Stunde, die

[478] Die Stunde, plur. die -n, Diminut. das Stündchen, Oberd. Stündlein, ein Wort, welches ursprünglich einen kleinen abgesonderten Theil eines Ganzen bedeutet zu haben scheinet, da es denn noch besonders in zwey Fällen üblich ist.

1. Ein kleiner Theil eines größern Raumes. In diesem Verstande wird bey den Markscheidern ein Zirkel statt der in der Geometrie üblichen 360 Grade in 24 Stunden oder gleiche Theile getheilet, welche nach der unveränderlichen Mittagslinie bestimmt werden, welche daher die Stundenlinie heißt; so daß man von Mitternacht durch Morgen, Mittag und Abend bis wieder zu Mitternacht zählet. Daher ist die Stunde des Ganges, dessen Streichen in Ansehung der Weltgegenden, so fern selbiges auf diese Art bestimmt wird. Der Gang fällt aus seiner Stunde, wenn er von seiner bestimmten Richtung abweicht. Eine Stunde abstecken, die Richtung des Ganges am Tage mit Pfählen bemerken, welches man auch nennet, die Stunde aus der Grube zu Tage ausbringen. Frisch hat es in dieser Bedeutung ganz unrecht verstanden und erkläret. Bey dem Ottfried ist Stunto, ein jeder Raum oder Ort, allen ther stunton, an allen diesen Orten, welches vermuthlich auch zu dieser Bedeutung gehöret.

In gewöhnlicherer Bedeutung, ein kleiner Theil der Zeit. (1) Im weitesten Verstande, ein kleiner Zeittheil von unbestimmter Dauer, eine kleine Weile, ein Augenblick; eine ehedem sehr übliche Bedeutung; welche auch noch jetzt sehr gangbar ist. Bey dem Kero ist Stunthuuilu, ein Augenblick, eigentlich eine Stundweile, sume Stunt, bisweilen, Willeram, noch jetzt im gemeinen Leben unter Stunden. In churzer Stund, bey dem Horneck, kurz darauf. Im Nieders. ist upstund, jetzt. Von Stund an, im gemeinen Leben von Stunden an, von demselben Augenblicke an, sogleich, Nieders. anstund. Theurdank von stund stündt ab zu sueß, stieg sogleich ab, Theuerd. Zur Stunde, den Augenblick. Ich weiß es noch diese Stunde nicht, diesen Augenblick. Ich weiß die Stunde noch nicht, was das für ein Ding ist, für, diese Stunde. Nicht Eine gute Stunde bey jemanden haben. Keine gesunde Stunde haben, ununterbrochen krank seyn. Eine bessere Stunde, wo meine Standhaftigkeit alle diese Hindernisse überwunden hat. Bange, unglückliche Stunde, o sey noch fern! Wo es überall einen kurzen Zeittheil von unbestimmter Dauer bedeutet. Figürlich sagt man: er ist ihrer alle Stunden werth, ich bin es alle Stunden im Stande, u.s.f. zu allen Zeiten, vollkommen. Ehedem was es auch für Zeit überhaupt sehr üblich, in welcher Bedeutung es bey dem Ottfried und seinen Zeitgenossen mehrmals vorkommt. Bey dem Kero heißt die Zwischenzeit, Untarstuntu. Hierher gehöret auch die im Hochdeutschen veraltete aber noch in einigen Provinzen übliche Bedeutung für Mahl. Andrera Stunt, bey dem Kero, zum andern Mahle. Trizzug Stunton zehinu, dreyßig Mahl zehn, Ottfried. Sibun Stundon sibinu, sieben Mahl sieben, im Isidor. (2) In engerer Bedeutung, ein kurzer Zeittheil von bestimmter Dauer, d.i. der 24ste Theil eines natürlichen Tages. Tag und Nacht bestehen aus 24 Stunden. Die Italiäner zählen vom Untergange der Sonne bis wieder zum Untergange, 24 Stunden, und diese Art die Stunden zu zählen, heißen Italiänische Stunden; dagegen andere Europäische Nationen von Mitternacht bis Mittag zwölf Stunden, und von Mittag bis wieder Mitternacht, wieder zwölf Stunden zählen. Von einer Stunde zur andern, von Stunde zu Stunde. Ich warte schon zwey Stunden. Die Uhr schlägt Stunden. Es ist noch keine Stunde her. Vor einer Stunde. Eine halbe Stunde, Viertelstunde. Wo ist eine starke Stunde bis dahin. Keine Stunde Ruhe haben. Ich will ihnen manches[478] vergnügtes Stündchen machen. Es ist um ein böses Stündchen zu thun. An keine Stunde gebunden seyn. Wenn die Zahl der Stunden nach der Uhr bestimmt werden, so gebraucht man das Wort Stunde nicht mehr, sondern Uhr; es ist zehn Uhr, oder es ist zehn, nicht, es ist die zehnte Stunde, welche veraltete Art des Ausdruckes indessen noch in der Deutschen Bibel vorkommt. Figürlich, ist Stunde häufig ein Unterricht, welcher Stundenweise gegeben wird. Jemanden auf dem Clavier, im Zeichnen, im Tanzen, im Fechten, in einer Sprache Stunde geben. Stunde bey jemanden haben, nehmen. In die Stunde gehen, in den Unterricht, welcher nur eine Stunde dauert. Stunde halten. Die Stunde ist aus, ist zu Ende. So auch die Fechtstunde, Tanzstunde, Schreibestunde, Französische Stunde u.s.f. Im gemeinen Leben wird nach einer andern Figur auch das Stundenglas nur die Stunde schlechthin genannt.

Anm. In dieser engern Bedeutung schon bey dem Ottfried Stunta, im Nieders. Stunde, im Schwed. Stund. Da im Schwedischen noch stunt, abgekürzt, gestutzt, und stunta, stutzen, stümpfen, bedeuten, so leitet Ihre es sehr wahrscheinlich von diesem Zeitworte her, so daß Stunde eigentlich einen abgesonderten kleinen Theil bedeuten würde. Das im Deutschen längst veraltete Stammwort stunen oder stunden, abkürzen, ist alsdann von stümmeln, stümpfen, stutzen, dem Nieders. stuven, und andern dieser Art, nur im Endlaute verschieden. Im Niederdeutschen ist Stunzel noch ein kurzer kleiner Mensch. Übrigens gebrauchen Ottfried und seine Zeitgenossen für dieses Stunde im engern Verstande auch Zito, Zeit, und Wilu, Weile. Ia sint binoti zuelif dago ziti? Hat nicht der Tag zwölf Stunden? Ottfr.

Quelle:
Adelung, Grammatisch-kritisches Wörterbuch der Hochdeutschen Mundart, Band 4. Leipzig 1801, S. 478-479.
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