Frankreich

[51] Frankreich. Dieses Land, eins der mächtigsten Europäischen Reiche, welches ein vortreffliches, größten Theils gemäßigtes Clima, einen überaus fruchtbaren Boden für alle Europäische Erzeugnisse und für mehrere, welche ihm besonders eigen sind, eine Lage, welche dasselbe zum ausgebreitetsten Verkehr zu Wasser und zu Lande geschickt macht, endlich eine höchst geistvolle und thätige Nation besitzt, welche Jahrhunderte hindurch der sittlichen Welt in Europa – freilich oft zum Nachtheile derselben – Gesetze gab, eine Nation, welche zu gleicher Zeit Beispiele der höchsten Tugend und der größten Lasterhaftigkeit darbietet, aber nie die Aufmerksamkeit aller Völker so auf sich zog, als gegenwärtig – dieses merkwürdige Land gränzt gegen Mittag an das Mittelländische Meer und Spanien, gegen Abend an das westliche Weltmeer, gegen Mitternacht an den so genannten Canal und die Niederlande, und gegen Morgen an Deutschland, die Schweiz und Italien. Die herrlichen Häfen – an der mitternächtlichen Gränze längs dem Canal: St. Malo, Cherburg, Havre de Grace, Harfleur, Dieppe, Calais, Dünkirchen; an dem Mittelländischen Meere: Cette (wo der berüchtigte Canal von Languedoc anfängt, der das Mittelländische und das westliche Weltmeer vereinigt), Marseille, Toulon, Antibes; an der Küste des westlichen Weltmeers: Brest, Port Louis, Rochefort, lʼOrient und Rochelle – und die außerordentlich große Menge Flüsse, von welchen das Land durchströmt wird, und unter welchen die Loire und nach derselben die Seine, Garonne und Rhone die vorzüglichsten sind, beleben den innern und auswärtigen Handel von Frankreich in gleichem Grade. Nicht weniger beträchtlich ist Frankreichs Landhandel, welcher nach der Schweiz und Italien über Lyon, nach Deutschland über Metz und Straßburg, nach Holland über Ryssel, nach Spanien über Perpignan und Bayonne geht. Von Französischen Producten werden vorzüglich Wein, Obst,[51] Baumöhl, und von Fabrikarbeiten seidene Waren, Tressen, feine Leinwand und Modewaren ausgeführt; allein die reichste Quelle der Französischen Reichthümer ist der Westindische Handel von den Französischen Antillen, von welchen die jährliche Einfuhre vor der Revolution zwischen 160 – 180 Millionen Livres gerechnet wurde, wovon wenigstens 73 Millionen in andere Länder ausgeführt werden. Die jährliche Handlungsbillanz zum Vortheile Frankreichs konnte nach Necker vor dem letzten Kriege zu 70 Millionen Livres angeschlagen werden. Ob Frankreich im Getreidebau so sehr zurück sei, als man insgemein glaubt, ist sehr zweifelhaft. Die vornehmsten Gebirge in Frankreich sind die Alpen nach Italien zu, die Pyrenäischen Gebirge nach Spanien, die Sevennes in Languedoc (ein Zweig der Pyrenäen), die Gebirge von Auvergne, das Vogesische Gebirge im Elsaß (eine Fortsetzung des Jura). Frankreichs Größe beträgt, ohne die seit der Revolution eindepartementirten Länder, nach Büsching 10,000, nach Necker (Corsica ungerechnet) 16,170 Deutsche Quadratmeilen: seine Bevölkerung, ebenfalls ohne jene Rücksicht, nach Büsching höchstens 19, nach Schlözer über 26, nach Necker 24, nach Calonne, i. J. 1787, 27 – 28 Millionen, nach der Berechnung, welche Lavoisier i. J. 1791 entworfen und der gesetzgebenden Versammlung vorgelegt hat, 25,000,992; eine Bevölkerung, die freilich durch die Auswanderungen, Schlachten, Guillotinaden u. d. sehr verloren hat, welchen Verlust Posselt jedoch noch nicht auf drei Millionen setzt. Frankreich