Flagge

[652] Flagge (engl. Flag, franz. Pavillon, ital. Bandiera; hierzu Tafel »Flaggen I-III«, mit Textblatt), das Erkennungszeichen für die Staatsangehörigkeit des Schiffes, für das Kriegsschiff außerdem das Ehrenzeichen ähnlich der Fahnen des Heeres. Außerdem führen Schiffe Flaggen als Signale, als Merkmale für die Reeder (Signal-, Kontor- oder Hausflaggen, s.d.). Auf Kriegsschiffen bezeichnen gewisse Flaggen die Gegenwart des Kaisers, von Fürsten, Prinzen etc. sowie den Rang des befehligenden Admirals. Die F. besteht aus leichtem wollenen gefärbten Flaggentuch, ist meist rechteckig, aber auch dreieckig oder ausgezackt. Alle Flaggen werden an Flaggleinen gehißt, die meist durch die Flaggenknöpfe der Masttoppen oder der Flaggenstangen am Heck geschoren sind. Die Zeichnung der Flaggen ist auf beiden Seiten gleich. Als Nationalflagge gilt für Kriegsschiffe und Festungswerke die Kriegsflagge, für Handelsschiffe und Lustjachten die Handelsflagge; nur in wenigen Staaten sind Kriegs- und Handelsflagge gleich.

Die Reichskriegsflagge ist in mehreren Größen vorhanden: die sogen. Staatsgaffelflagge Nr. I in der deutschen Marine ist 7,85 m lang und 4,7 m breit; außer dieser größten verwendet man dort noch sechs kleinere. Auf hoher See wird die F. des Kriegsschiffs der Schonung wegen niedergeholt, aber sofort gehißt, wenn andre Schiffe in Sicht kommen. Die Handelsschiffe sind den Kriegsschiffen gegenüber zum Hissen der Nationalflagge (Handelsflagge oder Kauffahrteiflagge) verpflichtet. In Sicht von[652] Festungswerken, auf denen die Nationalflagge weht, hat jedes Schiff seine F. zu zeigen. Nur unter eigner Kriegsflagge darf ein Schiff den Kampf aufnehmen, die Führung einer falschen F. beim Angriff gilt als Verrat. Das Streichen oder Niederholen, d. h. die Beseitigung der F. ist das Merkmal der Ergebung, und gegen Kriegsgebrauch verstößt es, dann nochmals den Kampf zu beginnen. Im Hafen geschieht das Hissen und Niederholen der F. unter Feierlichkeiten (Flaggenparade). Gehißt wird die F. an der Gaffel des Hintermastes oder am Flaggstock auf dem Heck. Die halbstocks gehißte, d. h. halb aufgezogene F. zeigt einen Todesfall an Bord an; die verkehrt aufgezogene oder inmitten zusammengebundene F. in Schau (an irgend einer Stelle) bedeutet »Schiff in Not«. Außer der Kriegsflagge wird im Hafen auf Kriegsschiffen auch eine F. am Schiffsbug »gesetzt«, d. h. ausgezogen. Diese Gösch ist für einige Seemächte der Nationalflagge gleich, bei andern weicht sie von der Hauptflagge ab. Sie wird nur vor Anker gehißt. Vgl. die Übersicht der Nationalflaggen auf dem Textblatt zu beifolgenden Tafeln, zu denen die Tafel »Deutsche Flaggen« im 4. Bd. (bei S. 799) eine Ergänzung bildet.

