Fahne [1]

[267] Fahne (mittelhochd. vane, van, althochd. fano, »Tuch«), ein durch Farbe oder Bild in die Augen fallendes Stück Zeug an einer Stange, diente schon den ältesten Völkern auf ihren Kriegszügen neben andern Feldzeichen zur Unterscheidung der Heeresteile und zur Erhaltung der taktischen Ordnung. Die Inder führten eine große F. mit dem Bilde des Drachen neben vielen bunten Fähnchen. Die alten Ägypter hatten als Feldzeichen Stangen mit hieroglyphischen Sinnbildern, die Perser goldene Adler mit ausgebreiteten Schwingen auf einer Lanzenspitze, die Assyrer Fahnen mit ausgemalten Tauben. Die zwölf Stämme der Hebräer unterschieden sich nach der Farbe und dem Bild ihrer Heerzeichen. Die Griechen führten Fahnen erst seit Lykurg; Sparta hatte als Bild Kastor und Pollux oder auch Herakles, Athen die Eule, den Vogel der Pallas, Theben die Sphinx und Korinth einen zähnefletschenden Wolf. Auch die Römer führten als Feldzeichen (signa) Tierbilder, wie den Adler, die Wölfin, das Pferd, den sagenhaften Minotaurus, den Eber. Später wurde der Adler das alleinige Feldzeichen einer Legion, während für die Manipel der Manipulus, für die Reiterei das Vexillum die F. bildete. Letzteres bestand in einem quadratischen Stück Zeug an einem Stab, der quer an einer Lanze aufgehängt war; das Unterscheidungsmerkmal bildete die Farbe. Unter Aurelian kam ferner der Drache, aus rotem Zeug verfertigt und an vergoldeter, edelsteinbesetzter Stange getragen, in Gebrauch. Das Labarum, ein Stück purpurfarbenes Zeug quer über der Fahnenstange getragen, wurde schon vor Cäsars Zeit geführt, erhielt aber erst durch Konstantin, der ihm eine Fahnenwache von 50 Mann beigab, sein hohes Ansehen. Nach Konstantins Sieg über Maxentius erhielt die Kriegsfahne das Christusmonogramm oder nur das griechische Kreuz; aus ihr entstand die in der katholischen Kirche noch heutigestags gebräuchliche Kirchenfahne (vgl. Donaszewski, Die Fahnen im römischen Heer, Wien 1885). Auch Germanen und Gallier hatten ihre Feldzeichen, aber die eigentliche F. lernten sie erst durch die Römer kennen. Im Mittelalter trug das deutsche Hauptfeldzeichen (Reichsbanner) den Erzengel Michael im Bild, unter Otto II. und seit Friedrich I. den Adler (schwarzer Adler mit des Kaisers Hauswappen auf der Brust im gelben Feld). Otto IV. ließ das Heerbild auf einem Fahnenwagen nach Art des italienischen carroccio (s.d.) führen. Die purpurne Blutfahne, das Zeichen des Kaisertums oder der obersten Lehnsherrlichkeit, wurde bis ins 17. Jahrh. bei der Verleihung der mit dem Blutbann verknüpften Reichslehen durch den Kaiser neben dem Reichsbanner aufgestellt. Das Reichsbanneramt war ein Erzamt, das Leopold I. der neunten Kur (Hannover) verlieh. Kaiser Ludwig der Bayer belehnte 1336 mit der Führung der Reichsfahne den Grafen Ulrich von Württemberg, bei welcher Gelegenheit sie zum erstenmal in den Urkunden des Reiches Sturmfahne genannt wird. Sie wurde dem Feldherrn in der Schlacht vorangetragen. Im Gegensatz zur letztern gab es noch eine Reichsrennfahne, mit deren Führung das Kurhaus Sachsen in der Würde des Reichserzmarschalls belehnt war; sie war schwarz und weiß quergestreift, darin zwei gekreuzte rote Schwerter; im 16. Jahrh. wurden jedoch auch die Fahnen der Reiterei Rennfahnen genannt. Als Zeichen der Vereinigung der Streitkräfte der Nation unter dem Reichsoberhaupt galt die Sturmfahne bis zu Ende des 15. Jahrh. Seitdem waren die Fahnen der kaiserlichen, fürstlichen und ständischen Truppen verschieden, der Adler schmückte nur die der erstern. Lehensherren, denen bis 100 streitbare Männer folgten, führten ein längliches Banner und hießen Bannerherren. In Frankreich sammelten die Gaugrafen ihre Vasallen und Mannen unter dem Gonfanon oder Gonfalon, seit der dritten Königsdynastie kamen Pennous, lange Wimpel, und Bannières, unsern heutigen Standarten ähnelnde Fahnen, in Brauch. Fast sechs Jahrhunderte lang diente die Kappe des heil. Martin und daneben das mächtige pennon royal, das auf einem Wagen in der Mitte des Heeres gefahren wurde, als F. Frankreichs. Unter Ludwig VI. wurde die oriflamme (Ori-, Auriflamme), eine rote, fünfzipfelige Seidenfahne mit grünen Seitenquasten, von einem Querstab herabhängend, Frankreichs sagenumsponnenes Heerzeichen. Ihr folgten die blaue Königsfahne mit weißem Kreuz und die weiße mit goldenen Lilien übersät (Lilienbanner der Bourbonen). Die letztere mußte unter der Republik der Trikolore weichen. Während des Napoleonischen Kaiserreiches erhob sich ein Adler über der F. (vgl. Bouillé, Les drapeaux français, 2. Aufl., Par. 1874; Desjardins, Recherches sur les drapeaux français, das. 1874). Bei den Türken gilt das Aufstecken der F. des Propheten, der heiligen F., am Serail als Zeichen, sich sofort dem Sultan bewaffnet zu Gebote zu stellen. Mit ihr wird häufig eine andre alte, zerrissene F. aus grüner Seide mit Goldfransen verwechselt, die gewöhnlich mit ins Feld genommen und auf einem Kamel vor dem Großwesir hergetragen wird. Eine rote F. (Blutfahne) feuerte sämtliche Moslems zum Glaubenskrieg auf Leben und Tod an. Den ausgedehntesten Gebrauch machen die Chinesen von den Fahnen, sie sind nach Größe, Form, Farbe und Ausstattung von größter Verschiedenartigkeit, meist von seinem Leinen- oder Seidenstoff gefertigt und tragen Inschriften, Namen, Tierbilder und mystische Zeichen.

