Landschaft [1]

[121] Landschaft, jeder Ausschnitt der Erdoberfläche, den wir von einem bestimmten Standort aus zu überblicken vermögen, bis im Horizont oder Gesichtskreis Erde und Himmel zusammenzustoßen scheinen. Jede L. kann unter einem naturwissenschaftlichen, unter einem künstlerischen oder unter einem kulturgeschichtlichen Gesichtspunkte betrachtet werden. Die schildernden Reisewerke und Länderkunden stellen zumeist den erstern Gesichtspunkt voran, und zwar sucht man jetzt gerade diese einzelnen Züge im »Antlitz der Erde« oder aus der geologischen Entwickelung der jeweiligen L. zu deuten (vgl. Berg und Gebirge), während die frühern Autoren mehr den Schwerpunkt auf den künstlerischen Standpunkt legten, den neuerdings z. B. Th. Vischer in dem Abschnitt über das Naturschöne in seiner »Ästhetik« vertritt, sowie M. Haushofer in dem Buche »Die L.« (Leipz. 1903), dieser allerdings auch unter Heranziehung des naturwissenschaftlichen und kulturgeschichtlichen Gesichtspunktes. Über »Naturschilderung« hinterließ F. Ratzel ein Buch (Münch. 1904); hauptsächlich für die britischen Inseln hat der Geolog A. Geikie in seinem letzten Buche »Landscape in history and other essays« (Lond. 1905) geistvolle Gedanken niedergelegt. Das Aussehen einer L. hat naturgemäß mit der geologischen Entwickelung bedeutend gewechselt, die Geologie versucht unter Heranziehung der vorweltlichen Floren und Faunen und der noch jetzt auf der Erde wirksamen Kräfte das Landschaftsbild auch der frühern Erdperioden zu rekonstruieren. Eine solche »Geschichte der L.« entwirft in knappen Zügen auch M. Haushofer von der Urzeit der Erde bis zur Herausbildung der heutigen Klimagürtel und bis zur Eiszeit, deren bedeutsame Spuren in der Alten wie in der Neuen Welt im heutigen Landschaftsbild sich noch gut verfolgen lassen an der Rundhöckerbildung, den Gletscherschliffen, an den von der mächtigen Decke des Inlandeises nach Gegenden niederer Breite transportierten Gesteinen der Erd- und der Grundmoränen, an den von den Schmelzwässern hergestellten gewaltigen Tälern etc. Beim Einrücken des Menschen in die irdische L. waren bereits alle Abstufungen von den eisigen Wüsten in der Umgebung der Pole bis zu der strotzenden Üppigkeit tropischer Fluren vorhanden. Erst spät wurde die L. durch den Menschen wesentlich verändert, große Flächen namentlich durch den zunehmenden Ackerbau in Kultursteppen umgewandelt. Aber auch heute tritt der Mensch nur in kleinern Bruchteilen der Gesamtoberfläche als wirklicher Feind der L. auf, wie namentlich in den nordamerikanischen, englischen, belgischen und deutschen Industriebezirken, hier z. B. in Schlesien, Sachsen und im Rheingebiet. Hier sanken allerdings Wald und Busch unter den Streichen der Bewohner dahin. An vielen Stellen der Erde herrscht indes auch heute noch die ursprüngliche Schönheit und Naturbeschaffenheit, wie sie z. B. Alexander v. Humboldt in den »Ansichten der Natur« so meisterhaft geschildert hat. Von ihm wurden zuerst die Vegetationsformen berücksichtigt, die dem jeweiligen Landschaftsbild sein charakteristisches Gepräge verleihen.

Stets haben zwei ganz verschiedene Gruppen von Kräften auf die irdische L. eingewirkt: die exogenen und die endogenen. Unter den exogenen Kräften spielt namentlich die von der Sonne nach der Erde ausstrahlende Wärme die größte Rolle; bewirkt sie doch vor allem die rastlose Tätigkeit im Kreislauf der Gewässer, veranlaßt sie doch deren Verdunstung und damit auch wieder die Niederschläge, die Befeuchtung der Erdrinde, die Bewegung des Luftmeeres, die Bildung und Veränderung der Pflanzen- und Tierwelt sowie alle Umgestaltungen, die das rinnende Wasser an der Erdrinde vornimmt. Sie läßt die Gebirge durch Wasser und Eis zernagen und schafft deren Bestandteile nach den Tälern, den Niederungen und dem Meeresboden zu; sie trägt somit unausgesetzt die Erde ab, aber sie befruchtet und belebt auch das Felsengerüst der letztern an zahlreichen Stellen.