Besteht aus den zwölf Hauptprovinzen: Isle de France, Orleans, Lyon, Bretagne, Normandie, Picardie, Gnienne, Languedoc, Provence, Dauphiné, Bourgogne, Champagne und mehrern incorporirten Landen, welche insgesammt vor der Revolution in mehrern Rücksichten verschiedentlich eingetheilt wurden, unter welchen Eintheilungen die in ein und vierzig Gouvernements die bekannteste ist. Frankreichs neue Eintheilung kann man in dem Artikel Departements von Frankreich, vergl. mit dem Art. Flandern, nachsehen, wo auch dessen auswärtige Besitzungen in Ostindien (von denen der Hauptsitz Pondichery ist), in [52] Afrika (hier sind vorzüglich das Etablissement von Senegal, Isle de Bourbon, Isle de France und die Niederlassungen auf Madagascar wichtig) und in Amerika – die wichtigsten unter allen (s. Antillen und Westindien) – verzeichnet sind. Man redet in Frankreich vier Hauptsprachen, die eigentlich Französische in drei Hauptdialecten, die Altbrittische in Nieder-Bretagne, die Biscayische in Labour, Navarra und Soule, und die Deutsche in Elsaß, Lothringen etc. Die Gascognische und die Provenzalische Sprache kündigen durch die Mischung des Französischen mit dem Spanischen und Italiänischen nicht nur die Nachbarschaft von Spanien und Italien sondern auch die alte Verwandtschaft der Urbewohner dieser drei Länder an. Wie nach und nach die eigentliche Französische Sprache die Sprache der ganzen policirten Welt geworden sei, darüber haben wir vor einigen Jahren mehrere schätzbare Schriften erhalten, von denen ich bloß die Eberhardische (in einer Sammlung kleiner Schriften des Herrn Hofr. Eberhard in Halle) anführen will. – Regierungsform, Gesetze, Finanzsystem, Militair, Sitten haben seit der auf immer merkwürdigen Revolution (s. Revolution von Frankreich) die größten Veränderungen erlitten; jedoch scheinen sich die letztern, den neuesten Nachrichten zu Folge, wenigstens in Paris ihrer alten Frivolität ganz wieder nähern zu wollen. Ueber Frankreichs neue Regierungsform sind die Artikel Constitution von Frankreich, Directorium und Drittheile des Convents nachzusehen. Frankreichs Finanzsystem betreffend, so gab dessen Zerrüttung ohne Zweifel den Hauptstoß zur Revolution; die Abgaben waren drückend, doppelt drückend durch das Verfahren der königlichen Beamten. Einige Provinzen machten die Vertheilung der an den König zu zahlenden Steuern selbst, und besorgten die Erhebung; in andern thaten dieses die königlichen Beamten: jene hießen Païs dʼEtats, diese Païs dʼElection. Das Capital der Staatsschulden wurde i. J. 1783 zu 3720 Millionen Livres angegeben. Die ordentlichen Staatseinkünfte betrugen i. J. 1787 gegen 500 Millionen Livres, welche jedoch zu den gewöhnlichen Ausgaben nicht zureichten, sondern ein Deficit von 54 Millionen zurückließen. Das im Reiche umlaufende [53] baare Geld giebt Necker vor der Revolution auf 2000 Millionen Livres an. Mehr über Frankreichs altes und neues Finanzwesen liefern die Artikel Assignat, Calonne, Mandat und Necker. Die Landmacht von Frankreich bestand im J. 1786 aus 181,000 Mann, wozu noch 108 Bataillons Provinzialtruppen kamen; und die Seemacht belief sich in eben diesem Jahre auf etliche 80 Linienschiffe von 110 bis 64 Kanonen, und auf 140 Fregatten und kleinere Kriegsfahrzeuge, ohne die Galeeren.

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Brockhaus Conversations-Lexikon Bd. 2. Amsterdam 1809, S. 51-54.
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