Der Tribunus plebis

[227] Der Tribunus plebisVolkstribunʼ, Volkspfleger – diese für das Römische Volk und seine Freiheit höchst wichtige Magistratsperson wurde bald nach Vertreibung der Könige, und zwar im Jahre Roms 260. bestellt, wo das Volk wegen mehrerer Schulden von den Höheren zu sehr gedrückt, endlich aus der Stadt zog und auf dem heiligen Berge (mons sacer) sich festsetzte, auch nicht eher zurückkehrte, als bis man ihm die eigne Wahl gewisser Personen aus ihrem Mittel zur Vertheidigung und Beschützung ihrer Rechte wider die Gewalt und Unterdrückung der Oberen zugestand. Anfangs waren deren Zwei, nachher wurde ihre Zahl auf Fünf, ja zuletzt auf Zehen ausgedehnt. [227] Sie wurden allemahl aus dem Volke, und zwar nach den Stimmen der Stämme (tribus) gewählt – daher wahrscheinlich auch der Name: tribuni – und kein Patricier konnte dazu gelangen. Die Gewalt nun dieser Volkstribunen war allerdings von großem Einfluß auf die Verfassung des Römischen Staats, der nun aus einem bloß aristokratischen, in einen demokratisch-aristokratischen verwandelt wurde. Anfangs zwar hatten sie bei ihrer Einsetzung bloß darauf zu sehen, daß das Volk nicht von den Patriciern unterdrückt würde, hatten also bloß nur die Gewalt, etwas zu verbieten. Sie konnten dieß bei Abfassung aller Rathsschlüsse oder sonstigen Bescheide durch das einzige Wort: Veto (Ich verbiete es – willʼs nicht haben) bewirken; daher denn auch ihre Genehmigung bei jedem Rathschlusse, wenn er Kraft haben sollte, durch ein darunter gesetztes T hinzukommen mußte, ob sie gleich anfangs nicht mit im Rathe saßen (s. d. Art. Senatusconsultum, Th. V. S. 223.). Allein, da sie in der Folge diese ihre Gewalt gar sehr mißbrauchten, und, auf die Heiligkeit ihrer Person pochend – denn niemand durfte sie, ohne das höchste Verbrechen zu begehen, weder durch Worte, noch mit der That beleidigen oder verletzen –, sich immer mehr und mehr anmaßten, und alles, was ihnen nicht anstand, vernichteten und über den Haufen warfen, ja selbst nach eignem Belieben Volksversammlungen anstellten, Gesetze (so genannte Plebiscita) machten, die nach und nach das ganze Volk banden, endlich sogar sich der öffentlichen Gelder, Aemter etc. anmaßten; so richteten sie dadurch allerdings sehr viel Unruhen und Zerrüttungen in der Republik an. Dem Senate waren sie allerdings sehr im Wege; und viele von den Consuln wendeten ihre ganze Macht gegen sie an, wiewohl nur mit abwechselndem Glucke, bis endlich 730 dem Kaiser Augustus und seinen Nachfolgern alle Macht und Gewalt, welche vorher die Tribunen hatten, übertragen wurde. Zwar wurden die Tribunen selbst noch beibehalten, aber bloß dem Namen nach: ihre Gewalt war dahin – und auch der Name hörte endlich unter Constantin dem Großen auf.

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Brockhaus Conversations-Lexikon Bd. 6. Amsterdam 1809, S. 227-228.
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