Schimmel [1]

[804] Schimmel, gewöhnliche Bezeichnung einer Anzahl Pilze (Schimmelpilze, Hyphomyzeten), die als faseriger, flockiger oder staubiger, weißer, grauer, bläulichgrüner, gelblicher, rötlicher, bräunlicher oder schwärzlicher Überzug auf abgestorbenen, tierischen oder pflanzlichen Körpern oder organischen Stoffen der verschiedensten Art sich bilden und den Beginn einer Fäulnis der betreffenden Substanzen anzeigen. Die Schimmelpilze gehören sehr verschiedenen Gattungen, Familien und selbst Ordnungen an; sie werden vorzugsweise nach ihren Fruktifikationsorganen unterschieden; auch findet man auf gewissen Substraten fast immer nur bestimmte Arten, während andre auf allen möglichen Körpern sich ansiedeln. Nur die Mukorazeen und ähnliche Zygomyzeten stellen in der Form des Schimmels den vollständigen Pilz dar; alle übrigen Schimmelpilze sind nur die Entwickelungszustände andrer Pilze, besonders aus der Klasse der Askomyzeten. Zumal sind es die mit sogen. Konidien ausgestatteten Formzustände, die als S. aufzutreten pflegen, und nur unter gewissen Umständen entstehen erst nach der Konidienbildung auf den Mycelien die höhern Fruchtformen, die übrigens noch nicht von allen Schimmelpilzen vollkommen bekannt sind. Zu den verbreitetsten Schimmelarten gehört der Kopfschimmel (Mucor Mucedo, s. Tafel »Pilze III«, Fig. 1), dessen Sporen auf geeigneter Unterlage zunächst ein flach ausgebreitetes, stark verästeltes Fadengeflecht (Mycelium, Fig. 1 B bei m) hervorbringen; dessen an der Spitze weiterwachsende Fäden breiten sich horizontal nach allen Seiten aus und erzeugen alsbald zahlreiche vertikal von der Oberfläche sich erhebende Fruchthyphen (Fig. 1 B bei g), die bei schwacher Vergrößerung wie ein kleiner Wald erscheinen. An der Spitze der Fruchthyphen entstehen in kugeligen Behältern (Sporangien, Fig. 1 A) zahlreiche rundliche Sporen, die zuletzt frei werden und in dieser Periode die staubige Beschaffenheit des Schimmels bedingen; sie vermögen durch Keimung auf geeignetem Nährboden sofort neue Mycelien zu bilden und stellen also die leichtbeweglichen, als mikroskopisch seiner Staub durch die Luft verbreiteten Keime des Schimmels dar. Von andern Schimmelpilzen wachsen der dem vorigen ähnliche Mucor stolonifer (s. Mucor): der graugrüne Pinselschimmel (Penicillium glaucum, s. Tafel »Pilze IV«, Fig. 2), auf allen möglichen organischen Substanzen; letzterer stellt die Konidienform einer Perisporiazee dar, der Kolbenschimmel (Aspergillus s. d.) wächst auf eingemachten Früchten und andern faulenden Pflanzenteilen, der Milch-Eischimmel (Oidium lactis), besonders auf verdorbener Milch, auch auf andern Nahrungsstoffen (s. Oïdium). Häufig begegnet man auch dem Cephalothecium roseum, das auf faulenden Pflanzenteilen weißen oder blaßroten S. darstellt, desgleichen dem Acrostalagmus cinnabarinus, der einen ziegelroten S. an faulenden Vegetabilien bildet. Zu den Schimmelpilzen wird ferner eine Reihe von Pilzen gestellt, die wahrscheinlich zu den Pyrenomyzeten gehören, wie Cercospora beticola, die eine verderbliche Blattkrankheit auf Zuckerrüben hervorruft, Dactylium oogenum, das im Innern von Hühnereiern auf dem Dotter schwarze Flecke erzeugt, u.a. Schimmelpilze wirken manchmal als Krankheitserreger, indem sie sich namentlich in den obern Luftwegen (Nase und deren Nebenhöhlen, Luftröhre), in den Gehörgängen und am Trommelfell, auch im Magen und Darm und in Zerfallshöhlen der Lunge (Pneumonomykose) ansiedeln. Sie erzeugen hier durch starke Wucherung oft umfangreiche Pilzrasen und durch den auf die Umgebung ausgeübten Reiz Entzündung und Eiterung. Seltener dringen sie in die Gewebe selbst[804] unter Eiterentwickelung ein. Am häufigsten handelt es sich dabei um Aspergillurarten. Vgl. Sticker, Pneumonomykosis aspergillina (in Nothnagels »Pathologie und Therapie«, Wien 1900). Auch Haut-, Haar- und Nagelerkrankungen werden durch S. hervorgebracht. Über Erkrankungen von Tieren durch Schimmelpilze s. Gift (Vergiftungen bei Haustieren). Als S. bezeichnet man endlich auch gewisse üppig entwickelte, aber steril vorkommende Myceliumformen, die sich an dumpfen, der Luft und dem Licht entzogenen Orten entwickeln, wie das Kellertuch (Rhacodium cellare), das in Kellern an alten Fässern und sonstigem Holzwerk oft mehrere Fuß ausgebreitete, dicke, samtartig weiche, schwarze, grün schillernde, aus verfilzten Myceliumfäden gebildete Überzüge darstellt, oder wie die Wetterzotte (Schwindfaser, Hypha floccosa), die sich wie baumwollartige, an der Luft zusammenfallende schneeweiße Fäden in Bergwerken zeigt. Diese Bildungen sind den Rhizomorphen (s. Rhizomórpha) ähnlich und stellen wie diese sterile Mycelzustände vermutlich von Hymenomyzeten dar.

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Meyers Großes Konversations-Lexikon, Band 17. Leipzig 1909, S. 804-805.
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