Ficus

[547] Ficus L. (Feigenbaum), Gattung der Morazeen, Milchsaft führende Bäume oder aufrechte oder klimmende, auch epiphptische Sträucher mit meist abwechselnden, ganzrandigen oder gezahnten oder gelappten, bleibenden oder abfallenden Blättern, die vor der Entwickelung in oft verwachsenen, später meist abfallenden Nebenblättern eingerollt liegen. Die Blütenstände stehen einzeln oder zu zweien in den Blattachseln oder an entblätterten Knoten älterer Zweige, mitunter auch an besondern blattlosen Zweigen auf kurzem, mit drei Blättern versehenem oder nacktem Stiel. Die Blüten stehen zahlreich in einem hohlen, kugeligen bis birnförmigen, auf dem Scheitel mit enger Mündung versehenen Receptaculum (und zwar männliche und weibliche in demselben Receptaculum oder getrennt), das zu einer fleischigen, viele Achenen einschließenden Scheinfrucht auswächst. Mehrere Arten entwickeln zahlreiche Luftwurzeln, die bisweilen der mächtigen Krone als Stütze dienen. Die vom Stamm kletternder Arten ausgehenden Haftwurzeln bilden oft um den stützenden Baumstamm einen netzförmigen Mantel (s. Tafel »Epiphyten«, Fig. 5). Ein ähnliches Gitterwerk bilden die über Felsen kletternden Arten, die dann später über dem Felsen einen aufrechten Stamm entwickeln. Die Zweige des letztern haben oft ganz anders gestaltete Blätter als die kriechenden Zweige. Epiphytische Arten keimen in der Regel auf den Zweigen andrer Bäume, ihr Laubwerk unterdrückt schließlich den stützenden Stamm. Dieselbe Art wächst bisweilen selbständig, bisweilen epiphytisch. Etwa 600 Arten in den Tropen, meist auf den Inseln des Indischen Archipels und des Stillen Ozeans, in Ostasien, im Mittelmeergebiet und in Südafrika, wenige Arten außerhalb der Tropen. F. Carica L. (gemeiner Feigenbaum, s. Ta sel »Nahrungspflanzen III«, Fig. 5), ein Baum oder Strauch mit knorrigem, hin und her gebogenem, in Asien bis 1,5 m dickem Stamm, hellgrauen Ästen, gestielten, herzförmigen, handförmig drei- oder fünflappigen oder ungeteilten, rauhhaarigen, abfallenden Blättern, blüht im Herbst oder Frühjahr und trägt gewöhnlich einzeln stehende, birnförmige Scheinfrüchte (Feigen) in drei Formen. Gegen Ende des Winters entstehen am obern Teil der vorjährigen Äste die Orni (profichi, bei den eßbaren Feigen Grossi) mit nur weiblichen Blüten. Alle übrigen Feigen entspringen aus den Blattwinkeln der in demselben Jahr entwickelten Zweige; am untern Teil stehen die Fornites (mammoni), die vor dem Blattfall reisen und nur sehr selten einzelne (und dann monströse) männliche Blüten enthalten, aber doch keimfähige Samen hervorbringen; am obern die Cratitires (mamme), die nach dem Blattfall den Winter hindurch bleiben und keine männlichen Blüten enthalten. Die Grossi des kultivierten Baumes bleiben stets steril. Neben zahllosen Varietäten des kultivierten Feigenbaums kommt noch der sogen. wilde Feigenbaum (Caprificus) vor, dessen Früchte ungenießbar sind und neben weiblichen auch männliche Blüten enthalten, die sich aber erst kurz vor der Fruchtreife entwickeln. Der Feigenbaum