Die endogenen Kräfte arbeiten hingegen unter der Erdoberfläche und wandeln die Erdrinde von innen heraus um: hierher gehören die vulkanischen Erscheinungen, die Erdbeben und die Bewegung der Kruste bei der Gebirgsbildung. Diese Kräfte pressen die Rinde zusammen, so daß sie sich faltet, oder es treten Verschiebungen in vertikaler Richtung auf (Verwerfungen, Brüche) und bringen besonders in der Nähe der letztern Teile aus größern Tiefen an die Oberfläche empor. Diese beiden Kräftegruppen haben bereits unendlich lange Zeiträume hindurch zerstört und aufgebaut, bevor der Mensch seine immerhin bescheidene umgestaltende Arbeit auf der bereits stark alternden Erde begann; sie wirken auch noch heute unablässig gestaltend fort. Während aber nur an einzelnen Stellen, in den Vulkangebieten der Erde in Form von Stein- und Aschenregen, von Lavaergüssen, siedenden Wasserfontänen und Schlammausbrüchen innere Teile empordringen oder nur gewisse Gegenden durch unterirdische Kräfte besonders lebhaft erzittern, arbeiten die exogenen Kräfte ununterbrochen an der gesamten Erdoberfläche und sind daher für die Ausprägung des Landschaftsbildes von ungleich größerer Bedeutung. Zur Verwitterung, zur Veränderung der Oberflächenformen durch fließende Wasser und Eis gesellt sich, besonders in den abflußlosen, meist zugleich auch regenarmen Gebieten, noch die Windwirkung hinzu. Die hier meist durch sehr grelle Temperaturwechsel angehäuften Verwitterungsprodukte fallen zum Teil dem Windgebläse anheim, das mit Hilfe von Sand und Staub auch harte Felsen zerscheuert, das lockere Material fortführt und an oft weit entfernten Stellen in Form von Löß oder Dünen wieder ablagert.

Jede L. ist im allgemeinen aus vier Grundelementen zusammengesetzt: der steinernen Erdrinde oder dem Felsengerüst, dem Wasser, der Pflanzendecke und dem Himmel oder der Atmosphäre mit ihren Luft- und Lichterscheinungen. Allerdings kann im Einzelfalle das eine oder andre dieser vier Elemente[121] fehlen, denn es gibt z. B. Waldlandschaften ohne den geringsten Durchblick nach dem Himmel, oder so dicht bewachsene Erdstellen, daß keine Spur von dem Felsengerüst der Erdkruste zu erkennen ist, ja auch das belebende Wasser fehlt manchen Landschaften gänzlich, wie vielen Steppen und Wüstengebieten.

Bereichernd gesellen sich diesen vier Elementen noch die Tierwelt und die mannigfachen Spuren des Menschenlebens hinzu; letztere lassen die L. bald als Ernährerin, bald als Wohnstätte des Menschen erscheinen. Jede L. zeigt Farben und Formen; die erstern sprechen mehr zur schauenden Empfindung, die letztern sind dauerhafter und wenden sich mehr an den Verstand: Schönheit können beide im reichsten Maße bieten. Der Wiedergabe dieser landschaftlichen Eindrücke im Laufe der Jahrhunderte durch die Malerei einerseits und das schildernde Wort anderseits sind besonders die genannten Schriften von M. Haushofer und von F. Ratzel gewidmet; ersterer geht namentlich auch auf die Bedeutung der genannten Hauptelemente (Untergrund, Wasser, Pflanzenwelt, Licht und Luft, Tier- und Menschenleben) genauer ein, während Ratzel das Schöne und Erhabene in der Natur, das Sichhineindenken und Sicheinfühlen in dieselbe sowie die Kunst der Naturschilderung in Wort und Bild eingehend berücksichtigt. Weiteres s. Landschaftsmalerei.

Quelle:
Meyers Großes Konversations-Lexikon, Band 12. Leipzig 1908, S. 121-122.
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