsverhältnissen im Einführungsgesetz zum Bürgerlichen Gesetzbuch die R. ausgesprochen. Vgl. Habicht, Die Einwirkung des Bürgerlichen Gesetzbuches auf zuvor entstandene Rechtsverhältnisse (3. Aufl., Jena 1901).

Quelle:
Meyers Großes Konversations-Lexikon, Band 17. Leipzig 1909, S. 226.
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