Zur Verständigung miteinander führen alle Seeschiffe Signalflaggen und zwar: rechteckige Flaggen, Stander (mit dreieckigem Ausschnitt oder selbst dreieckig) und Wimpel (lang, schmal und spitz auslaufend). Man unterscheidet unter den Signalflaggen die Flaggen des internationalen Signalbuches (s. Tafel II u. S. IV des Textblattes), deren jede einen Buchstaben bedeutet (vgl. Signalwesen zur See); ferner die Signalflaggen der Kriegsmarinen, deren Signale Geheimnis bleiben; dann die Lotsenflaggen, die das Bedürfnis zur Aufnahme eines Lotsen melden. Hierher gehört ferner der Signalbuchwimpel, der den Wunsch einer Unterhaltung nach dem Signalbuch zu erkennen gibt, er wird unter der Nationalflagge gehißt; auf dem angeredeten Schiffe wird derselbe Wimpel gehißt, wenn das Signal verstanden ist. Die Parlamentärflagge (weißes Flaggentuch) schützt Schiffe vor Feindseligkeiten. Mißbrauch der Parlamentärflagge wird als Spionage geahndet. Die schwarze (oder rote) F. hißt jedes Schiff, das Pulver ladet oder löscht. Die gelbe Quarantäneflagge (Q des Signalbuches) verbietet dem Schiff, auf dem sie weht, den Verkehr mit dem Lande. Auch andre Ereignisse werden durch Flaggensignale gemeldet. So meldet z. B. die Flagge P (»B laue Peter«) am Vortopp das zum Auslaufen bereite Schiff; der Heimatwimpel bedeutet, das Schiff ist auf der Heimreise; der Kirchenwimpel an der Gaffel über der Nationalflagge meldet Gottesdienst an Bord. Die Flaggen der Admirale, den Kommodore- und Flottillenstander s. auf Tafel »Deutsche Flaggen« im 4. Band; vgl. auch Admiral. Ähnliche Kommandozeichen sind in allen Kriegsmarinen gebräuchlich; wegen des Kriegsschiffswimpels vgl. Wimpel.

Die Handelsschiffe führen außer der Nationalflagge, die im Hafen und auf aus- oder einlaufendem Schiff, in See jedoch nur ausnahmsweise zur Begrüßung gehißt wird, und außer den Flaggen des internationalen Signalbuches auch die Kontorflagge oder Hausflagge (s.d.), d. h. die des Reeders oder der Reederei, am Großtopp. Kriegs- und Handelsschiffe flaggen bei festlichen Anlässen, d. h. sie schmücken sich mit ihrem Gesamtvorrat von Flaggen an zu diesem Zweck »geschorenen« Leinen. Längsschiffs flaggen die Schiffe germanischer Nationalität, d. h. die Flaggleine ist vom Heck über die Toppen der Masten bis zum Klüverbaum gespannt. Die Lateiner und Slawen flaggen querschiffs, d. h. jeder Mast hat seine Flaggleine von Bord zu Bord über die Nocken, Rahen und Masttoppen hinweggespannt. Ein derartig geschmücktes Schiff trägt Flaggengala, es hat ausgeflaggt.

Beim Militär heißt F. ein an einer 2,5 m langen Flaggenstange befestigtes Flaggentuch, 1 qm groß, rot für Infanterie, weiß für Kavallerie, gelb für Artillerie, zum Darstellen (Markieren) größerer Truppenkörper durch Abteilungen in geringer Stärke (sogen. Flaggentruppen). Beim Schießdienst werden rotweiße Rahmenflaggen zum Anzeigen der Schüsse, bez. Treffer benutzt. Bei größern Truppenübungen werden die höhern Kommandostäbe bis zur Division herab durch Flaggen bezeichnet.

