Platon

[560] Platon, eigentlich Aristokles, neben Aristoteles der größte Philosoph des Alterthums, wurde 429 v. Chr. zu Athen aus einer der einflußreichsten Familien Attikas geb. und 20jährig der Schüler des Sokrates, den er 8 Jahre hörte. Obwohl mit politischen Führern seiner Landsleute, namentlich mit dem Tyrannen Kritias und Charmides nahe verwandt, hielt sich P. dennoch und jedenfalls zumeist in Folge seiner idealistischen Geistesrichtung vom öffentlichen Leben ferne. Nachdem 399 v. Chr. reactionäre Bewegungen in Athen ausgebrochen, fand P.es übrigens doch gerathen, sich zu entfernen; er reiste mit Euklid, dem Stifter der megarischen Schule, zunächst nach Megara, später nach Cyrene, Aegypten und ward in Großgriechenland längere Zeit durch die Pythagoräer gefesselt. Nachdem er noch in Sicilien am Hofe des ältern Dionys verweilt und die Gunst des Tyrannen gewaltig verscherzt hatte, kehrte P. nach Athen zurück (389 oder 388 v. Chr.) und wurde das Haupt der Akademie (s. Akademie). In neuester Zeit hat man behaupten wollen, das Ziel seiner Thätigkeit sei keineswegs ein philosophisches sondern ein politisches gewesen, indem er der herabgekommenen Volksreligion durch Verschmelzung mit Ideen der Pythagoräer und orientalischer Religionen wiederum aufhelfen u. dadurch eine politische Reaction im aristokratischen Sinn hervorrufen wollte. Sicher bleibt, daß P. im Gegensatz zu seinem Lehrer Sokrates nur im Kreis seiner Schüler lebte und lehrte und die Einförmigkeit seines Lebens nur durch eine 2. und 3. Reise nach Sicilien unterbrach, wo er mit dem Versuche, unter der Aegide Dionys des jüngeren sein staatliches Ideal ins Leben einzuführen, vollständig scheiterte. Die Bitte mehrer Staaten um Gesetzbücher soll er abgeschlagen haben. Er st. 348 v. Chr. u. fand in der Nähe der Akademie, im Keramikos, sein Grab, nachdem der Universalkopf Aristoteles unter den Schülern des Meisters bereits Reibungen u. Spaltungen hervorgerufen hatte. P. hinterließ seine philosophischen Ansichten in Dialogen, Gesprächen, in welchen er den Sokrates meist mit seinen Schülern od. Freunden belehrend sich unterhalten läßt. So einig man darin ist, daß diese Dialoge hinsichtlich der Form zu den größten Meisterstücken des Alterthums gehören, so uneinig ist man bis zur Stunde vielfach hinsichtlich des Inhalts oder der p.ischen Philosophie. Abgesehen davon, daß man die Aechtheit mancher Dialoge anzweifelt, wie z.B. Ast nur 14 als ächt annimmt, gehören dieselben offenbar verschiedenen aber sehr schwer näher zu bestimmenden Entwicklungsstufen P.s an, zeigen in wichtigen Punkten auffallende Widersprüche und bewegen sich überhaupt im Gebiete einer Speculation, wo die Klarheit der Begriffe unsern christlichen Philosophen ausgeht und von einem vorchristlichen Hellenen am allerwenigsten gefordert werden darf. Dennoch liegt gerade in seiner Speculation P.s Größe und welthistorische [560] Bedeutung; aus der traurigen Wirklichkeit in die Welt der Ideen fliehend, erhob er sich vielfach über das gesammte Heidenthum u. ahnte nicht nur den einen persönlichen Gott als den Schöpfer und Herrn der Welt, sondern lieferte Wahrscheinlichkeitsbeweise für die Unsterblichkeit der Seele (Phädon), über welche hinaus die Philosophie kaum mehr einen wesentlichen Fortschritt machte, gab nicht minder die Grundlage der noch jetzt herrschenden Psychologie und durch viele neue u. tiefe Gedanken der Philosophie und der Wissenschaft überhaupt einen Anstoß, dessen erste Frucht Aristoteles repräsentiert u. dessen Wirksamkeit noch jetzt fortdauert. Obwohl für das Streben P.s nach systematischer Kraft Zeugnisse in Hülle u. Fülle vorliegen, wird sich doch aus seinen Dialogen (Protagoras, Gorgias, Theätet, der Sophist, Parmenides, Phädrus und Symposion, Phädon, Philebus, Republik, Timäus u.a. von geringerem Werthe) nimmermehr ein harmonisches System zusammenfügen lassen. In