Johann Heinrich Waser

[379] Johann Heinrich Waser. Dieser unglückliche Schweizer Pfarrer war zu Zürich von einer ehrlichen Bürger-Familie – sein Vater war ein Bäcker – geboren, und wählte den geistlichen Stand zu seiner Bestimmung, obgleich Politik für ihn einen außerordentlichen Reitz hatte; außerdem machte er Physik und Mathematik zu seinem Lieblingsstudium, und wurde auch schon sehr jung zum Mitglied der physikalischen Gesellschaft erwählt, welche ihm auch die Aufsicht über ihre Bibliothek, Naturalien und physikalischen Instrumente anvertraute. Bald erhielt er die Pfarrstelle zu Crentz, die er zwar ohne Tadel, und auch als guter Prediger versah: allein, da er bei der, seiner Pflicht gemäß vorgenommenen, Untersuchung der Almosen-Rechnungen mit den Unter- und Obervögten dieses Dorfs in Zwist gerieth, und diese beim Rath zu Zürich verklagte, ohne Beweise für seine Beschuldigungen vorbringen zu können; so wurde er, der Verfassung gemäß, seiner Pfründe entsetzt, und dadurch zu einem unversöhnlichen Haß und einer unvertilgbaren Rachbegierde gegen Rath und Chorherren gereitzt. Sein Herz, das sonst viel Güte und Leutseligkeit gezeigt hatte, kannte jetzt nichts als Rache, deren Befriedigung ihn einzig beschäftigte. Da er sein Amt verloren hatte, so lebte er bloß von dem durch seine Frau, aus guter Familie, erhaltenen Vermögen. Füglich konnte er anderwärts sein Brot verdienen, oder auch sonst durch seine Schriften einträglichen Erwerb sich verschaffen; allein, theils zu stolz, etwas von einem Verleger anzunehmen, theils aus Eigensinn blieb er in Zürich, und brachte sogar auch seine Frau durch Vorspiegelungen und erdichtete Scheine um dieses Vermögen. – Bald aber sollte er nun, freilich zu seinem Verderben, eine wichtigere Rolle spielen. Der Bürgermeister Heidegger zu Zürich, ein kluger und vorsichtiger Mann, war noch unter den wenigen, welche Wasern, der immer mehr durch unbesonnenes rachsüchtiges Betragen seine Mitbürger wider sich aufbrachte, ihre Freundschaft und ihr Vertrauen schenkten. Als nun in der Folge bei Erneuerung der Allianz zwischen Frankreich und der Schweiz, die Heidegger [379] am stärksten betrieben hatte, mehrere Partelen entstanden, so trat Waser öffentlich auf die Seite der Mißvergnugten, und sprach heftig wider jene Allianz, ja er machte in einer engen Versammlung sogar den Vorschlag zu einer Rebellion; allein – alles nur zum Schein, indem er den Spion von Heidegger machte, um diesem jene Berathschlagungen zu hinterbringen. Wenigstens glaubte man diese Absicht in dem Charakter Wasers voraussetzen zu dürfen, der zu allem fähig war, und vielleicht lieber alles in allgemeine Verwirrung gesetzt hätte, um seinen väterlichen Staat dem Sturze entgegen zu führen. Gleich schändliche Absicht mochte er bei dem zwischen Zürich und Schweiz über den Züricher See entstandenen Prozesse hegen, indem er in einem Aufsatze darüber aus bloß zusammengesetzten Scheingründen das Recht bloß für den Canton Schweiz gegen seinen väterlichen Canton darzuthun suchte. Immer mehr Verdacht und Widerwillen lenkte er auf sich bei der nachher so bekannt gewordenen Nachtmahlvergiftung, indem man sehr viele Ursache zu haben glaubte, Wasern für den Thäter anzusehen: indessen konnte in Rücksicht dieses Argwohns nichts erwiesen, und nichts gegen ihn vorgebracht werden; auch bewies er kurz vor seinem Ende, wo man deßhalb auf ihn