Reserve

[819] Reserve (franz.), allgemein soviel wie das Vorbehaltene, dann aber auch soviel wie Zurückhaltung, z. B. eine Nachricht mit aller R. mitteilen. In taktischem Sinne bezeichnet man mit R. die rückwärts zur Verfügung des Führers für die Wechselfälle des Kampfes zur Unterstützung der kämpfenden Truppen sowie zur Ausführung oder Abwehr des letzten Entscheidungsstoßes bereit gehaltenen Truppen. Es gilt heute als Grundsatz, die Truppen in Marschkolonne auf das Gefechtsfeld zu führen und erst nach Erkennen der Sachlage eine dieser angemessene R. zu bestimmen. Eine Abschnittsreserve (früher Spezialreserve) für jeden Abschnitt und eine Hauptreserve werden beim Gefecht um Örtlichkeiten und im Festungskrieg als Rückhalt für die Verteidigung bereit gehalten. In den Forts von Festungen dient ein Teil der Besatzungen als Fortreserve. Neben der Hauptreserve des Verteidigers einer Festung werden eine Artilleriereserve (früher Generalgeschützreserve) und eine Pionierreserve ausgeschieden (vgl. Festungskrieg, S. 484). Im Vorpostendienst bedeutet Vorpostenreserve oder R. in Österreich, Italien und Rußland soviel wie Vorpostengros in Deutschland. Bei dem Fußgefecht scheidet die Reiterei eine R. zu Pferde aus. Die Bezeichnung Artilleriereserve und Kavalleriereserve für zurückgehaltene Teile dieser Waffen während der Märsche und Gefechte ist seit 1866 aufgegeben, denn im deutschen Heere gilt der Grundsatz, mit diesen Waffen von vornherein so stark wie möglich aufzutreten, um nicht mit einer Minderheit gegen eine Mehrheit zu kämpfen. Nur für größere Verhältnisse wird das Zurückhalten von Artillerie als R. im neuen deutschen Exerzierreglement für die Infanterie als möglich zugegeben, was berechtigt ist, da die deutsche Feldartillerie bei ihrer großen Stärke nicht immer von Anfang des Gefechts an auf dem Gefechtsfeld Platz findet. Eine Armeereserve können Truppenkörper aller Waffen zur besondern Verfügung des Heerführers in der Schlacht bilden. Unter strategischer R. versteht man Truppenkorps, die noch außerhalb des Bereiches der Operationen zur Verstärkung der Armeen auf dem einen oder andern Kriegsschauplatz bereitgestellt werden oder als Reservearmeen, früher besonders in Rußland, dem Feldherrn auf den Kriegsschauplatz folgten. Hauptsache ist jedoch, auf dem Kriegsschauplatz zur Entscheidung so stark wie möglich aufzutreten. Vgl. die Literatur bei Taktik.

In anderm Sinne heißt R. der beurlaubte Teil des Heeres (mit Landwehr zusammen Beurlaubtenstand genannt), im Gegensatz zur Linie (s. d.), der einzelne Mann Reservist, Reservemann. Die Pflicht zum Dienst in der R. (Reservepflicht) und die Pflicht zum Dienst bei der Fahne dauern zusammen in Deutschland 7 Jahre, die Reservepflicht allein also 4–5 Jahre. Der Reservist ist während der Dauer des Reserveverhältnisses zur Teilnahme an 2 bis zu 8 Wochen dauernden Übungen verpflichtet. Die R. wird zur Ergänzung der Friedensstämme auf Kriegsstärke sowie zur Ausstellung von Reservedivisionen verwendet. Letztere sind ähnlich wie die aktiven Divisionen zusammengesetzt, zu selbständigem Auftreten befähigt und gehören zur Feldarmee. Um daher für den Kriegsfall möglichst gründliche Vorbildung zu haben, hat man seit einigen Jahren die R. in selbständigen Truppenteilen (Reserveinfanterieregimenter, Reserveartillerieabteilungen) üben lassen und damit gute Erfahrungen gemacht. Über Ersatzreserve s. d., über die russischen Reservetruppen s. Russisches Reich (Heerwesen). Die Einrichtung der Reserveoffiziere besteht fast in allen Heeren, da es nicht möglich ist, für große Armeen die für den Krieg nötigen Offiziere bereit zu halten. Im deutschen Heere findet die Beförderung zum Reserveoffizier[819] durch Kabinettsorder statt, nachdem vorher der Truppenkommandeur sich einverstanden erklärt, die Wahl durch das Offizierkorps des Landwehrbezirks stattgefunden und der Reserveoffizieraspirant sich verpflichtet hat, nach der Ernennung noch mindestens 3 Jahre in der R. zu bleiben. Die Reserveoffiziere sind zu drei 4–8wöchigen Übungen verpflichtet und rücken mit ihrem aktiven Hintermann im Truppenteil zum höhern Dienstgrad auf, ebenfalls durch Kabinettsorder. Bei einer Mobilmachung treten die Reserveoffiziere bei ihrem Truppenteil ein. Sie tragen das Landwehrkreuz am Helm. Weiteres s. Offizier. Vgl. »Wehr- und Heerordnung« (Berl. 1904); Egidy, Der Offizier, Sanitätsoffizier und Offizieraspirant des Beurlaubtenstandes (6. Aufl., Dresd. 1890); »Handbuch für die Offiziere des Beurlaubtenstandes der Infanterie« (3. Aufl., Berl. 1899, 13 Hefte). Über Reservespielleute s. Spielleute; über Reservesystem (soviel wie Cadresystem) s. Cadre; über Reserveunteroffizieraspiranten s. Freiwillige, S. 79. Reservezahlmeisteraspiranten sind Mannschaften des Friedensstandes, die nach einjährigem Frontdienst zu Feldzahlmeistern ausgebildet werden, und zwar im Geschäftszimmer des Zahlmeisters, bez. im Manöver praktisch und in der Intendantur; am Schluß findet eine Prüfung, im Mobilmachungsfall ihre Einberufung zum Zahlmeisterdienst statt.

In der Forsttechnik heißen Reserven Deckungsmittel für unvorhergesehene Ertragsausfälle durch Waldunfälle oder Überschätzung gegenüber den Ansätzen der Forsteinrichtung (s. d.). Reserven werden eingerichtet unter anderm durch Ausschluß einer Waldfläche von der Forsteinrichtung (stehende Reserven), durch Erhöhung der Umtriebszeit über die an sich zweckmäßige Zeit (Umtriebsreserve), durch ansteigende Regulierung der periodischen Erträge (Periodenreserve), durch niedrige Schätzung (Schätzungsreserve), durch Ausschluß gewisser Bestände, z. B. der im Verjüngungsbetrieb liegenden Bestände, von der Ermittelung des Abnutzungssatzes (fliegende R.), auch Einsparungen gegen den Abnutzungssatz (Sparreserve). Seit Einführung der Taxationsrevisionen sind die Reserven bei der Forsteinrichtung mit Ausnahme der Sparreserve meist außer Gebrauch gekommen.

Quelle:
Meyers Großes Konversations-Lexikon, Band 16. Leipzig 1908, S. 819-820.
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