Vorhanden

[1270] Vorhánden, adj. et adv. 1. In der Nähe, gegenwärtig, bey der Hand, im Oberdeutschen obhanden; sowohl dem Orte, als der Zeit nach. Am häufigsten von Sachen. Es ist noch viel Getreide vorhanden, zum Gebrauche bey der Hand, gegenwärtig. Es ist kein Holz mehr vorhanden. Er siehet nicht, was vorhanden ist. Der vorhandene Vorrath. Das vorhandene Geld. Er denkt immer, die Zeit seines Unglückes sey vorhanden, Hiob 15, 23. Die Zeit ist nunmehr vorhanden, daß u.s.f. sie ist da. Seltener von Personen. Es waren viel Gäste, viel Leute auf dem Markte vorhanden. 2. In weiterer Bedeutung, wirklich seyn, sich unter der Reihe der wirklichen Dinge befinden, sowohl von Personen als von Sachen, da seyn. Es wird gefragt, ob wirklich Einwohner in dem Monde vorhanden sind? Nimm dein Weib und deine zwo Töchter, die vorhanden sind, 1 Mos. 19, 15; die du hast, die da sind. Joseph und Simeon sind nicht mehr vorhanden, Kap. 42, 13; sie sind nicht mehr am Leben. Unsere Väter sind nirgend mehr vorhanden, Klagel. 5, 7. Wo es, wenn es so viel als am Leben bedeutet, nur als ein Adverbium gebraucht wird. 3. Nahe bevor stehend. Es ist gewiß ein Unglück vorhanden über unsern Herrn, 1 Sam. 25, 17. Das Wetter, so vorhanden ist, merket kein Mensch, Sir. 16, 19. Man gebraucht es nur noch von sehr nahe bevor stehenden Dingen, deren Daseyn man gleichsam schon empfindet, von entferntern ist es veraltet, ob es gleich in diesem Verstande noch mehrmahls in der Deutschen Bibel vorkommt. Nachdem es nun vorhanden ist, Ebr. 4, 6; noch künftig, bevor stehend. Darum ist noch eine Ruhe vorhanden dem Volke Gottes, V. 9.

Anm. Dieses Wort ist eigentlich ein Nebenwort, und es scheint erst in den neuern Zeiten in einigen Bedeutungen als ein Beywort gebraucht zu seyn. Bey vielen Oberdeutschen Schriftstellern, und selbst in den gemeinen Sprecharten der Hochdeutschen, lautet es häufig verhanden.


Dasselbe Loch stund noch verhanden,

Theuerd.


Die Bücher sind verhanden,

Opitz.


Dieß und die ungewöhnliche Stellung des Tones macht es glaublich, daß vor hier aus ver verderbt ist, obgleich der Bedeutung[1270] nach vor hier sehr wohl Statt finden könnte, vor der Hand, d.i. bey der Hand, in der Nähe. Es wird nur mit dem Zeitworte seyn gebraucht; daher es ungewöhnlich ist, wenn es Pred. 9, 10 heißt: alles, was dir vorhanden kommt, das thue frisch, wo es so viel bedeutet, als vor die Hand. Aber auch mit dem Zeitworte seyn, wird es im Hochdeutschen nur gebraucht, wenn die vorhandene Sache vermittelst eines Hauptwortes ausgedruckt wird; daher es ungewöhnlich klingt, wenn es Matth. 2, 12 heißt: es ist vorhanden, daß Herodes suche das Kindlein umzubringen. Im Oberdeutschen ist dafür auch obhanden üblich. S. Hand.

Quelle:
Adelung, Grammatisch-kritisches Wörterbuch der Hochdeutschen Mundart, Band 4. Leipzig 1801, S. 1270-1271.
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