Seit dem 17. Jahrh. wurden Fahnen bei den Armeen allgemeiner und tragen in der Regel des Landes Farbe und Wappen. Das seidene Fahnentuch ist in der deutschen Armee quadratisch (1,25 m Seitenlänge); in Preußen weißes Feld mit schwarzem Kreuz oder umgekehrt, in Württemberg rotes, in Bayern und Hessen blaues, in Braunschweig und Reuß orangefarbenes, in Sachsen-Koburg-Gotha und Sachsen-Altenburg dunkelgrünes Feld. In der Mitte befindet sich bei Preußen ein schwarzer Adler, von einem Lorbeerkranz umgeben, in orangefarbenem Feld. In den vier Ecken ist ein Lorbeerkranz mit Krone, Namenszug od. dgl. (vgl. »Geschichte der Königlich Preußischen Fahnen und Standarten seit 1807«, bearbeitet im königlichen Kriegsministerium, Berl. 1889, 2 Bde.; Nachträge 1891 u. 1895). Die neuen königlich sächsischen Fahnen weisen auf der Rückseite in gelbem Felde fünf schwarze Balken mit schräg darüber gelegtem Rautenkranz auf. Die Fahnen werden mit silbernen Nägeln an einer hölzernen Stange befestigt. Eine durchbrochene Metallspitze trägt den Namenszug des Verleihers oder als Auszeichnung für Teilnahme an den Feldzügen von 1813–15 u. 1870/71 das Eiserne Kreuz. Unter der Spitze ist das Banderole befestigt, ein 1,5 m langes Schärpenband mit Quaste, das wegfällt, sobald der F. für Auszeichnung im Felde Kriegsbänder mit den Namen der Schlachten, an denen die Truppe teilgenommen, verliehen sind. Häufig erhalten die Fahnen auch gestickte Fahnenbänder als Zuwendungen fürstlicher Frauen. Säkularbänder werden nur für mindestens 100jährige Dienste verliehen. Die F. dient in den Heeren der[267] Neuzeit den einzelnen Truppenkörpern als weithin sichtbarer Richtungs- und Sammelpunkt, namentlich aber gilt sie als Heiligtum, dessen Verlust Schande über den Truppenteil bringt; daher wird sie bei der heutigen zerstreuten Gefechtsart bei den als Reserven dienenden geschlossenen Abteilungen, speziell der Fahnensektion, zurückgehalten. Naht der Augenblick der Entscheidung, so befindet sich die F. in der Hand eines ältern zuverlässigen Unteroffiziers in erster Reihe unter dem Schutze der Fahnensektion. Einige Armeen nehmen überhaupt keine Fahnen mehr mit ins Feld, in der deutschen nur die Jäger und Pioniere nicht. Der Name desjenigen, der mit der F. in der Hand vorm Feind gefallen, wird auf silbernem, um die Stange gelegten Ring eingegraben. Ebenso werden Verletzungen der F. im Gefecht auf silbernen Ringen dem Gedächtnis überliefert, die häufig allein noch die Stange zusammenhalten. Neuverleihungen von Fahnen sind mit feierlicher Fahnenweihe verbunden; der Kriegsherr oder sein bestellter Vertreter schlägt bei der Nagelung den ersten Nagel ein, der Tuch und Stange verbindet, die Angehörigen des Herrscherhauses und die Vorgesetzten der Truppen beteiligen sich an der Nagelung, worauf die F. durch den Geistlichen geweiht und von dem Kriegsherrn mit einer Ansprache den Truppen übergeben wird. Eine Parade macht den Beschluß. Der Treueid, den jeder Soldat nach dem Eintritt ablegt, wird auf die F. geschworen (Fahneneid, s.d.). Der F. werden auch hohe militärische Ehren erwiesen, und sie erhält zu ihrer Bewachung einen Fahnenposten oder Fahnenwache. Gewöhnlich wird die F. bei dem höchsten Vorgesetzten der Garnison, häufig in Schlössern des Landesherrn untergebracht. Sie wird gewöhnlich vom Fahnenträger, in schützendem Überzug steckend, am Bandelier getragen, nur bei großen Paraden und besonders feierlichen Anlässen sowie im Kriege während des Gefechts wird sie enthüllt. Gesenkt wird sie nur vor dem Landesherrn oder seinem Stellvertreter bei Abnahme einer Parade. Eroberte Fahnen werden als Siegestrophäen an Ehrenplätzen in Kirchen und Zeughäusern aufbewahrt. Im deutschen Heer führt die Infanterie, auch Marineinfanterie, Jäger, Schützen Pioniere und die Eisenbahnregimenter bataillonsweise eine F., bei der Kavallerie hat jedes Regiment eine Standarte (s.d.); die Feldartillerie hat seit 1900 keine F. mehr, dagegen hat jedes Fußartillerieregiment seither eine F., die beim ersten Bataillon zu führen ist. – Fahnen von bestimmter Farbe haben internationale Bedeutung gewonnen; so bedeutet das Aufstecken einer weißen F. die Geneigtheit zur Übergabe, das Vorauftragen einer solchen kündet den Unterhändler an (Parlamentärsfahne). Eine gelbe F. (Pestfahne) verkündete die Ausbreitung einer Epidemie, eine weiße F. mit rotem Kreuz ist das Zeichen der Genfer Konvention. Durch eine schwarze F. werden Pulvertransporte kenntlich gemacht. Die rote F. wurde im 19. Jahrh. das Symbol der Sozialdemokratie. Die Kirchenfahnen haben bereits Erwähnung gefunden; aber auch andre Korporationen. wie Zünfte, Schützengesellschaften, Kriegervereine, Schulen, Universitäten, farbentragende Studentenverbindungen etc., führen mit Emblemen geschmückte Fahnen. In Japan führt auch die Feuerwehr eine »Matoi« genannte F. Auf Wappen kommen Fahnen häufig vor, teils als Helmschmuck oder von Schildhaltern getragen (s. Tafel »Deutscher Reichsadler und Kaiserwappen«, Bd. 4, S. 799), teils hinter dem Schild aufgestellt. Gewöhnlich tragen dann die Fahnen entweder die Figuren des Schildes (mit dem Vorderteil nach der Stange zu liegend) oder besondere Gnadenzeichen und sind am Rand eingefaßt und befranst. Auf mittelalterlichen Siegeln ist die F. Zeichen fürstlicher Herrschaft oder auch der Landeshoheit. Vgl. Crollalanza, Storia delle bandiere da guerra di tutti i popoli e nazioni (im »Giornale Araldico«, 1873–76).