der Dialektik handelt P. von den Ideen; diese sind objectiv die Urbilder der Erscheinungswelt, unkörperliche u. unräumliche Einzelnheiten, von Ewigkeit her in ihrer Gesammtheit als Ideenwelt existirend; subjectiv die nicht aus der Erfahrung abzuleitenden Principien des Wissens, angeborne Regulative des Erkennens, im Ganzen das Gemeinsame im Mannigfaltigen, das Allgemeine im Einzelnen, das Eine, Beharrliche und allein Wirkliche im Vielen, Wechselnden und Nichtseienden d.h. in der Materie. Es gibt nicht nur Ideen des Guten, Schönen und Wahren, sondern eine Idee ist überall da, wo ein Art- od. Gattungsbegriff vorhanden liegt. Die höchste Idee u. zugleich der letzte Grund alles Seins und Erkennens, das Princip der Vereinigung des Eins und Vielen, Seins u. Werden ist die Idee des Guten, welche P. bald pantheistisch schaut, indem er sie z.B. mit der Sonne vergleicht, bald, namentlich in seiner pythagoräisirenden Physik (Timäus) als bewegendes und überlegendes Princip der Weltschöpfung auffaßt. Die Welt ist ein Abbild der Idee des Guten, ein Werk der göttlichen Neidlosigkeit; der Gedanke, daß die moralische Welt sich ideengemäß zu gestalten habe, der Geist von seinem Leibe oder von der Sinnlichkeit sich befreien und gottähnlich und dadurch glückselig werden müsse, ist der rothe Faden der p.ischen Ethik. Hier aber treten die Todesschatten der vorchristlichen Welt auch bei P. grell hervor, vor allem in der reifsten Frucht der p.ischen Speculation, im Gottesstaate des Heidenthums, nämlich in der Republik. Nicht nur daß die Tugend sokratisch als ein Wissen aufgefaßt wird, das durch bloßen Unterricht beigebracht werden könne, sondern P. mag in seinem Staatsideal, welches er als im Himmel vorhandenes Urbild anpreist, durchaus nichts von subjectiver Freiheit wissen. Der Staat ist Alles; sich dem Staate unbedingt hinzugeben u. zu opfern, heißt des Einzelnen vornehmste Pflicht und höchste Tugend. Güter und Weiber sind Gemeingut; weil jeder lediglich deßhalb ein Recht besitzt, auf der Welt zu sein, insofern er Staatsbürger ist, so hat der Staat auch über Erziehung, Lebensberuf, Verheirathung u. Kinderzeugung des Einzelnen alles zu bestimmen. Zwar wird der Staat als sittlicher Organismus aufgefaßt u. näher so, daß der vornehmste, der Lehrstand od. der der Philosophen, die Vernunft, Wissenschaft und Weisheit repräsentiert und Gesetze gibt, der Wehrstand oder der der Krieger, dessen wesentlichste Eigenschaft der Muth und höchste Tugend die Tapferkeit d.h. der Kampf gegen Luft u. Unlust wie für die Verfassung ist, dem Lehrstand, der 3. Stand od. Nährstand allen beiden untergeordnet erscheint, zumal dieser das sinnliche Begehren repräsentiert, sich mit dem Gewerbsbetrieb, Ackerbau, Viehzucht u.s.w. befaßt und in der Mäßigung d.h. im Gehorchen übt. Auch soll zwar der Lebensberuf eines Jeden seinen natürlichen Anlagen entsprechen u. im harmonischen Zusammenwirken aller 3 Stände für Verwirklichung des Staatszweckes die Tugend der Gerechtigkeit, die Ordnerin u. Einheit aller andern bestehen; allein mit diesen schönen Ideen vertragen sich bei P. Aussetzung schwacher Kinder, Nichtpflege der [561] Kranken u. Alten, die Rechtlosigkeit des Weibes, die Ausschließung des zahlreichsten 3. Standes geschweige der Sklaven von aller Erziehung und allen Rechten, sogar vom Himmel, da sich nicht absehen läßt, auf welche Weise Mitglieder des 3. Standes zur Gottähnlichkeit herangebildet werden könnten. – Ueber P. u. dessen Philosophie s. weiters die Artikel: Aristoteles, Dialectik, Griechische Philosophie, Idealismus, Neuplatonismus, Nominalismus, Philosophie, Scholastik. – Beste Ausgabe P.s von Stallbaum (Leipz. 1821–25), beste Uebersetzung von Schleiermacher (Berl. 1817 bis 1828, 6 B.).

Quelle:
Herders Conversations-Lexikon. Freiburg im Breisgau 1856, Band 4, S. 560-562.
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