Kotschinchina

[542] Kotschinchina (Cochinchina), Landschaft in Hinterindien (s. Karte »Französisch-Indochina«), die mit Tongking vor 1862, bez. 1867 das Königreich Anam bildete, jetzt nur für die französische Kolonie Niederkotschinchina gebraucht, die, zwischen 8°25'–11°30' nördl. Br. gelegen, begrenzt wird im N. von Kambodscha und Anam, im W. vom Golf von Siam, im O. von der Chinesischen Südsee und 56,900 qkm groß ist. Das halbinselartig ins Meer hinausragende Land, das im Kap Camao (Kambodscha) seine südlichste Spitze hat, bildet eine weite Ebene, in der man drei von SO. nach NW. hinziehende Zonen unterscheiden kann. In der ersten, niedrigsten, stagnieren die Gewässer in dem endlosen Mangroveland mit Büschen und Bäumen von 2–3 m Höhe. Die zweite ist die Sumpfzone mit Rohr und Schilf, das sich auch in die dritte Zone erstreckt, wo sich aber erhöhte Stellen und waldbedeckte Ausläufer des Moigebirges finden. Im wesentlichen ist K. das Deltagebiet des Mekong, das fast ausschließlich aus mächtigen alluvialen Ablagerungen besteht; nur jüngere Eruptivgesteine treten sehr spärlich bei Bienhoâ (Basalt) und im südlichen K. sowie auf den zugehörigen Inseln (Trachyt von Pulo Condor und Pulo Wai) auf. Der Mekong (s. d.) durchzieht das Land zunächst in zwei fast parallelen Armen: dem obern Fluß (Tiengyang) und dem untern (Hangyang), und bildet dann mit zahlreichen Mündungsarmen ein mächtiges Delta, das durch Kanäle zusammenhängt mit dem östlicher fließenden Großen und Kleinen Vaïco, Fluß von Saigon und Donai, die vereint durch den Loirap und eine zweite große Mündung bei Kap St. Jacques ins Meer fallen;[542] zwei Kanäle ziehen westwärts und erreichen bei Vinhle und Raschgiä den Golf von Siam. Alle Flüsse sind auch für größere Schiffe fahrbar, ihre verschlammten Mündungen haben aber nur 3–4 m Tiefe; bloß der nach Mitho führende Arm des Mekong gestattet Schiffen von 5 m Tiefgang die Einfahrt, der Loirap aber und der Fluß von Saigon nur bis zu dieser Stadt. Ein Ausbau der Kanäle zu Schiffahrts- und Bewässerungszwecken wird geplant. Die periodischen Ablagerungen von Schlamm durch die Flüsse statten die Landschaft mit unerschöpflicher Fruchtbarkeit aus. Das Klima ist sehr heiß und Europäern nicht zuträglich; die niedrigste Temperatur beträgt in Saigon im Dezember 19°, März bis Mai etwa 29° (Jahr 27,2°); die Regenzeit währt von April bis Ende Oktober, die trockne von November bis Anfang April. Regenmenge in Saigon 2110 mm. Die tropischen Waldungen weisen die Charaktergewächse des indischen Monsungebiets auf: Palmen, Gummibäume (Ficus elastica), Dipterokarpeen, Klusiazeen (Gardenia), Aurantiazeen etc. Das Zuckerrohr (Saccharum officinarum) scheint hier heimisch zu sein und wird in ausgedehnter Weise angebaut, daneben Reis, Baumwolle, Tabak und Betelpfeffer. Die Tierwelt gehört zur indochinesischen Subregion der orientalischen Region und enthält deren Charaktertiere, wie den bengalischen Tiger, Leoparden, Elefanten, Rhinozerosse, verschiedene Hirsch- und Reharten, unter den Vögeln Pfauen; unter den vielen Insekten sind Moskitos und Ameisen eine große Plage.

