Lähmung

[691] Lähmung nennt man einen von innern Ursachen abhängigen Zustand von Unfähigkeit eines Organs zu der ihm zukommenden Bewegung; da aber diese zunächst durch die Thätigkeit der Muskeln vermittelt wird, so bezieht sich diese Benennung meist nur auf mit Muskeln versehene Theile. Geht mit dem Eintritte von Lähmung nur das Bewegungsvermögen verloren, so heißt dieselbe eine unvollkommene, eine vollkommene dagegen, sobald gleichzeitig auch die Fähigkeit zu empfinden aufgehoben wird, wo dann gewöhnlich das betroffene Glied abzehrt (schwindet) und wassersüchtig anschwillt. Betrifft die Lähmung nur die Muskeln einer Hälfte des Körpers oder auch nur die der Gliedmaßen einer Seite desselben, so bezeichnet man sie mit der Benennung halbseitige Lähmung; Querlähmung aber heißt sie, wenn beide obere oder beide untere Gliedmaßen gelähmt sind. Außerdem beobachtet man vereinzelt Lähmungen der Augenlider, besonders des obern Augenlides, der männlichen Geschlechtstheile, der Schließmuskeln der Blase, des Mastdarms u.s.w. Lähmungen treten oft sehr plötzlich ein, wie z.B. nach Schlagflüssen, oder entwickeln sich sehr allmälig. In letzterm Falle pflegen der Lähmung ein Gefühl von Taubheit und Eingeschlafensein mit Kriebeln, ziehenden Schmerzen und einer eignen Empfindung von Kälte, große Müdigkeit, Schwere und Unbeweglichkeit des bedrohten Theiles vorauszugehen. Die häufigsten Ursachen der Lähmung sind der Blutschlagfluß und Nervenschlagfluß, sowie die Wassersucht des Gehirns und Rückenmarks; außerdem können aber auch Bildungsfehler im Gehirn und Rückenmark, Verkrümmung und Knochenfraß der Wirbelsäule, Erschütterungen des Gehirns und Rückenmarks durch Stöße und Schläge auf dem Schädel und das Rückgrath, Druck, Quetschung, Krankheit einzelner Nerven, daher selbst anhaltende Nervenschmerzen durch Entartung der Nervensubstanz, Vergiftungen durch Arsenik, Blei, Quecksilber und narkotische Substanzen, der übermäßige Genuß geistiger Getränke, allzu heftige elektrische und galvanische Einwirkungen, mächtig ergreifende Gemüthsbewegungen, besonders wenn sie plötzlich einwirken, wie namentlich heftiger Schrecken und Furcht, mancherlei Nerven- und Geisteskrankheiten, wie der sogenannte Typhus, die Epilepsie, der Veitstanz, Blödsinn u.s.w., ein hoher Grad von Nervenschwäche, sei sie angeboren oder erworben, Versetzungen von Gicht, Rheumatismen und Hautausschlägen, endlich eine fehlerhafte Mischung des Bluts Veranlassung zu Lähmungen sein. Im Allgemeinen gehören dieselben zu den sehr schwer heilbaren Krankheiten. Am meisten Hoffnung zur Heilung gewähren noch die erst vor Kurzem und besonders die nach dem Blutschlagflusse eingetretenen. In der großen Mehrzahl der Fälle bleiben die Lähmungen lebenslänglich auf demselben Grade stehen oder nehmen unmerklich zu und werden, sobald sie sich auf innere Theile erstrecken, tödtlich. Gehen sie aber ja in Gesundheit über, so geschieht dies gewöhnlich unter dem Eintritte von Schweißen und Hautausschlägen, unter Rückkehr der natürlichen Wärme und Zunahme der Ernährung, bisweilen auch unter dem Gefühle von Ameisenlaufen und leichten Zuckungen in dem gelähmten Gliede.

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Brockhaus Bilder-Conversations-Lexikon, Band 2. Leipzig 1838., S. 691.
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