Seele

[168] Seele, griech. Psyche, das Lebensprincip des organischen Körpers, im engern Sinne die menschliche S., das sich selbst bewußte Ich. Schon die Alten forschten über das Wesen der S. nach, faßten dasselbe zunächst als Wind, Hauch (anima) und kamen bald auf die Hauptfrage: ist die S. selbst etwas Körperliches oder ein blos vorübergehend mit dem Körper verbundenes Ding eigener Art? – deren Beantwortung noch heute die Geister bewegt und die Naturforscher und Philosophen in den 2 uralten Lagern der Materialisten und Spiritualisten getrennt hält, die beiderseits wiederum in verschiedene Fractionen zerfallen. Die Materialisten betrachten heute wie immer die S. wesentlich als Materie und zwar als die höchste Blüte derselben, die Spiritualisten vertheidigen dagegen die Selbstständigkeit u. ewige Bedeutung der S. Bestimmt wissen wir nur und zwar in Folge unmittelbarer Wahrnehmung, daß die S. ist und nach gewissen ihr innewohnenden Gesetzen sich äußert. Was von jeher über das Wesen und die Natur der S. gesagt wurde u. vom heutigen Standpunkte der Wissenschaft aus gesagt werden kann, bildet die Geschichte und den Inhalt der S.nlehre, s. Psychologie. Annehmbareres als was hinsichtlich der so schwierigen Fragen nach dem Zusammenhange des Leibes und der S. u. des Unterschiedes zwischen S. und Geist die Bibel und [168] Kirchenväter lehren, hat noch kein Psycholog vorgebracht: Der Mensch besteht wesentlich aus Leib und S., sein Leib allerdings ist die Blüte der Materie, aber bloßes Werkzeug der S., die se ein unmittelbares Geschöpf Gottes, ein gottebenbildliches od. persönliches und unsterbliches Wesen, der Geist endlich keine von der S. verschiedene Substanz, sondern die S. selbst in ihrer Durchdringung vom hl. Geist od. in ihrer sittlichen Vollkommenheit. – Die Frage nach dem Sitze der S. ist eine müßige, wurde aber bis auf Cartesius Zeit häufig aufgeworfen und oft seltsam genug beantwortet; die weit wichtigere Frage nach dem Ursprunge der S. spielte auch in der Kirchengeschichte eine Rolle. Der bei Platon im Zusammenhange mit seiner Ideenlehre vorkommende Präexistantianismus behauptete, daß wir schon vor dem Eintritt in dieses zeitliche Leben existirt hätten, und daß der Leib lediglich ein Strafort der S. sei (Essäer, Marcioniten, Basilides, Origenes, Priscillianisten, Katharer); der Traducianismus oder Generatianismus ließ die S. gleichzeitig mit dem Leibe gezeugt werden, indem die S.nkeime seit Adam von Geschlecht zu Geschlecht sich fortpflanzten (Tertullian); entschieden besser als diese 2 Theorien stimmt mit der Kirchenlehre überein der Creatianismus mit der Anschauung: daß Leib und S. allerdings gleichzeitig entstünden, jedoch so, daß nur der Leib gezeugt, die S. dagegen unmittelbar von Gott geschaffen werde.

Quelle:
Herders Conversations-Lexikon. Freiburg im Breisgau 1857, Band 5, S. 168-169.
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