Wassersucht

[666] Wassersucht ist die übliche Benennung für jede krankhafte Ansammlung wässeriger Flüssigkeiten im Zellgewebe, in den natürlichen Höhlen des Körpers oder in neuentstandenen Säcken. Nach dem besondern Sitze solcher Ansammlungen benennt man die Wassersuchten näher und krankhafte Wasseransammlungen, inner- oder außerhalb der Schädelhöhle erhalten den gemeinschaftlichen Namen Kopfwassersucht. Davon unterscheidet man den sogenannten äußern Wasserkopf, eine im Zellgewebe der äußerlich den Kopf umgebenden Weichtheile stattfindende Wasseransammlung, und den innern Wasserkopf, eine Anhäufung von Wasser innerhalb der Schädelhöhle, die theils wieder in den Umgebungen des Gehirns, zwischen diesem und der innern Fläche des Schädels, theils in den Gehirnhöhlen selbst ihren Sitz haben kann. Der äußere Wasserkopf gehört zu den Hautwassersucht und ist bisweilen angeboren, bisweilen Folge der Kopfrose oder eines unvorsichtig zurückgetriebenen Kopfgrindes, oft nur der äußerlich wahrnehmbare Verkündiger des innern Wasserkopfes. Der innere Wasserkopf ist am häufigsten angeboren, kann sich aber auch später ausbilden, wie z.B. als Folgeübel der Gehirnentzündung, oder auch des bloßen Säftedranges nach dem Kopfe bei Kindern. In ersterm Falle zeigen die Kinder gleich bei der Geburt einen ungewöhnlich dicken Kopf, der sich auffallend schnell vergrößert, wobei die Nähte immer mehr sich voneinander entfernen und die Stirne ungewöhnlich hervorgetrieben wird, unter welcher die Augen entweder sich verbergen oder glotzend hervorragen, magern besonders an den Gliedmaßen ab, sind geistesschwach, immer schläfrig, lernen nicht gehen und aufrecht sitzen, müssen endlich ganz liegen bleiben und sterben mitunter plötzlich durch Schlagfluß. Bildet sich die Krankheit, wie nicht selten, erst nach der Geburt aus, so bekommen die Kinder ein verändertes Ansehen, tiefliegende Augen mit unbeweglichen oder ungleich beweglichen Pupillen, schlafen unruhig, fahren öfter in die Höhe und knirschen mit den Zähnen, schreien auf eine eigenthümliche kreischende Weise, weinen oft ohne Grund, scheuen sich zu gehen, zu stehen und zu sitzen, straucheln und fallen über ihre eignen Füße, bohren mit dem Kopfe nach hinten in das Kopfkissen, greifen öfter nach demselben, erbrechen sich, zeigen viel Schläfrigkeit, ohne wirklich zu schlafen, werden nach und nach stumpfsinnig, bald halbseitig, bald gänzlich gelähmt,[666] an den Gliedmaßen abwechselnd kalt und warm, bekommen Zittern der Glieder und Krämpfe und sterben endlich unter Convulsionen. Noch weniger Hoffnung der Heilung als die eben besprochenen Arten der Kopfwassersucht gewährt die Wassersucht des Rückgraths, die seltener in Folge von Krankheiten des Rückenmarks und seiner Haut, am häufigsten dagegen angeboren vorkommt. Sie ist dann meist mit unvollkommener Entwickelung der hintern Wand des Rückgraths, namentlich in der Gegend der Lendenwirbel, verbunden, daher sie »gespaltenes Rückgrath« genannt wird, indem hier die hintern Theile der Wirbel fehlen, statt deren eine schmerzlose, grelle, schwappende Geschwulst sich zeigt, unterhalb welcher das Rückenmark zerstört und zwar größtentheils in Wasser aufgelöst ist, ein meistens frühzeitig tödtlich endendes Übel. Bei der Brustwassersucht ist die wässerige Feuchtigkeit theils in den Säcken des Brustfells, theils im Mittelselle, theils in der Lungensubstanz selbst angesammelt. Sie gibt sich durch anfänglich geringe, nach und nach aber immer mehr zunehmende Kurzathmigkeit und Beklemmung ohne eigentlichen Schmerz, Gefühl von Druck und Vollsein, bisweilen wohl auch von Schwappung in der Brust, von Einschnürung derselben, Unmöglichkeit in der horizontalen Lage auszuhalten, einen trockenen, keuchenden, später mit Rasseln in der Brust verbundenen Husten, stellenweise wassersüchtige Anschwellungen und die sonstigen allen Wassersuchten zukommenden Erscheinungen zu erkennen. Mit Brustwassersucht oft in Verbindung und meistens schwer von ihr zu unterscheiden ist die Wassersucht des Herzbeutels, bei welcher eine größere oder geringere Menge wässeriger Flüssigkeit in den Herzbeutel abgelagert ist. Die Bauchwassersucht, die am häufigsten vorkommende Art von Wassersucht, besteht darin, daß gewöhnlich eine sehr beträchtliche Menge Wassers in dem freien Räume der Bauchhöhle sich ansammelt, sodaß es die in derselben befindlichen Eingeweide umspült, wird darum auch freie Bauchwassersucht genannt zum Unterschied von der sogenannten Sackwasser sucht, bei welcher das Wasser in größern oder kleinern, nicht miteinander in Verbindung stehenden Säcken oder Bälgen enthalten ist, welche zwar am häufigsten, aber keineswegs ausschließlich am Bauchfelle und den von diesem eingeschlossenen Theilen ihren Sitz haben. Zur freien Bauchwassersucht gesellen sich noch wassersüchtige Anschwellungen der Füße und der Geschlechtstheile, Verdauungsbeschwerden aller Art, meist auch Athemnoth und die den Wassersuchten überhaupt eignen Erscheinungen. Endlich gibt es noch eine Wassersucht der innern weiblichen Geschlechtstheile.