ist wahrscheinlich ursprünglich im östlichen Mittelmeergebiet heimisch gewesen, existierte aber am Ende der Pliocänperiode auch in dessen westlichem Teil. Homer und Hesiod kennen ihn nicht; erst Archilochos (700 v. Chr.) erwähnt die Feigen als Produkt seiner heimatlichen Insel Paros. Später hatten Sikyon und Attika die besten Feigen. Hier ließ Demeter dem Phytalos, der sie gastlich aufgenommen, den Feigenbaum als Geschenk aus der Erde sprießen. Die Kultur des Feigenbaums wurde Führerin zu edlerer Sitte und die Feige bald allgemeines Lebensbedürfnis. Ein Gesetz verbot ihre Ausfuhr aus Attika. Die Denunzianten derjenigen, die gegen dies Gesetz nach auswärts Handel mit Feigen trieben, wurden als Sykophanten gebrandmarkt, ein Wort, das erst später eine andre Bedeutung erhielt (s. Sykophant). Mit der griechischen Kolonisation kam die Feige nach Italien. Romulus und Remus wurden der Sage nach unter einem Feigenbaum von einer Wölfin gesäugt. Zur Kaiserzeit gab es zahllose Kulturvarietäten, und wie noch heute, war die Feige besonders im Süden Volksnahrungsmittel. Gegenwärtig findet sich der Feigenbaum an vielen Orten Europas verwildert; er gedeiht in Frankreich, an der Südküste Englands und noch in den südlichen Rheinländern, wird aber in Norddeutschland meist als Kalthauspflanze behandelt. Im Süden wird er hochstämmig gezogen; bei uns gedeiht er am besten in Spalierform an südlichen Mauern, verlangt aber im Winter sehr gute Deckung. Man vermehrt ihn durch Ableger und Wurzelausläufer. Das Reisen der Früchte wird sehr beschleunigt, wenn man, sobald sie ausgewachsen sind und sich zu verfärben beginnen, in das Auge derselben einen Tropfen Olivenöl bringt. In den südlichern Ländern spielt die Feigenwespe (Blastophaga grossorum Grav.) an manchen Orten eine große Rolle bei der Feigenkultur. Sie entwickelt sich in den Blüten, das Männchen schlüpft aus, befruchtet das Weibchen, und dieses nimmt aus der fast reisen Feige Blütenstaub mit, um in eine Feige der folgenden, halb herangewachsenen Generation zu gelangen, wo es seine Eier in weibliche Blüten legt. Diese verwandeln sich dadurch in Gallen mit tauben Samen. Man pflanzt nun wilde Feigenbäume in die Feigengärten oder hängt dessen mit Feigenwespen erfüllte reife Früchte auf die Zweige des kultivierten Feigenbaums, wenn dessen Früchte noch jung sind. In letztern gelingt das Anbohren der weiblichen Blüte und das Ablegen der Eier dem Insekt nicht, wohl aber bestäubt es die weiblichen Blüten mit dem mitgebrachten Pollen und bewirkt dadurch die Entwickelung keimfähiger Samen in vollkommen ausgebildeten Feigen. Diese Manipulation[547] (Kaprifikation) war ursprünglich vielleicht unabweislich, solange noch die nicht vom Insekt besuchten Fruchtstände vor der Reise abfielen (wie noch heute beim Caprificus), gegenwärtig aber wird sie nicht überall ausgeübt, und es scheint, als habe der kultivierte Feigenbaum vielfach die Fähigkeit erworben, auch ohne Bestäubung der Blüten und ohne Entwickelung keimfähiger Samen saftige und süße Früchte zu produzieren.

