Apelles

[68] Apelles, einer der berühmtesten Griechischen Mahler, eben so sehr berühmt und verdient um die Kunst durch seine meisterhaften Werke, als durch seine Schriften über diesen Gegenstand, welche letztern zur Zeit des Plinius noch vorhanden waren. Er war der Mahler der Grazie, und übertraf in dieser Rücksicht fast alle seine Zeitgenossen. Dabei war er nichts weniger als ungerecht gegen die Verdienste anderer Mahler, nichts weniger als blind gegen seine eigenen[68] Fehler. Wenn er ein Gemählde fertig hatte, setzte er es aus und verbarg sich hinter einen Vorhang, um ungesehen die Urtheile darüber anzuhören. Merkwürdig ist die Art, wie er des Protogones, eines berühmten Mahlers zu Rhodus, Bekanntschaft machte. Apelles reiste ausdrücklich nach Rhodus, um ihn kennen zu lernen. Als er in sein Haus trat, fand er niemand als eine alte Frau und ein aufgespanntes noch leeres Tuch auf der Staffelei. Die Alte fragte ihn nach seinem Namen; »ich will ihn hinsetzen,« sagte er, und entwarf mit dem Pinsel einen überaus feinen Umriß. »Das hat Apelles gemacht!« rufte Protogones sogleich aus, als er zurück kehrte und von dem Fremden hörte. Er nahm hierauf eine andere Farbe, und setzte auf die nehmliche Zeichnung einen noch correctern und feinern Umriß. Bald darauf erscheint Apelles wieder. Man zeigt ihm die Arbeit, als etwas von dem Manne den er suche. Beschämt, sich übertroffen zu sehn, greift er nach der dritten Farbe, hebt die ersten Züge durch einige neue, und erschöpft die ganze Feinheit der Kunst. »Ich bin überwunden,« sagte Protogones, als er nach Hause kam; »ich eile meinen Nebenbuhler zu umarmen!« Beide Künstler wurden einig, dieses Stück für die Nachwelt aufzubewahren, allein es verbrannte in der ersten Feuersbrunst im Pallast des Augustus zu Asche. Apelles war ein Zeitgenosse Alexanders, den er mehrere Mahle mahlte, vorzüglich aber einmahl so vortrefflich, daß Alexander selbst sagte, er zähle zwei Alexander; der eine sei der Sohn des Philippus und unüberwindlich, der zweite ein Werk des Apelles und unnachahmlich.

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Brockhaus Conversations-Lexikon Bd. 1. Amsterdam 1809, S. 68-69.
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