Die F. des Deutschen Reiches (Reichsverfassung, Art. 55) ist schwarz-weiß-rot; vgl. Tafel »Deutsche Flaggen«, mit Textblatt, im 4. Bd., bei S. 799. Nach der kaiserlichen Verordnung vom 8. Nov. 1892 bildet die Bundesflagge in der durch die Verordnung vom 25. Okt. 1867 für die Schiffe der deutschen Handelsmarine festgestellten Form die deutsche Nationalflagge. Die deutsche Kriegsflagge wird nach kaiserlicher Verordnung vom 4. Mai und 8. Nov. 1892 von der Reichskriegsmarine und den in unmittelbarem Reichsdienst befindlichen Behörden und Anstalten des Heeres geführt. Bestimmung über Form und Größe der Reichskriegsflagge und Gösch enthält die kaiserliche Kabinettsorder vom 19. Dez. 1892. Über die Führung der Kriegsflagge auf den Privatfahrzeugen der deutschen Fürsten bestimmt der kaiserliche Erlaß vom 2. März 1886. Zum Gebrauch der Reichsbehörden, die nicht die Kriegsflagge führen, dient laut Verordnung vom 8. Nov. 1892 und 20. Jan. 1893 die Reichsdienstflagge, d. h. die Nationalflagge mit einem Dienstabzeichen. Preußische Staatsfahrzeuge und Staatsgebäude, die der Seeschiffahrt dienen, führen nach kaiserlicher Order vom 24. Jan. 1894 die Reichsdienstflagge der Marine mit dem preußischen Adler in der Ecke des schwarzen Streifens; ähnliche Flaggen sind in Mecklenburg-Schwerin, Oldenburg und den Hansestädten gleichzeitig eingeführt worden. Deutsche Privatschiffe, die im Auftrag der Reichspostverwaltung die Post befördern, führen die Reichspostflagge. Nach den Reichsgesetzen vom 25. Okt. 1867 nebst Verordnung vom 27. Dez. 1867 und vom 23. Dez. 1888 sind berechtigt und verpflichtet zur Führung der deutschen F., die durch die Kriegsmarine des Reiches geschützt wird, diejenigen Kauffahrteischiffe, die in dem ausschließlichen Eigentum von Reichsangehörigen oder von juristischen Personen etc. mit dem Sitz im Bundesgebiet stehen, in das Schiffsregister eingetragen sind und hierüber ein Flaggenzeugnis (Flaggenattest) von der Registerbehörde erhalten haben (s. Schiffsregister). (Sie besitzen das deutsche Flaggenrecht, vgl. Reichsgesetz vom 22. Juni 1899.) Für Schiffe, die im Ausland in deutsches Eigentum übergehen, tritt ein vom Konsul erteiltes Flaggenattest an die Stelle, das regelmäßig nur für ein Jahr gilt. Nach dem Reichsgesetz vom 15. April 1885 dürfen ferner Seefahrzeuge, die für Rechnung von auswärtigen Staaten oder Ausländern im Inland erbaut werden, die Reichsflagge führen, solange sie noch ausschließlich in deutschem Eigentum stehen. Ebenso deutsche Lustjachten, die in offene See gehen. Nach den Reichsgesetzen vom 17. April 1886 und 15. März 1888 über die Schutzgebiete können[653] Eingeborne der letztern durch kaiserliche Verordnung in bezug auf das Recht zur Führung der Reichsflagge den Reichsangehörigen gleichgestellt werden. Schiffe von nichtmehr als 50 cbm Brutto-Raumgehalt sind zur Führung der Reichsflagge nach dem Reichsgesetz vom 28. Juni 1873 auch ohne Registereintrag und Zertifikat befugt. Ein Schiff kann nur in das Schiffsregister desjenigen Hafens eingetragen werden, von dem aus die Seefahrt mit ihm betrieben werden soll (Heimats-, Registerhafen). Bei Führung der Reichsflagge ohne erfüllte Formalien wird der Schiffer (§ 14 des Gesetzes vom 25. Okt. 1867) mit einer Geldbuße bis zu 300 Mk. oder verhältnismäßiger Gefängnisstrafe belegt, wofern er nicht nachweist, daß der unbefugte Gebrauch der F. ohne sein Verschulden geschehen sei. Wird dagegen die deutsche F. von einem Schiffe geführt, das zu deren Führung überhaupt nicht befugt ist, so hat (§ 13) der Führer des Schiffes Geldbuße bis zu 1500 Mk. oder Gefängnisstrafe bis zu 6 Monaten verwirkt; auch kann auf Konfiskation des Schiffes erkannt werden. Über die Folgen mißbräuchlicher oder unberechtigter Führung der Reichsflagge beim Sklavenhandel vgl. Sklaverei. Die Konsuln des Deutschen Reiches haben die Innehaltung der Vorschriften über die Führung der deutschen F. zu überwachen. Durch kaiserlichen Erlaß vom 1. Juli 1896 sind Kapitäne von Handelsschiffen, die der Marine als Reserveoffiziere angehören oder Seeoffiziere a. D. sind, berechtigt, das Eiserne Kreuz in der Flagge zu führen. Das Recht zum Führen der Handelsflagge mit dem Eisernen Kreuz ist abhängig von dem Erwerb eines Flaggenscheins, den der Staatssekretär des Reichsmarineamts erteilt. Nach kaiserlicher Verordnung vom 21. Aug. 1900 sind alle deutschen Kauffahrteischiffe verpflichtet, beim Begegnen von deutschen Kriegsschiffen sowie von Küstenbefestigungen und beim Einlaufen in deutsche Häfen die Nationalflagge zu zeigen.