Die Feige bekommt bei uns nur selten den rechten Wohlgeschmack. Man unterscheidet gelbliche, grünliche, purpurrote, braune und fast schwarze; sie sind birnförmig, sehr zartschalig und enthalten gallertartiges, durchscheinendes, goldgelbes, rötliches oder purpurrotes Fleisch. An lustigen, schattigen Orten oder in Ofen getrocknete Feigen bilden einen bedeutenden Handelsartikel; sie sind hell gelbbraun, oft mit einem zarten weißen, mehligen Überzug, der aus Traubenzucker besteht, innen fleischig trocken oder durchscheinend musartig. Die besten sind die Smyrnaer Tafelfeigen, die in Schachteln oder Kisten zusammengedrückt in den Handel kommen und sich durch seinen, honigartigen Geschmack auszeichnen. Die griechischen Feigen, besonders die von Korfu (Fraccagani) und die Kranzfeigen, die meist zu 100 Stück auf Bastschnüre gezogen und dabei platt gedrückt werden, sind dickschaliger, weniger süß, aber haltbarer als die Smyrnaer. Die bessern von dieser Sorte heißen Calamata. Die kalabresischen Feigen kommen meist in Körben zu uns (Korbfeigen). Ihnen ähnlich sind die mit Mehl bestäubten Istrianer und Dalmatiner Faßfeigen. Die sorgfältig gepackten Feigen aus Südtirol, Frankreich und Spanien kommen wenig zu uns. Man benutzt Feigen meist als Bestandteil des Desserts, wenig zu erweichenden Umschlägen, zu Brusttee und als Sirup, hier und da auch zur Bereitung von Spiritus. Getrocknet und braun geröstet liefern sie den Feigenkaffee, der etwa 74 Proz. in Wasser lösliche Bestandteile (34 Proz. Zucker) und nicht über 20 Proz. Wasser enthalten soll. Er erteilt echtem Kaffee, in mäßiger Dosis beigemischt, schöne Farbe und einen vielfach beliebten Geschmack. Der Wiener Kaffee soll seinen Ruhm dieser Beimischung verdanken. Die Feigen enthalten die gewöhnlichen Fruchtbestandteile und in dem gewöhnlichen halbtrocknen Zustand etwa 60–70 Proz. Zucker. Sie halten sich wenig länger als ein Jahr und unterliegen dem Schimmel, den Milben und dem Insektenfraß; auch entwickelt sich in ihnen ein säuerlicher scharfer Geruch und Geschmack. Feigenkäse aus Spanien und Portugal wird aus den auserlesensten Feigen, geschälten Mandeln, Haselnüssen, Pinien, Pistazien, seinen Kräutern und Gewürzen bereitet und in Form eines Käses zusammengepreßt. Ähnlich ist der griechische Feigenkuchen aus halb getrockneten Feigen und Thymian, wohl auch mit Mandeln und Nüssen zusammengepreßt und im Ofen getrocknet. Das Holz des Feigenbaums ist leicht, zart und schwammig. Die alten griechischen Ärzte brauchten die Blätter, die einen scharfen Milchsaft enthalten, zu Umschlägen bei Geschwülsten, Warzen und Feigwarzen. Des Milchsaftes des Feigenbaums bedienten sich die alten Maler als Bindemittels der Farben. F. Sycomorus L. (Maulbeerfeigenbaum, ägyptischer Feigenbaum), in Ägypten und im ganzen Orient, hat 12 bis 15 m hohen, bisweilen 10 m dicken Stamm, große, weite, schlaffe Krone, eirunde, herzförmig-eckige, auf beiden Seiten glatte Blätter und in Doldentrauben zusammenstehende, kleine Früchte (Maulbeerfeigen, Pharaofeigen, Adamsfeigen, ägyptische Feigen). Diese sind 2–3 cm lang, birnförmig, schmutzig weiß und grün gestreift, mit vielen lanzettlichen, blaßroten Schuppen besetzt, schmecken süß und gewürzhaft und werden häufig gegessen, sind aber schwer verdaulich. Das Holz (s. Tafel »Nutzhölzer II«, Fig. 10) ist sehr dauerhaft, fast unvergänglich, und diente zur Anfertigung der Mumiensärge. F. religiosa L. (heiliger Feigenbaum, Pappelfeigenbaum, Pipal, Asvatha, s. Tafel »Epiphyten«, Fig. 5) ist ein hoher Baum Ostindiens mit großer, hoher Laubkrone, langgestielten, rundlich-eiförmigen, in eine lineal-lanzettliche Spitze verlängerten, beständig im Winde spielenden Blättern und kleinen eßbaren Früchten. Dieser Baum ist heimisch in der untern Waldregion am Himalaja, in Bengalen, Zentralindien, er wird besonders häufig in Indien und auf Ceylon angepflanzt und ist den Buddhisten heilig, weil unter ihm die Inkarnation Buddhas erfolgte. Aus seinem Milchsaft bereitet man Kautschuk, auch liefert er Bastfasern zu Seilen, und eine Schildlaus, Coccus laccae Ker., veranlaßt durch Stiche in die jungen saftigen Triebe die Bildung von Gummilack. F. elastica Roxb. (Gummibaum, s. Tafel »Kautschukpflanzen II«, Fig. 4). Er wird bei uns als fast unverwüstliche Zimmerpflanze kultiviert (s. Tafel »Blattpflanzen II«, Fig. 10). F. bengalensis L. (F. indica Roxb., Banyan, fälschlich Banianenbaum, Baniane), ein Baum Ostindiens in den Wäldern am Fuße des Himalaja und in den niedrigen Gebirgen des südlichen Indien, mit sehr dickem Stamm, großer, breiter, flacher Krone mit länglichen, stumpfen, am Grunde fast herzförmigen tiefgrünen, glänzenden Blättern und in den Blattachseln paarweise stehenden, kugeligen, weichhaarigen Blütenkuchen. Der Baum wächst anfangs gewöhnlich epiphytisch auf andern Bäumen, die er aber bald zerstört. Von den horizontal verlaufenden Ästen gehen Luftwurzeln herab, greifen in den Boden ein und werden bald zu neuen Stämmen. So wächst der Baum nach allen Seiten hin durch Jahrtausende fort und bildet einen Wald, der Tausende von Menschen aufnimmt. Er ist den Brahmanen heilig. Der Banyan liefert Kautschuk, Gummilack und Bastfasern. Die Früchte sind genießbar. Auch mehrere andre Arten liefern Kautschuk, und von F. ceriflua Jungh., auf Java (und Sumatra), stammt vegetabilisches Wachs. F. australis W. aus Neuholland, F. macrophylla Roxb., aus Ostindien, u. a. werden als schöne Gewächshauspflanzen bei uns kultiviert, besonders auch F. stipulata Thunb. (s. Tafel »Blattpflanzen II«, Fig. 6), aus China und Japan, mit kleinen herzförmigen Blättern, sehr üppig wachsend, an Wänden und Stämmen emporkletternd, im Alter aber wie unser Efeu einen aufrechten Stamm bildend. F. domestica Roxb. (traubiger Feigenbaum), ein ungeheurer Baum mit einem Stamm, der aus mehreren zu bestehen scheint und an den Wurzeln so große Kammern bildet, daß man sich darin verbergen kann, wird in Indien auf den Märkten gepflanzt wegen des großen Verbrauchs der jungen Blätter, die vom gemeinen Volk roh zu Fischen gegessen werden. F. Roxburgbii Wall, ein indischer Waldbaum, dessen Blütenstände nahe am Grunde des Stammes hervortreten (s. Tafel »Stammfrüchtler«, Fig. 5). Vgl. Gasparrini, Nova genera, quae super nonnullis Fici speciebus struebat (Neapel 1841); Derselbe, Ricerche sulla natura de I caprifico e del fico e sulla caprificazione (das. 1845); v. Solms-Laubach, Herkunft, Verbreitung und Domestikation[548] des gewöhnlichen Feigenbaums (Göttingen 1882); Mayer, Zur Naturgeschichte der Feigeninsekten (in den »Mitteilungen aus der zoologischen Station zu Neapel«, 1882).

Quelle:
Meyers Großes Konversations-Lexikon, Band 6. Leipzig 1906, S. 547-549.
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