Die Bevölkerung betrug 27. Dez. 1901: 2,968,529 Seelen, darunter 1,968,000 Anamiten, 178,000 Kambodschaner, 100,000 Chinesen, 7000 Moi und Scham, 5000 andre Asiaten (Malaien, Inder, Tagalen etc.), 5330 Europäer (4932 Franzosen, außer Militär). Herrschende Religion ist der Buddhismus (1,7 Mill. der Bevölkerung). Die katholische Kirche hat mit wechselndem Erfolg schon seit 1624 durch aus Japan vertriebene portugiesische Jesuiten Mission betrieben. Jetzt hat ein Bischof in Saigon seinen Sitz, unter ihm 52 französische Missionare, 42 eingeborne Priester, 200 Kirchen und Kapellen und 110 Schulen und Waisenanstalten mit 7000 Kindern. Die Mission besitzt in Saigon eine große Buchdruckerei und eine schöne Kathedrale, und die Zahl der einheimischen Christen wird auf 73,234 angegeben. Ein großes Seminar befindet sich in Saigon, ein kleineres in Binhlong. Es gab 1897: 376 Schulen mit 804 Lehrern und 18,760 Schülern. Die Hauptbeschäftigung des Volkes ist Ackerbau; von der Gesamtfläche war 1901 ein Fünftel unter Kultur, und zwar 900,000 Hektar mit Reis, außerdem werden gebaut: Bohnen, Mais, Rüben, Bataten, Erdnüsse, Kokospalmen, Zuckerrohr, Tee, Kaffee, Kakao, Tabak, Indigo, Baumwolle, Chinanessel, Ramie, Maulbeerbäume zur Seidenraupenzucht, Bananen, Arekanüsse, Betelnüsse, Ananas etc. Der Viehstand besteht aus kleinen, aber kräftigen Pferden, Zugochsen, Büffeln zur Bearbeitung der Reisfelder, Ziegen und Schweinen. Die Gewerbtätigkeit ist unbedeutend, nennenswert sind nur 9 Reismühlen (meist in chinesischen Händen), 2 Sägemühlen, 2 Seifenfabriken, eine Firnisfabrik, die Fabrikation grober Seidenzeuge und die Salzwerke von Baria und Bakhuen (25,000 Ton. jährlich). Der Handel ist fast ganz in den Händen von Chinesen; 1901 betrug die Einfuhr (fast ausschließlich durch Saigon) 91,342,000, die Ausfuhr (desgl.) 106,302,000 Fr. Letztere besteht vornehmlich in Reis (81,232,400 Fr.), dann in getrockneten Fischen (8,092,000), Fischleim, Pfeffer (8,775,000), Seide (1,461,750), Kardamomen (1,114,750 Fr.), Baumwolle, Büffelfellen etc., die Einfuhr in Seidenwaren, Lein- und Baumwollenzeugen, Tee, Papier etc. Außerdem wurden für 3,862,202 Doll. Bargeld eingeführt. Der Handel richtet sich zum allergrößten Teil nach dem Ausland. Es liefen 1901: 600 Schiffe von 801,232 Ton. (340,959 T. französische, 188,078 T. deutsche) ein. Über Münz-, Maß- und Gewichtswesen der Kolonie s. Anam und Kambodscha. Ein Ta (Pikol) Reis wird hier = 134 engl. Pfund avoirdupois = 60,78 kg gerechnet. Die Einfuhr fremder Piaster wurde, wie in ganz Indochina, 1903 zugunsten der französischen Kolonialmünzen verboten; ein einheimischer (Tam-bak-tron) vom Jahre 1830 ist sehr unterwertig. Der innere Verkehr bewegt sich meist auf dem vortrefflichen Wassernetz der Kolonie; eine 71 km lange Eisenbahn verbindet Saigon mit Mitho (seit 1885), eine Linie Saigon-Kanhoa-Long-Bian (650 km lang) ist im Bau, eine andre, Mitho-Cantho (93 km), geplant; dazu kommen 20 km Kleinbahnen um Saigon. Die Telegraphenlinien hatten 1901 eine Länge von 4275 km bei 6224 km Drähten mit 85 Ämtern. Die Post hatte 603 Ämter. Das Budget für 1902 balancierte mit 4,192,135 Piaster. Die Kolonie steht unter dem seit 1888 eingesetzten Generalgouverneur von Französisch-Indochina (s. d.) mit einem Leutnantgouverneur von K. zu Saigon, einem Bischof und einem Kommandanten der Marine. Die Verwaltung ist gegliedert nach 21 Provinzen unter Inspecteurs des affaires indigènes, die von dem Direktor des Innern ressortieren. Die ursprüngliche Gemeindeverfassung ist beibehalten worden. Hauptstadt ist Saigon. Die Finanzen befinden sich in gutem Zustande, so daß die Kolonie Überschüsse gibt. Die Militärmacht besteht aus 3536 französischen und 2667 eingebornen Truppen. Die Eingebornen sind, wie unter ihren ehemaligen Herrschern, sämtlich militärpflichtig; die nicht eingestellten werden als Milizen von den Gemeinden versorgt. Die Flagge besteht aus einem gelben, mit dunkelgrünen Zacken eingefaßten Flaggtuch.