hindeutete, standhaft den größten Abscheu vor einer solchen That. Reifer wurde er aber nun zur Strafe der Landesverrätherei. Der Stadtschreiber Landold nehmlich, der Wasern ebenfalls als Freund behandelte, und zu mehreren Arbeiten hinzuzog, hatte diesem, freilich unvorsichtig genug, mehrere wichtige Documente aus dem Archive, und unter andern auch den Cessionsbrief Kaiser Ottoʼs von der Grafschaft Kyburg, eines der ansehnlichsten Stücke des Cantons, zum Vergleichen mit den Kopieen anvertraut, welche denn Waser, der freilich zu solchen Arbeiten am geschicktesten war, mit nach Hause nahm. Da dieser nach einiger Zeit sie Landold unversiegelt zurück schickte, und dieser kurz darauf beim Durchsehen der Papiere gerade das wichtigste Document, nehmlich das Original von jener Kyburger Cession vermißte, so läugnete Waser, der von dem bestürzten Stadtschreiber mehrmahls darum angegangen würde, die Zurückbehaltung unter empfindlichen [380] Antworten, und Landold, der nun zu spät seine als Archivarius begangene Unvorsichtigkeit mit Schrecken einsah, mußte vor der Hand schweigen. Nach anderthalb Jahren erschienen in einem auswärtigen Journale Aufsätze über die Verfassung der Schweiz von Wasern; und jetzt entdeckte sich Landold dem geheimen Rathe, und bat um Verhaftsbefehl gegen Wasern, der denn auch vollzogen, Waser sofort arretirt, aufs Rathhaus gebracht und unter Wache gesetzt wurde. Seiner Papiere bemächtigte man sich; und das Document von Kyburg fand sich – in dem Bette der Magd versteckt. Ob er gleich schon eine Verhaftung vermuthet, und mehrere Tage lang viel wichtige Papiere verbrannt hatte, so hatte er doch in der Verwirrung die Hauptschriften zu vertilgen vergessen. Jetzt machte er in der Nacht einen Versuch, sich durch Herablassung aus den Fenstern seines Gefängnisses, welche auf ein vorbeigehendes Wasser führten, durch die Flucht zu retten: allein die zusammengebundenen Betttücher rissen, er stürzte ins Wasser; die Wache, durch den Lärm aufmerksam gemacht, hohlte ihn zurück, und er kam nun auf einen Thurm in engere Verwahrung. Der Prozeß wider ihn dauerte lange, da er verschmitzt genug war, die Richter irre zu führen; endlich aber wurde er auf eignes Geständniß, außer andern Verbrechen, z. B. der Entwendung wichtiger Bücher und Manuscripte von der Züricher Bibliothek, bedeutender optischer Instrumente, ferner der Plane und Zeichnungen von der militairischen Gesellschaft – besonders der Landesverrätherei schuldig erklärt, indem er sein Vaterland zu verrathen, zwischen diesem und den übrigen Schweizer-Cantonen, ja im Lande selbst Unruhen und bürgerliche Kriege anzuzetteln beabsichtigt habe; und dem gemäß durch 12 Stimmen gegen 8 zum Todte verurtheilt. Dieß Urtheil wurde noch denselben Vormittag unter der geistlichen Begleitung der Prediger Lavater, Heß etc. die er sich selbst erbeten hatte, vollzogen, und er starb (1781) mit ziemlicher Fassung auf dem Schaffote. So endete ein Mann, der bei den herrlichsten Anlagen und den besten Eigenschaften dennoch auf der andern Seite so viel Niederträchtigkeit und Boßheit hatte, daß diese jene ganz unterdrückten, und ihn dahin brachten, [381] den Todt selbst als die willkommenste Strafe anzusehen.

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Brockhaus Conversations-Lexikon Bd. 6. Amsterdam 1809, S. 379-382.
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