Verrenkung

[594] Verrenkung heißt die gewaltsame Verrückung eines beweglichen Knochens aus seiner natürlichen Gelenkverbindung. Sie ist eine vollkommene, wenn die einander entsprechenden Gelenkflächen gänzlich außer Berührung gebracht, eine unvollkommene, wenn diese Gelenkflächen nicht völlig voneinander gewichen sind. Zu letzterer gehören Verstauchung, Verdrehung, bei welcher die Gelenkflächen zwar zum Theil vorübergehend voneinander gewichen, durch die Kraft der Muskeln und Bänder aber wieder in ihr naturgemäßes Verhältniß gebracht worden sind. Ist Verwundung oder ein anderer gefährlicher Zufall mit der Verrenkung verbunden, so wird sie als zusammengesetzt bezeichnet. Nicht immer ist die Erkennung einer Verrenkung leicht; die Zeichen, an welche man sich halten kann, sind: ganz oder zum Theil aufgehobene Bewegung und Veränderung der Gestalt und Lage des Gliedes, das entweder verkürzt oder verlängert oder verdreht ist, Schmerz, der bei jeder Bewegung außerordentlich zunimmt, heftige Entzündung, Anschwellung und Erguß von Blut in die Umgegend des Gelenkes. Am gewöhnlichsten werden Verrenkungen durch Einwirkung äußerer Gewaltthätigkeiten oder heftige Zusammenziehungen der Muskeln verursacht. Die erstern treffen entweder geradezu das Gelenk oder das diesem entgegengesetzte Ende des Knochens, der um so leichter ausgerenkt wird, wenn er sich in dem Augenblicke, wo die äußere Gewalt einwirkt, in einer schiefen Richtung zu seiner Gelenkhöhle befindet. Überhaupt aber kommt eine Verrenkung um so eher zu Stande, je mehr die Gelenktheile und Muskeln erschlafft sind und je weniger die Beweglichkeit des Gelenkes eingeschränkt ist. Bei einer jeden vollkommenen Verrenkung werden das Kapselband und die übrigen Gelenkbänder, manchmal auch die das Gelenk umgebenden Sehnen und Muskeln zerrissen. Ob eine Verrenkung mehr oder weniger gefährlich ist, hängt von der besondern Beschaffenheit des verrenkten Gelenkes, der Zeit, seit wann die Verrenkung stattgefunden, von ihrer Ursache und den sie begleitenden Zufällen ab. Einfache Verrenkungen, wenn sie frühzeitig genug wieder eingerichtet werden, haben in der Regel keine üblen Folgen, desto bedenklicher sind dagegen mitunter zusammengesetzte, sodaß zur Erhaltung des Lebens sogar die Amputation des Gliedes nothwendig werden kann. Je früher im Allgemeinen die Einrichtung einer Verrenkung versucht wird, desto eher darf man ihr Gelingen hoffen, indeß kann doch ein bereits eingetretener heftiger Grad von Entzündung und Anschwellung erfodern, daß die Einrichtung bis nach deren Beseitigung oder Minderung verschoben werde. Verrenkungen wiederholen sich bei Einwirkung der geringsten Gewalthätigkeit leicht von neuem. Die Einrichtung einer Verrenkung bei kräftigen und ältern Personen verursacht größere Schwierigkeiten als bei schwächlichen und jüngern. Als Folgen einer Verrenkung können theilweise oder vollkommene Lähmung sowie Verwachsung der Gelenktheile [594] und dadurch Steifheit oder gänzliche Unbeweglichkeit des Gelenkes eintreten.

Quelle:
Brockhaus Bilder-Conversations-Lexikon, Band 4. Leipzig 1841., S. 594-595.
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