Vater, der

[976] Der Vater, des -s, plur. die Väter, Diminut. das Väterchen, Oberd. Väterlein, ein Wesen männlichen Geschlechtes, welches durch die Befruchtung eines weiblichen ein anderes Wesen seiner Art zeuget, zum Unterschiede von der Mutter und im Gegensatze des Kindes, wo es sowohl von Thieren, als auch, und zwar am häufigsten, von Menschen gebraucht wird.

I. Eigentlich. (1) Absolute. Vater werden, ein anderes Wesen seiner Art zeugen. Vater von vier Kindern seyn. Ein glücklicher Vater, welcher Freude an seinen Kindern erlebet. (2) In näherer Beziehung auf das Kind oder auf die Kinder. Nicht Vater von dem Kinde oder des Kindes seyn. Lebt sein Vater noch? Ein Kind hat keinen Vater mehr, wenn derselbe gestorben ist. In einem andern Verstande sagt man, ein Kind habe keinen Vater, wenn derselbe unbekannt ist. Von der Gewohnheit der Kinder, ihren Vater mit diesem Worte anzureden, S. Papa. In weiterer Bedeutung beziehet sich dieses Wort auch auf die entfernten Nachkommen, so fern sie ihrem Wesen nach in jemanden gegründet sind. Abraham war ein Vater vieler Völker, 1 Mos. 17, 4. Daher der Stammvater, derjenige, von welchem ein Geschlecht, ein Volk seinen Ursprung hat. Auch die[976] Vorfahren männlichen Geschlechtes werden um deßwillen Väter genannt, besonders in der edlern und höhern Schreibart.

2. Figürlich. (1) Eine bejahrte Person männlichen Geschlechtes pflegt man im gemeinen Leben häufig mit Vater, guter Vater, alter Vater anzureden, so wie man eine solche hoch bejahrte Person in der vertraulichen Sprechart auch wohl ein altes Väterchen zu nennen pflegt. (2) Eine Person männlichen Geschlechtes, welche die Stelle eines Vaters bey einer andern vertritt, den Grund ihres Unterhaltes, ihres Glückes enthält. So wird der Landesherr oder Regent der Landesvater, der Vater des Volkes genannt, so wie auch Stadtobrigkeiten Väter der Stadt genannt werden. In der Deutschen Bibel kommt es von der Obrigkeit mehrmahls vor. Diese Benennung gründet sich theils auf die zärtliche, väterliche Vorsorge, welche Obrigkeiten für ihre Untergebene zu tragen verbunden sind, theils auch auf die ehemahlige Gewohnheit, nur bejahrte und erfahrne Personen zu Obrigkeiten zu ernennen. Mit der Seelsorge versehene Geistliche werden daher auch geistliche Väter genannt. Siehe auch Beichtvater. Ferner gehören hierher die Zusammensetzungen Hausvater, Pflegevater, Schwiegervater, Stiefvater, Waisenvater u.s.f. (3) Eine Person, ein Ding, eine Sache, welche den Grund des Daseyns und der Fortdauer eines andern enthält, wenn diese Person oder Sache männlichen Geschlechtes ist. So heißt Gott der Vater der Menschen, der Welt, so fern er den Grund aller zufälligen Dinge und ihrer Erhaltung enthält. Von der veralteten Stellung des Fürwortes in dem Vater Unser, S. Unser. In einer andern Bedeutung, welche sich der ersten eigentlichen nähert, heißt die erste Person in der Gottheit der Vater, wegen ihres innern Verhältnisses gegen die beyden übrigen, besonders gegen die zweyte oder den Sohn. Opitz heißt der Vater der Dichtkunst, Leibnitz der Vater der Philosophie, weil beyde ihnen nicht sowohl die Entstehung, als vielmehr ihre Wiederherstellung, Verbesserung zu danken haben. Der Teufel ist ein Vater der Lügen, Joh. 8, 44.

Anm. Schon in den ältesten Denkmählern unserer Sprache, als dem Isidor, Kero u.s.f. Fater, im Nieders. Vader, und mit der dieser Mundart gewöhnlichen Ausstoßung des d, Vahr, im Dän. Fader, im Angels. Faeder, im Engl. Father, im Schwed. Fader, im Pers. Pader, im Lat. Pater, im Griech. πάτηρ. Es ist eine seltsame Pedanterey, dieses Wort unmittelbar aus dem Lateinischen, so wie Mutter von Mater, abzuleiten, gerade, als wenn die alten Deutschen die Urheber ihres Daseyns erst von den Römern hätten müssen nennen lernen. Diese Ableitung erscheinet desto ungereimter, wenn man erwäget, daß dieses Wort schon in so frühen Zeiten vorkommt, da die Deutsche Sprache durch die Lehrer der Religion noch nicht mit so vielen Lateinischen Wörtern und Begriffen bereichert war, als in den folgenden Zeiten geschehen. Vater ist eines der ältesten Stammwörter, welches alle Europäische und Nordasiatische Sprachen und Mundarten aus einer ältern gemeinschaftlichen Sprache beybehalten haben. Die letzte Sylbe ist die den Deutschen, Lateinern, Griechen u.s.f. gemeinschaftliche Ableitungssylbe er, ein Subject zu bezeichnen, daher es nur noch auf die Stammsylbe Vat oder Fad ankommt. Schon ältere Wortforscher haben diese Sylbe von einem alten Zeitworte fodan, föden, abgeleitet, welches noch im Niedersächsischen vorkommt, wo es ernähren bedeutet, und das Stammwort von unserm futtern ist. Allein, es bedeutet nicht allein ernähren, sondern auch zeugen, welche Bedeutung das Schwedische föda, Griech. φυτευειν noch hat, so wie fode im Dänischen gebähren bedeutet. Diese Ableitung ist noch jetzt die wahrscheinlichste, so daß Vater eigentlich einen Zeuger bedeutet, Genitor von gignere. Da föden aber auch gebähren bedeutete, so sind Fodrein bey dem Ulphilas die Ältern überhaupt, daher Vater auch in Gevatter von beyden Geschlechtern[977] gebraucht wird. Das Zeitwort hatte ehedem den niedrig-schmutzigen Nebenbegriff nicht, welchen das Lat. futuere, das Franz. foutter u.s.f. angenommen haben. Es erhellet daraus zugleich, daß Vater keines von denjenigen Wörtern ist, welche ihr Entstehen dem ersten Stammeln der Kinder zu verdanken haben, wie Abba, Atta, Tatta, Papa, Mamma, Amma, das Fries. Haita, u.s.f. Siehe auch Vetter, Gevatter und Pathe.

Einige Provinzen sprechen das a kurz, Vatter, und man kann es ihnen nicht wehren, wenn sie es auch so schreiben wollen; seltsam aber ist es, wenn einige Sprachlehrer diese provinzielle Aussprache den Hochdeutschen aufdringen und Vatter geschrieben wissen wollen, obgleich kein reiner Hochdeutscher so spricht. Gevatter gründet sich freylich auf eine solche Aussprache, aber in diesem Worte ist dieselbe auch im Hochdeutschen allgemein. Im Oberdeutschen declinirt man dieses Wort im Singular mit einem u, des Vatern, dem Vatern, welche Form aber im Hochdeutschen gleichfalls unbekannt ist.

Quelle:
Adelung, Grammatisch-kritisches Wörterbuch der Hochdeutschen Mundart, Band 4. Leipzig 1801, S. 976-978.
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