Quelle:
Meyers Großes Konversations-Lexikon, Band 6. Leipzig 1906, S. 267-268.
Lizenz:
Faksimiles:
267 | 268
Kategorien:

Buchempfehlung

Kleist, Heinrich von

Robert Guiskard. Fragment

Robert Guiskard. Fragment

Das Trauerspiel um den normannischen Herzog in dessen Lager vor Konstantinopel die Pest wütet stellt die Frage nach der Legitimation von Macht und Herrschaft. Kleist zeichnet in dem - bereits 1802 begonnenen, doch bis zu seinem Tode 1811 Fragment gebliebenen - Stück deutliche Parallelen zu Napoleon, dessen Eroberung Akkas 1799 am Ausbruch der Pest scheiterte.

30 Seiten, 3.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Geschichten aus dem Biedermeier III. Neun weitere Erzählungen

Geschichten aus dem Biedermeier III. Neun weitere Erzählungen

Biedermeier - das klingt in heutigen Ohren nach langweiligem Spießertum, nach geschmacklosen rosa Teetässchen in Wohnzimmern, die aussehen wie Puppenstuben und in denen es irgendwie nach »Omma« riecht. Zu Recht. Aber nicht nur. Biedermeier ist auch die Zeit einer zarten Literatur der Flucht ins Idyll, des Rückzuges ins private Glück und der Tugenden. Die Menschen im Europa nach Napoleon hatten die Nase voll von großen neuen Ideen, das aufstrebende Bürgertum forderte und entwickelte eine eigene Kunst und Kultur für sich, die unabhängig von feudaler Großmannssucht bestehen sollte. Für den dritten Band hat Michael Holzinger neun weitere Meistererzählungen aus dem Biedermeier zusammengefasst.

444 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon