Seit

[40] Seit, eine Partikel, welche das Schicksal aller Partikeln gehabt, d.i. in ihren Bedeutungen und Gebrauche beträchtliche Veränderungen erfahren hat, welche hier angeführet werden müssen, damit man die Abstammung dieses Wortes in der heutigen desto besser übersehen könne. Es bedeutete,

1. * Eigentlich dem Orte nach, niedrig, unten, das untere, welches wenigstens eine der ersten und eigentlichsten Bedeutungen ist, wo es sowohl als ein Nebenwort, als auch als ein Beywort üblich war. Im Hochdeutschen ist es völlig veraltet, allein im Niedersächsischen, Schwedischen und Dänischen ist es noch völlig im Gange. Nieders. sied, ein sieder Stuhl, ein niedriger, das Wasser ist sieder geworden, Dän. siid, Schwed. sid. Es ist hier gewisser Maßen das Stammwort von den Intensivis sitzen und setzen, und in Ansehung des Oberd. sint, von sinken, senken; wenigstens ist es mit ihren Stämmen sehr nahe verwandt.

2. Figürlich, was der Ordnung, Zahl und Zeit nach auf etwas anderes folget.

(1) * Der Ordnung nach, wo sith im Angelsächsischen sowohl als ein Bey- als Nebenwort, das nachfolgende, und sythest der letzte ist. Im Schwed gleichfalls sid, sidst. In Hochdeutschen ist diese Bedeutung fremd.

(2) * Der Zahl nach, für weniger, eine im Deutschen gleichfalls unbekannte Bedeutung, in welcher aber das Schwedische sid üblich ist.

(3) Der Zeit nach. (a) * Für spät, sowohl als ein Bey- als ein Nebenwort. Bey dem Ulphilas seit, im Schwed. sid. Der e wart oder sit, Walther von der Vogelweide, der ehe oder später ward. Auch diese Bedeutung ist veraltet. (b) * Für hernach, als ein Nebenwort, ingleichen für nachdem, als ein Bindewort, ein gleichfalls ungewöhnlich gewordener Gebrauch, welcher doch in Ottfrieds lid mehrmals vorkommt. Auch im Schwedischen ist sedan, und zusammen gezogen sen, hernach, nachdem. S.[40] Sint. (c) Eine Zeitfolge von einem gewissen bestimmten Zeitpuncte an zu bezeichnen, als ein Nebenwort, in welcher Bedeutung es im Hochdeutschen allein noch üblich ist, und alsdann im Oberdeutschen auch sint, sinter, im Niederdeutschen seder, sedert, sedder, sunt, lautet Engl. sith, since, Schwed. sedan. Wenn die Zeit in Gestalt eines Hauptwortes ausgedruckt ist, so stehet dieses in der dritten Endung, weil seit eines von denjenigen Nebenwörtern ist, welche ehedem auch als Vorwörter gebraucht wurden, oder doch den Übergang der Nebenwörter in die Vorwörter ausmachen, also von beyden etwas an sich haben. Seit dem Tage, da ich die Kinder Israel aus Egypten führete, 2 Sam. 7, 6. Seit der Zeit (daß) Menschen auf Erden gewesen sind. Offenb. 15, 18. Seit seinem Tode. Ich habe ihn seit Einem Jahre nicht gesehen. Seit Pfingsten, seit gestern. O, wie liebt ich dich, seit jenem Tage, u.s.f. Geßn. Seit welcher Zeit hat er nicht geschrieben? Seit wenn ist er dein Freund? Antw. seit vielen Jahren.

Die Verbindung mit der zweyten Endung ist im Hochdeutschen ungewöhnlich. Sint des kamen die Kriegsleute nicht mehr in das Land, 2 Kön. 6, 23. Seit des Ungewitters, Opitz. Seit meines Hierseyns, in welchem letztern Falle es aber richtiger Zeit meines Hierseyns heißt, so fern es nicht einen terminum a quo, sondern die Länge der Dauer bestimmt, wie man auf ähnliche Art sagt Zeit meines Lebens.

Wenn der Zeitpunct, auf welchen sich seit bezihet, ein ganzer Satz ist, so wird dem Nebenworte noch das Fürwort dem zugesellet, so daß daß ausdrücklich folgt, oder auch wegbleibt, welches letztere oft der Wohlklang erfordert. Er ist mein Freund, seit dem, daß ich ihn kenne, oder besser, seit dem ich ihn kenne. Seit dem ich von dir schied, bin ich der Freude unbekannt geworden, Dusch. Seit dem ich sie traurig gesehen habe, habe ich große Lust es auch zu seyn, Gell. Die Schreibart seitdem läßt sich nicht mit nachdem entschuldigen, weil die Bedeutung hier figürlich ist, in seit dem aber nicht; indessen läßt man beyde Wörter lieber getheilt, wie in vor dem, aus dem u.s.f.

Das dem wird von der höhern Schreibart oft mit Nachdruck weggelassen. Fünf Tage sinds nun, seit er uns beyde auf seinem Schoß hatte und weinte, Geßn.


Geneuß, geneuß der Ruh, dir dir entzogen,

Seit ich dieß Feuer angefacht,

Raml.


In der Oberdeutschen Mundart ist diese Weglassung schon alt; doch behält sie alsdann gern das daß bey.


Sit das ich si so gar herzeclichen minne,

Kaiser Heinrich.


Sit das der winter hat die bluomen in getan,

König Wenzel.


Oft stehet sowohl in dem Vor- als in dem Nachsatze ein seit, da denn das letztere das dem bekömmt, das erstere aber desselben entbehren kann. Seit du auf dem Steine beym Brunnen mir das Frühlingslied sangest, seit dem habe ich dich nicht gesehn, Geßner.


Seit der erhabne Friederich

Für Gott und Vaterland ficht.

Seit dem, ihr Musen, nahm ich nicht

Die Leyer in die Hand,

Gleim.


(4) Nach einer noch weitern Figur, als ein verursachendes Bindewort, für da, weil; eine veraltete Bedeutung, in welcher seit im Schwabenspiegel häufig vorkommt, und welche noch in sintemahl übrig ist, S. dasselbe. Seyd nun die Keltin ist ein sach der Forcht, so u.s.f. weil nun die Kälte eine Ursache der Furcht ist, Buch der Natur, 1483. Seyt ir mich thut fragen, so wil ich euch sagen, Theuerd. Kap. 25.

Anm. Hieraus erhellet, daß weder Wachters und Frischens Ableitung von ειτά, noch Gottscheds und anderer von Zeit, die wahren[41] sind. Der letzte tadelt um deßwillen den Ausdruck seit der Zeit, der aber immer untadelhaft seyn würde, wenn auch die angegebene Ableitung richtig wäre. S. auch Sint.

Quelle:
Adelung, Grammatisch-kritisches Wörterbuch der Hochdeutschen Mundart, Band 4. Leipzig 1801, S. 40-42.
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