Grad (2), der

[768] 2. Der Grad, des -es, plur. die -e. 1. Eigentlich, ein Schritt, ingleichen die Staffel oder Stufe einer Treppe; in welchen Bedeutungen es im Hochdeutschen veraltet ist, außer daß an einigen Orten, z.B. zu Mainz und Erfurt, die steinernen Treppen, welche nach den Domkirchen führen, noch die Grade, und die Plätze vor denselben vor den Graden genannt werden. 2. Figürlich. 1) In der Mathematik, der 360ste Theil eines jeden Zirkels, welcher wieder in 60 Minuten, so wie diese in 60 Secunden, getheilet wird. Daher in der Geographie, der 50ste Grad der Länge, der 50ste Theil des Äquators von dem ersten Meridian an; der 40ste Grad der Breite, oder der Polhöhe, der 40ste Theil eines eingebildeten Zirkels, der durch die Pole und den Scheitelpunct eines Ortes gehet, von dem Äquator an gerechnet. In dieser Bedeutung lautet der Plural, wie so viele andere Wörter, welche ein Maß, Gewicht u.s.f. bezeichnen, wenn ein Zahlwort dabey ist, nur Grad, nicht Grade: sechs Grad. 2) In der Genealogie, die Entfernung von gemeinschaftlichen Ältern der Abstammung nach. In gleichem Grade mit einander verwandt seyn, der Abstammung nach[768] gleich weit von den gemeinschaftlichen Ältern entfernet seyn, dergleichen von Geschwistern, ersten, andern und dritten Geschwisterkindern Statt findet; in ungleichem Grade mit einander verwandt seyn, wenn der eine Theil dem gemeinschaftlichen Stamme näher ist, als der andere, wohin die Verwandtschaft mit dem Vatersbruder, Mutterbruder u.s.f. gehöret. Geschwister sind, nach dem kanonischen Rechte, im ersten Grade verwandt, oder machen den ersten Grad aus; nach dem bürgerlichen Römischen Rechte sind sie im zweyten Grade verwandt. Ehedem war dafür im Deutschen das Wort Sippzahl und im Nieders. Magtale üblich, die Grade der Verwandtschaft zu bezeichnen, von Sippe und Mage, Verwandtschaft. 3) In noch weiterm Verstande, die Einschränkung der Beschaffenheit, ihrer innern Stärke nach, die Größe der Beschaffenheit, quantitas qualitatis. Die Grade des Feuers, in der Chymie. Der Grad der Hitze, der Kälte, der Luftschwere. S. Gradleiter. Seine Zärtlichkeit nimmt bereits nach dem Grade ab, nach welchem die meinige zunimmt. Sein Zögern mißfällt mir im höchsten Grade. Die besondern Umstände einer Gesellschaft bestimmen die Art und den Grad besonderer Pflichten, Gell. Ich kenne die Grade der Standhaftigkeit ihres Geschlechtes auf das genaueste. Er ist in sehr hohem Grade strafbar. Das bekümmert mich im äußersten Grade. In einigen Fällen kann dafür Stufe und Staffel gebraucht werden, S. diese Wörter; aber in den meisten ist im Hochdeutschen Grad nur allein üblich, dagegen die Oberdeutschen ihr Staffel weit häufiger anwenden.

Anm. In den drey figürlichen Bedeutungen ist es unstreitig aus dem Lat. Gradus entlehnet. Allein, was die erste eigentliche betrifft, so ist es sehr wahrscheinlich, daß es ein altes Deutsches Wort ist, welches zu dem noch im Oberdeutschen üblichen graden, graten, gehöret, woraus vermittelst der Vorsetzung des Zischlautes unser schreiten entstanden ist, S. dieses Wort, und welches mit dem Latein. gradi aus Einer Quelle herstammet. Von graden, graten, schreiten, hat man in den gemeinen Sprecharten das Intensivum grätschen, mit ausgesperrten Beinen gehen, und dessen Diminut. grätscheln, S. diese Wörter.

Quelle:
Adelung, Grammatisch-kritisches Wörterbuch der Hochdeutschen Mundart, Band 2. Leipzig 1796, S. 768-769.
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