Der Verlauf der Wassersuchten ist nach der Entstehungsweise derselben verschieden. Sie können nämlich sowol in krankhaften Zuständen des Nerven- und Gefäßsystems als in Fehlern und Verbildungen der vorzugsweise der Ernährung dienenden Organe ihren Grund haben. Deshalb sind die Wassersuchten im Allgemeinen mehr Folgeübel anderer Krankheitszustände oder auch nur bloßes Symptom dieser als selbständige Krankheiten. Der nächste Grund aller Wassersuchten ist immer ein Misverhältniß zwischen Absonderung. und Aufsaugung. Die Wassersuchten verlaufen bald sehr rasch und können dann in wenigen Tagen einen tödtlichen Ausgang nehmen oder auch, ohne überhaupt von großer Bedeutung zu sein, in Genesung übergehen, bald aber und zwar meist wachen sie einen sehr langsamen Verlauf mit dann und wann eintretenden Verschlimmerungen und unbestimmtem Ausgange. Vorzugsweise ausgesetzt den verschiedenen Arten von Wassersucht sind das Kindes- und das höhere Lebensalter, weniger das mittlere, ferner das weibliche Geschlecht mehr als das männliche, Personen von phlegmatischem Temperament und schwächlicher, lymphatischer Körperconstitution mehr als Menschen von kräftiger und blutreicher Körperbeschaffenheit. Vorherrschend fade, mehlige, reizlose Nahrung, sowie übermäßiger und anhaltender Genuß des Branntweins, starker gewürzter Biere und der öftere Aufenthalt in einer feuchten, neblichen Atmosphäre begründen ebenfalls eine Anlage zur Wassersucht. Nächstdem müssen als Ursachen derselben alle die Krankheiten beschuldigt werden, aus denen sie sich erfahrungsgemäß entwickelt, so namentlich Unterdrückung naturgemäßer oder auch nur gewohnter Blutausleerungen, wie im Gegentheil auch jeder starke oder anhaltende Säfteverlust, Blutstockungen in den meisten Unterleibseingeweiden, Vergrößerungen, Verhärtungen derselben, Fehler in der Bildung des Herzens mit daraus hervorgehenden Störungen im naturgemäßen Umlaufe des Blutes durch den Körper, Verschwärung in den Lungen, Blutandrang nach dem Kopfe, verschiedene Entzündungen, Hautausschläge, namentlich Scharlach, Wechselfieber, die Anschwellungen der Baucheingeweide zur Folge haben, allgemeine Erschöpfung u.s.w. Die Wassersucht ist im Allgemeinen eine schwere, oft tödtlich werdende Krankheit. Am wenigsten haben noch die örtlichen, von Druck oder Krampf abhängigen und gewöhnlich leicht vorübergehenden Wassersuchten auf sich. Auch die Wassersuchten, welche entweder mit einer Entzündung in Zusammenhang stehen oder mit Fieber verbunden sind, gewähren, vorausgesetzt, daß sie nicht in innern edlen Theilen ihren Sitz aufgeschlagen haben, eher Hoffnung zur Heilung als die langwierigen, mit Entkräftungszuständen verbundenen. Viel kommt bei der Voraussage auf die mehr oder weniger vollkommene Art, in welcher die Verrichtung der Nieren und der Haut vor sich geht, sowie auf die ursächlichen Verhältnisse und den Sitz der Krankheit an.

Quelle:
Brockhaus Bilder-Conversations-Lexikon, Band 4. Leipzig 1841., S. 666-667.
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