Seite, die

[42] Die Seite, plur. die -n. 1. Diejenige Fläche eines Körpers, welche sich neben der hintern und vordern Fläche befindet.

(1) Eigentlich. So ist an dem menschlichen Körper die Seite, die Fläche von den Armen bis auf die Hüfte. Einen Schmerz in der Seite haben. Die rechte Seite, die linke Seite. Einem an der Seite sitzen. Einem zur Seite gehen. Einen Körper auf die Seite legen. Sich auf die rechte Seite legen. Jemanden von der Seite ansehen, über die Achseln. Den Feind auf der Seite angreifen, auf der Flanke, im Gegensatze des Angriffes im Rücken und von vornen. Die Seite eines Gebäudes. Die Seite eines Stromes, die Fläche, welche von seinen Ufern gebildet wird. Auf die andere Seite schwimmen.

Daher die figürlichen von der Seite des menschlichen Körpers entlehnten R.A. 1. Sich auf die faule Seite legen, faul werden. Sich auf die schlimme Seite legen, schlimm, lasterhaft werden. Aber nicht, sich auf die fleißige, auf die gute Seite legen. 2. Auf die Seite gehen, sich entfernen. Sie trifft ihn schlafend an, bleibt von der Seite stehen, in einiger Entfernung, Gell. Sich auf die Seite machen, sich schnell und heimlich entfernen. Etwas auf die Seite bringen, schaffen, es heimlich entfernen. Scherz bey Seite, wir wollen aufhören zu scherzen. Jemanden auf die Seite ziehen, beyseits, ihn ein wenig von der Gesellschaft entfernen. 3. Auf jemandes grünen Seite sitzen, S. Grün. 4. Das ist seine schwache Seite, da ist er am schwächsten. Du weißt, daß das meine empfindlichste Seite ist, daß ich da am empfindlichsten bin. Jeder Verstand hat seine schwache Seite. 5. Jemanden die weiche Seite geben, ihn verzärteln, ihm durch die Finger sehen. Aber, jemanden die weiche oder schwache Seite abgehen, bedeutet, ihn auf seiner schwachen Seite angreifen, und dadurch gewinnen. 6. Jemanden nicht von der Seite kommen, sich nicht von ihm entfernen. Einem zur Seite gehen, ihm hülfreiche Hand leisten, ihm zur Hand gehen. Niemanden zur Seite haben, zur hülfreichen Handleistung. Wenn ein gründlicher Verstand eine lebhafte Einbildungskraft zur Seite, ein reiches und treues Gedächtniß zur Gehülfinn hat, Gell. 7. Zur Seite, neben, besonders von Personen. Am nächsten Bäume sahe er den Schäfer und ihm zur Seite den Hund liegen.


Wenn im Streite

Der ehrne Donner von den Bergen ihm zur Seite

Die Feldherrn niederschlug,

Raml.


(2) Figürlich, eine Partey, mit einander verbundene Personen, im Gegensatze einer Gegenseite, am häufigsten ohne Plural; eine von den Kriegen entlehnte Figur, da diejenigen, welche es mit dem Haupte halten, demselben zur Seite stehen. Auf jemandes Seite seyn, zu seiner Partey gehören, und in weiterm Verstande es mit ihm halten, seiner Meinung, seiner Gesinnung seyn. Jemanden auf seine Seite ziehen. Auf jemandes Seite stehen. Jemanden auf seiner Seite haben.

In weiterer Bedeutung auch ohne Rücksicht auf einen Gegentheil. Die väterliche Seite, die mütterliche Seite, in den Geschlechtsregistern. Wo es häufig auch von Individuis gebraucht wird. Von Seiten seiner, oder von seiner Seite ist alles zu befürchten, d.i. von ihm, im Oberdeutschen abseits seiner, im gemeinen Leben seinerseits, wie auch deinerseits, meinerseits u.s.f.d.i. von deiner Seite, oder von dir u.s.f. Ich will auf meiner Seite, oder von meiner Seite thun, was ich kann, d.i. was mich betrifft. Es sind auf der einen Seite so viele Zeugen, als auf der andern.[42]

2. In weiterer Bedeutung, jede Fläche eines Körpers außer der obern und untern.

(1) Eigentlich. Die Seite eines Berges, eines Thurmes, eines Hauses u.s.f. Die vordere Seite, die hintere Seite. Die Seiten des Altars. Wenn ein Körper nur zwey Hauptflächen hat, d.i. sich in die Länge und Breite ohne beträchtliche Dicke erstrecket, so werden auch diese Hauptflächen in engerm Verstande die Seiten genannt, da sich denn der Begriff der Breite mit einzuschleichen scheinet, so wie in dem Lat. Latus, die Seite, von latus, breit. Die rechte und linke Seite eines Tuches. Die Seite eines Blattes Papier. Die Seite eines Buches, die Blattseite, Pagina.

(2) Figürlich. (a) Die Gegend, der Raum außer uns, horizontal betrachtet. Die östliche Seite des Himmels, des Landes. Die Morgenseite, die Abendseite. Von allen Seiten her thürmen sich Gewitter auf. Man macht mir von allen Seiten Verdruß. (b) Die Art und Weise, wie eine Sache sich uns durch Wirkungen oder Äußerungen darstellet. Sich von der guten Seite zeigen. Was ist das wieder für eine ungestalte Seite des Herzens? Hermes. Ich wünschte diese vernachläßigte Seite ihres Herzens nicht gesehen zu haben. Sollte dieß Herz wohl eine schlechte Seite haben? (c) Die Art und Weise, der Punct, aus welchem man ein Ding betrachtet. Alles von der guten, von der schlechten Seite ansehen. Pflanzen und Thiere, welche auf der einen Seite schädlich sind, sind auf der andern Seite ein Reichthum medicinischer Kräfte, Gell.

3. In noch weiterm Verstande wird oft eine Fläche eines Dinges die Seite genannt. Die obere Seite, die untere Seite. Etwas auf allen Seiten besehen.

Anm. Im Tatian Situ, bey dem Notker Sittu, im Angels. und Engl. Side, im Schwed. Sida, im Nieders. Sied, Siede, im Hebr. צר. Die Abstammung läßt sich nur muthmaßen. Es kann seyn, daß es zu dem Niederd. sied, niedrig, gehöret, S. das vorige, indem, ein Körper, wenn er auf der Seite liegt, gemeiglich die geringste Größe hat. Die alte Oberdeutsche zweyte und dritte Endung der Seiten, für Seite hat sich noch in den folgenden Zusammensetzungen erhalten.

Quelle:
Adelung, Grammatisch-kritisches Wörterbuch der Hochdeutschen Mundart, Band 4. Leipzig 1801, S. 42-43.
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