Idee

[736] Idee (griech. eidos oder idéa), ein aus der Philosophie Platons stammender Ausdruck, der das im Begriff erfaßte Wesen eines Dinges oder einer Art von Dingen bezeichnet; also z. B. die I. des Tisches = Inbegriff der wesentlichen Merkmale eines Tisches, das Typische des Tisches. Die Ideen existieren jedoch nach Platon nicht bloß im Kopfe des Menschen als Abstraktionen von den konkreten Einzeldingen, sondern sie besitzen eine selbständige Realität außerhalb des subjektiven Denkens und vor den Einzeldingen, es sind die Ideen nicht sowohl bestimmt durch die Dinge, als diese durch die Ideen, die in ihnen in mehr oder weniger unvollkommener Weise verkörpert sind (»Ideenlehre«). In der englischen und französischen Philosophie hat indes das Wort I. seine spezifische Bedeutung ganz verloren und bezeichnet (seit Descartes und Locke) einfach das Bild, das sich der Geist von einem Dinge macht, also die Vorstellung im Gegensatz zum Gegenstand. In der deutschen Philosophie ist es dagegen seit Kant wieder in einem dem ursprünglichen sich mehr oder weniger annähernden Sinne im Gebrauch. Kant stimmt mit Platon darin überein, daß auch bei ihm die I. und die Ideenwelt einen höhern Rang einnimmt als die sinnliche Erscheinungswelt. Während aber nach Platon die I. als das Eine im Vielen, das Feste und Beharrliche im Wechsel der Erscheinungen zugleich das wahrhaft Seiende, das Sinnlich-Konkrete aber bloßer Schein ist, der nur dadurch an dem Sein teilnimmt, daß sich die I. in ihm verkörpert hat, schließen nach Kant die Ideen vielmehr das Sein aus, insofern ein ihnen entsprechender Gegenstand garnicht gegeben werden kann, sie sind nur Produkte unsrer über die sinnliche Erscheinungswelt (die allein Realität besitzt) hinausgreifenden Vernunft, bezeichnen lediglich die der letztern innewohnenden Normen ihrer eignen Tätigkeit, die Ziele, denen sie zustrebt. So wird die theoretische Vernunft beherrscht von der I. des Weltganzen, die praktische Vernunft von der der sittlichen Freiheit, die Urteilskraft von der der Zweckmäßigkeit. Die nachkantischen deutschen Philosophen mit Ausnahme Herbarts schlossen sich noch enger an den Platonischen Sprachgebrauch an. Nach Jakobi sollten die Ideen ihre Wurzel in der Erfahrung (zwar nicht der Sinne, aber der Vernunft, die er als Sinn für das Übersinnliche ansah) haben und daher als Ideen des Wahren, Guten und Schönen direkt auf das Sein dieses letztern hinweisen. Schelling führte im »Bruno« die Platonische Ideenwelt als intelligible Sinneswelt, Schopenhauer als zwischen dem Ding an sich (dem Willen) und der Erscheinungswelt in der Mitte stehende Typenwelt wieder ein. Hegel und nach ihm v. Hartmann bedienen sich des Wortes I., um die objektiv-logische Grundlage aller Natur- und Geschichtsentwickelung zu bezeichnen. S. Ideal und Idealismus.

Quelle:
Meyers Großes Konversations-Lexikon, Band 9. Leipzig 1907, S. 736.
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