Geschichte. 41 n. Chr. unternahm der Herrscher von K. einen Einfall in China, das damals unter der östlichen Han-Dynastie stand. Um 263 n. Chr. von der chinesischen Herrschaft auf kurze Zeit befreit, fiel K., in das um 400 der Buddhismus nach und neben dem Brahmanentum erfolgreich eindrang, Ende des 11. Jahrh. an Kambodscha, stand aber im 13. Jahrh. in freundschaftlichem Tributverhältnis zu China, mit dessen Südprovinzen es gegen 1260 dem Mongolen Kublai unterlag. Der König Itahata (1373) trat dem Seeraub kräftig entgegen, wurde jedoch in einen Krieg mit Tongking (Nordanam) verwickelt, der unter seinen Nachfolgern 1471 mit der Einverleibung in den tongkinesischen Staat endete. Doch 1570 machte sich K. unter Nguyên Hoang (Tiên Wuong), dem Stammvater der Herrscher von Anam, wieder frei; seine Nachfolger, die in Hue residierten, halfen 1717 Kambodscha wider Siam, vergrößerten ihren Staat nach Südkambodscha (1750) und nach dem (formell unter der Le-Dynastie stehenden) Anam hin beträchtlich, trotz des Fortbestandes der nominellen Oberhoheit Chinas. Im 17. Jahrh. versuchten Jesuiten von Macao aus, in K. sich festzusetzen, ohne dauernden Einfluß zu erlangen. 1765 kam es im Land infolge der Bedrückungen der Großen zu einem blutigen Aufstande, der mit völliger Verschmelzung Kotschinchinas und Anams endigte. Letzterm wurde 1858–62 von den Franzosen unter Rigault de[543] Genouilly, Page und Bonard die jetzt Cochinchine française genannte Kolonie mit der Hauptstadt Saigon abgestritten (s. Anam, S. 478 f.) und 1867 um die Provinzen Vinhlong, Chandol und Hatien (westlich vom Mekongfluß) vermehrt. Unterm 12. April 1888 wurde K. mit Kambodscha, Anam und Tongking unter dem Namen Französisch-Indochina vereinigt, behielt aber die Selbständigkeit der Verwaltung und des Haushalts, der allerdings der Billigung durch den Generalgouverneur und den. Hohen Rat von Indochina unterliegt. Vgl. Cortambert und de Rosny, Tableau de la Cochinchine (Par. 1862); Garnier, Voyage d'explorationen Indo-Chine 1866–1868 (das. 1873, 2 Bde., Prachtwerk; neue Textausgabe 1884); Vial, Les premières années de la Cochinchine, colonie française (das. 1874, 2 Bde.); Launay, Histoire ancienne et moderne de l'Annam, Tongking et Cochinchine (das. 1884); Pallu de la Barrière, Histoire de l'expédition de Cochinchine en 1861 (2. Aufl., das. 1888); P. d 'Enjoy, La colonisation de la Cochinchine. Manuel du colon (das. 1897); J. C. Baurac, La Cochinchine et ses habitants (Saigon 1899 ff.); Coquerel, Vademecum commercial de la Cochinchine (das. 1905); »Guide annuaire de la Cochinchine« (das.); Friquegnon, Carte de la Cochinchine française, 1: 400,000 (Par. 1901, 4 Bl.); Weiteres s. Französisch-Indochina.

Quelle:
Meyers Großes Konversations-Lexikon, Band 11. Leipzig 1907, S. 542-544.
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