Von Schiffsbord wehende farbige Fahnen kommen schon im Mittelalter vor. Das Hamburger Schiffsrecht verordnet 1276, daß jeder Hamburger auf seinem Schiff einen roten Flügel führen müsse. Im Lübecker Schiffsrecht ist 1299 von dem Lübschen Flügel (ohne Farbenbezeichnung) die Rede, während das bremische, 1303, gleichfalls einen roten Flügel vorschreibt. Diese Vorläufer der F. wurden am Topp der Masten geführt. Die eigentliche Schiffsflagge erscheint auf alten Abbildungen jedoch erst im 16. Jahrh., schon Furttenbachs »Architectura navalis« von 1629 gibt eins der ältesten Flaggenbilder. Bis zur Mitte des 17. Jahrh. kennzeichnete die F. nur den Heimatshafen: so viel Seeplätze, so viel Flaggen; selbst die seemächtige Hansa besaß keine gemeinsame F. Die Hamburger F. wird vielleicht zuerst in Fourniers »Hydrographie« von 1643 beschrieben: rotes Flaggentuch mit drei weißen Türmen. Vgl. F. Reinecke, Deutsches Flaggenhandbuch, Flaggenrecht und Flaggenzeremoniell (Hannov. 1900).

Quelle:
Meyers Großes Konversations-Lexikon, Band 6. Leipzig 1906, S. 652-654.
Lizenz:
Faksimiles:
652 | 653 | 654
Kategorien:

Buchempfehlung

Diderot, Denis

Die geschwätzigen Kleinode oder die Verräter. (Les Bijoux indiscrets)

Die geschwätzigen Kleinode oder die Verräter. (Les Bijoux indiscrets)

Die frivole Erzählung schildert die skandalösen Bekenntnisse der Damen am Hofe des gelangweilten Sultans Mangogul, der sie mit seinem Zauberring zur unfreiwilligen Preisgabe ihrer Liebesabenteuer nötigt.

180 Seiten, 9.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Geschichten aus dem Biedermeier II. Sieben Erzählungen

Geschichten aus dem Biedermeier II. Sieben Erzählungen

Biedermeier - das klingt in heutigen Ohren nach langweiligem Spießertum, nach geschmacklosen rosa Teetässchen in Wohnzimmern, die aussehen wie Puppenstuben und in denen es irgendwie nach »Omma« riecht. Zu Recht. Aber nicht nur. Biedermeier ist auch die Zeit einer zarten Literatur der Flucht ins Idyll, des Rückzuges ins private Glück und der Tugenden. Die Menschen im Europa nach Napoleon hatten die Nase voll von großen neuen Ideen, das aufstrebende Bürgertum forderte und entwickelte eine eigene Kunst und Kultur für sich, die unabhängig von feudaler Großmannssucht bestehen sollte. Michael Holzinger hat für den zweiten Band sieben weitere Meistererzählungen ausgewählt.

432 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon