Grad

[257] Grad ist ein Maß, welches nur durch sein Verhältniß zu dem von ihm gemessenen Ganzen bestimmt ist. So z.B. theilt man jeden Kreisumfang, derselbe mag klein oder groß sein, in 360 Theile, nennt jeden solchen 360. Theil des Kreisumfangs einen Grad und bestimmt die Größe jedes Kreisbogens nach diesen Graden. Da die Winkel am Mittelpunkte eines Kreises sich ebenso der Größe nach verhalten, wie die zwischen ihren Schenkeln liegenden Bogen des Kreises, so pflegt man auch die Winkel nach Graden zu messen und sagt z.B., der rechte Winkel habe 90°, weil zwei am Mittelpunkte eines Kreises sich rechtwinklig schneidende Linien vier rechte Winkel bilden, welchen vier gleiche Theile des ganzen Kreisumfangs, also jeder = 360/4 = 90 Grad, entsprechen. – Grade werden ferner auch bei verschiedenen physikalischen Instrumenten nach andern, nur auf Uebereinkunft beruhenden Grundsätzen bestimmt. Am gebräuchlichsten sind die Grade des Thermometers. Hier nämlich bestimmt man den Punkt, bei welchem das Quecksilber des Thermometers (s.d.) im siedenden Wasser und den, bei welchem es im schmelzenden Eise steht, und theilt den Abstand zwischen beiden Punkten, den sogenannten Fundamentalabstand, in 80 Grad nach Réaumur oder in 100 Grad nach Celsius u.s.w. Jeder 80. Theil des Fundamentalabstands, welcher bei verschiedenen Instrumenten sehr verschiedene Längen haben kann, heißt ein Grad Réaumur. – Man pflegt die Grade so zu bezeichnen, daß man eine kleine Null rechts oben neben die Ziffer, welche die Anzahl der Grade angibt, setzt, also z.B. vier Grad werden geschrieben 4°. Jeder Grad des Kreises wird in 60 Minuten (′), jede Minute in 60 Secunden (″), jede Secunde in 60 Tertien (''') eingetheilt.

Bekanntlich stellt man sich die Erde, um Ortsbestimmungen [257] mit Leichtigkeit und Genauigkeit geben zu können, vor, als mit einem Netze von Kreisen umzogen, von denen die einen, die Mittagskreise, durch beide Pole der Erde gelegt sind, während die andern, die Parallelkreise, senkrecht auf den Mittagskreisen stehend, mit dem Äquator parallel laufen. Offenbar müssen die Mittagskreise, da jeder die ganze Erde in ihrer größten Dicke umspannt, d.h. ein größter Kugelkreis ist, sämmtlich untereinander gleich sein, und es werden daher auch ihre 360. Theile, d.h. ihre Grade, einander gleichen. Die Parallelkreise dagegen müssen, wie man leicht übersieht, um so kleiner werden, je weiter sie sich vom Äquator (dem größten Parallelkreise) entfernen und sich endlich an den Polen zu Punkten zusammenziehen. Je näher am Pole ein Parallelkreis liegt, desto kleiner wird mithin auch sein 360. Theil, d.h. sein Grad sein. Da man die Größe einer Kugel berechnen kann, wenn man weiß, wie groß ein größter Kreis derselben ist, so wird man auch die Größe der Erde, wenn sie eine Kugel ist, zu berechnen im Stande sein, wenn man weiß, wie groß ein Mittagskreis derselben ist, d.h. wenn man nur Einen Grad eines solchen Kreises gemessen hat. Es sind derartige Messungen in der That zu verschiedenen Zeiten und an verschiedenen Orten mit der größten Genauigkeit angestellt worden. Man muß bei diesen Messungen die Astronomie zu Hülfe nehmen. Am Himmel nämlich übersieht man große Räume und kann aus der Entfernung zweier Fixsterne, welche an zwei verschiedenen (unter demselben Mittagskreise liegenden) Orten, jeder an einem, zugleich gerade über den Köpfen der Beobachter (im Zenith) stehen, den Abstand dieser beiden Orte nach Graden bestimmen. Mißt man dann auf der Erde den Abstand beider Orte nach Meilen, so läßt sich leicht die Größe des Erdgrades in Meilen ausdrücken. Bei solchen Gradmessungen ist man nun aber zu dem merkwürdigen Resultate gekommen, daß die Messungen in verschiedenen Gegenden der Erde verschiedene Größen des Erdgrades geben. In der Nähe der Pole sind die Grade der Mittagskreise größer als in der Nähe des Äquators. Hieraus hat man mit Recht geschlossen, daß die Erde keine wirkliche Kugel sei, sondern eine nach den Polen zu abgeplattete Gestalt besitze. Ist dieses nämlich der Fall, so sind die Mittagskreise eiförmige Linien, und bei solchen entsprechen gleichen Winkeln am Mittelpunkte nicht gleiche Bögen. Man hat aus den Gradmessungen sogar die Größe der Abplattung der Erde zu berechnen gesucht. (Vergl. Erde.) Auch die Grade der Parallelkreise sind in verschiedenen Gegenden gemessen worden und aus der Unregelmäßigkeit der Abnahme in der Größe dieser Grade mit der Annäherung an den Pol hat man ebenfalls auf die Abplattung der Erde geschlossen. – Zu den berühmtesten und mit der größten Sorgfalt angestellten Gradmessungen gehört die, welche 1790 in Frankreich angestellt wurde. Man nahm dieselbe vor, um alle Maße auf die unveränderliche Größe des Erdkörpers beziehen zu können, und setzte fest, daß das Mètre als Längenmaß zu Grunde gelegt und so groß sein sollte, wie der zehnmillionste Theil der Entfernung des Pols vom Äquator. – Die mittlere Größe eines Erdgrades (d.h. eines Mittagskreises) beträgt 15 geographische M. – Sehr häufig bedient man sich des Wortes Grad in figürlicher Bedeutung, indem man von höhern oder geringern Graden spricht, um irgend eine verhältnißmäßige Größe zu bezeichnen. Das von Grad abgeleitete Wort Gradation bedeutet daher im Allgemeinen Dasselbe, wie Steigerung. Bringt z.B. ein Redner, um die Aufmerksamkeit seiner Zuhörer zu spannen, immer wirksamere Bilder oder immer tiefere Gedanken, so wird dies eine Gradation oder auch ein Klimax genannt. Beim entgegengesetzten Verfahren findet ein Antiklimax statt. –. Über die Bedeutung der Grade in der Genealogie s. d.

Quelle:
Brockhaus Bilder-Conversations-Lexikon, Band 2. Leipzig 1838., S. 257-258.
Lizenz:
Faksimiles:
257 | 258
Kategorien: