Trieb [1]

[707] Trieb, soviel wie junger Sproß. Im psychologischen Sinne die Tendenz gewisser Gefühlszustände, sich unmittelbar in zweckmäßige, d. h. solche Bewegungen umzusetzen, die geeignet sind, ein vorhandenes Unlustgefühl zu beseitigen, bez. ein Lustgefühl zu erzeugen. Letzterer Umstand unterscheidet die Triebäußerungen von den (unwillkürlichen) Bewegungen, die alle Gemütszustände, insonderheit die Affekte (Schreck, Zorn etc.), begleiten, und erweckt bei äußerlicher Betrachtung leicht den Schein, als ob sie aus vorausblickender Absicht hervorgingen. In Wahrheit fehlt jedoch bei dem T. in seiner ursprünglichsten Form jede Vorstellung nicht nur des zu erreichenden Zweckes, sondern auch der auszuführenden Bewegung, was unzweideutig durch die Existenz angeborner, vor jeder entsprechenden Erfahrung sich regender Triebe (Nahrungs- und Geschlechtstrieb) bewiesen wird. Unterscheidet sich hierdurch der T. von der Willenstätigkeit im engern Sinne, so darf er anderseits auch nicht mit dem rein physiologischen Reflex verwechselt werden, bei dem durch einen Sinnesreiz vermöge bestimmter, im Zentralnervensystem gegebener Verbindungen sensorischer und motorischer Fasern ganz mechanisch, und ohne daß dieser Vorgang irgendwie zum Bewußtsein kommt, eine Bewegung ausgelöst wird; vielmehr nimmt der T. zwischen beiden eine mittlere Stellung ein. Den Reflexen am nächsten stehen die jedem Wesen angebornen sinnlichen Triebe, zu denen unter andern die Instinkte (s. d.) der Tiere gehören, denn hier muß, ist erstmaliges, unabhängig von jeder Erfahrung erfolgendes Hervortreten (z. B. die ersten Schwimmversuche junger, von Hühnern ausgebrüteter Enten) zu erklären, zweifellos eine organische Anlage angenommen werden, die mit bestimmten Sinnesreizen (dem Anblick des Wassers) die Ausführung bestimmt er Bewegungen verknüpft; obwohl das bisweilen selbst bei den tierischen Instinkten zu beobachtende Irregehen der Triebe beweist, daß diese Verknüpfung nicht so fest ist wie bei den eigentlichen Reflexen. Nach wiederholter Befriedigung eines Triebes kann aber schließlich (z. B. beim menschlichen Geschlechtstriebe) die Vorstellung der Gegenstände oder Handlungen, durch die er befriedigt wird, gleichzeitig mit ihm selbst ins Bewußtsein treten und er kann so die Form eines seines Zieles bewußten Begehrens annehmen, aus dem sich dann weiterhin die eigentlichen Willenshandlungen entwickeln. Hierauf beruht es, daß sich die meisten Triebhandlungen (selbst die Instinkthandlungen) durch Übung vervollkommnen, indem die Intelligenz mehr und mehr Einfluß auf sie gewinnt. Dies ist besonders beim Menschen der Fall; die geringe Zahl und geringe Bestimmtheit der ererbten Dispositionen, die dieser mit zur Welt bringt, macht es, daß er bei der Geburt das ungeschickteste und zugleich das entwickelungsfähigste Geschöpf ist. Man teilt die sinnlichen Triebe in der Regel in die Hauptformen der Selbsterhaltungs- und Gattungstriebe, erstere wieder in einen Nahrungs-, Schutz- etc., letztere in Geschlechts-, elterliche und soziale Triebe ein. Auf der höhern Stufe des menschlichen Seelenlebens kommen hierzu noch die (an die höhern Gefühle gebundenen) intellektuellen und moralischen Triebe. Vgl. G. H. Schneider, Der tierische Wille (Leipz. 1880).

Quelle:
Meyers Großes Konversations-Lexikon, Band 19. Leipzig 1909, S. 707.
Lizenz:
Faksimiles:
Kategorien: