Amerika

[45] Amerika. Dieser Erdtheil, welcher die zweite Hälfte von unsrer Erdkugel ausmacht und auch die neue Welt und, vorzugsweise der östliche Theil desselben, Westindien genannt wird, ist bekannter Maßen zu Ende des funfzehnten Jahrhunderts von Christoph Columbo entdeckt worden. Ueberhaupt fing die Kenntniß unsrer Erde, nach einem langen Stillstande, erst in dem Mittelalter durch die Kreuzzüge und die Erdreisen einiger wenigen an, sich zu erweitern; erst im neunten Jahrhunderte wurde Grönland entdeckt, im dreizehnten die Canarischen Inseln. Allein der Geist, vermittelst der Schifffahrt neue Länder zu entdecken, belebte zuerst die Könige von Castilien zu Anfange des funfzehnten Jahrhunderts, indem sie die Eroberung und Niederlassung der Europäer auf den Canarischen Inseln, welche schon vorher von verschiedenen Französischen und Spanischen Seefahrern besucht worden waren, unterstützten. So sehr auch die Portugiesen diese Reisen in entfernte Länder begünstigten, so gingen doch ihre Bemühungen größten Theils bloß darauf, nach Indien in Asien um die südliche Spitze von Afrika zu schiffen; der Zwischenraum zwischen den Inseln von Afrika und dem Archipelagus von Asien [45] war gänzlich unbekannt. Diesen zu entdecken wurde ein außerordentlicher Mann erfordert, welcher sich in Christoph Columbo, einem Genueser, fand. Columbo vereinigte Größe der Seele und Standhaftigkeit mit einem großen Verstand und seltenen Kenntnissen. Die J dee, daß die Fahrt nach Asien auf dem westlichen Meere kürzer sein müsse als diejenige, welche die Portugiesen südwärts suchten, und die Ahnung, neue Länder in dem unbekannten Weltmeer zu entdecken, hatte einen solchen Grad von Gewißheit für ihn, daß er nicht säumte, den König von Portugal, wiewohl vergebens, um Unterstützung zu einer Entdeckungsreise zu bitten. Eben so wenig fand er in seinem Vaterlande, in England, in Frankreich, in Spanien Gehör. Theils ließ ihn die feste Ueberzeugung von einem glücklichen Erfolge Bedingungen machen, welche zu hoch schienen; theils waren Staatsgeschäfte, Mißtranen und Cabale die Ursachen, weßhalb man ihn abwies. Endlich wandte er sich an die Königin Isabella von Spanien: auch mit dieser zerschlugen sich seine Unterhandlungen; und er war schon abgereist, als sie ihn, auf Zureden einiger einsichtsvollen Männer, zurück rufen ließ und ihm (nach Munnotz) zwei Caravellen und 17000 Gulden gab. Ein drittes Schiff rüstete er selbst aus. Es war den 3. August 1492, als er aus dem Hafen Palos in Andalusien durch den Fluß Tinto in den Ocean nach den Canarischen Inseln abfuhr. Das Schiffsvolk, welches sein Unternehmen für fruchtlos und für einen Weg in den Tod hielt, empörte sich zweimahl wider ihn und drohte selbst, ihn umzubringen: Columbo aber stand von seinem Vorhaben nicht ab; und endlich erblickte er am 11. Oct. die Insel Guanahani, wie sie die Eingebornen nannten, der er aber aus religiösem Gefühl den Namen St. Salvador (der Erlöser) gab. Die Eingebornen nahmen ihn sehr wohl auf und bald darauf entdeckte er noch mehrere Inseln. Er fand es für nothwendig, schon im Jahr 1493 einen Besuch in Spanien zu machen. Im Jahre 1496 den 1. August erblickte er endlich an der Küste von Paria (so nannten sie die Eingebornen) das feste Land. Die Ehre, Amerika entdeckt zu haben, kann dem Columbo weder von dem Americo Vespucci noch von Martin Böheim, welchem dieselbe von einigen Deutschen Gelehrten [46] zugestanden wird, streitig gemacht werden. Nicht lange nach dieser Entdeckung reiste Columbo nach Rom; und der Papst Alexander der sechste schenkte der Krone Castilien die neue Welt. – Die Größe von Amerika beträgt über 900000 Quadratmeilen. Es erstreckt sich von der gefrornen Gegend des Nordens, wo die Gränze desselben durch die kurzen Sommer und durch unüberwindliches Eis gegen die Beobachtung der Neugierigen gesichert ist, durch einen Strich Landes, in welchem man nach und nach alle Climate der übrigen Erdgegenden antrifft, bis gegen Süden an die beschneiten Gebirge des Feuerlandes. Seine Haupttheile sind Nordamerika, Südamerika (welches die überaus lange und hohe Kette von Gebirgen, Namens Cordillera des Andes – unter denen sich der Tschimbprasso, der höchste Berg auf unserm Erdboden, auszeichnet – wie auch die beiden größten Flüsse in der bekannten Welt, den Amazonen-Fluß und den Fluß de la Plata, enthält) und Westindien. Nordamerika enthält: Grönland nebst einigen Hudsonsbusen-Ländern, die Insel Neufoundland, Canada, Neuschottland, den Nordamerikanischen Freistaat, Florida, Louisiana, Neumexico nebst Kaliformien, Altmexico oder Neuspanien. In Südamerika sind: Terra firma, Guiana, Amazonenland, Pern, Brasilien, Paraguay, Chili, Patagonien, Feuerland nebst den Falklands-Inseln. Zu Westindien gehören die Mittelamerikanischen großen und kleinen Antillischen Inseln. Die Engländer, Spanier, Portugiesen, Franzosen, Dänen und Holländer haben mit einander gewetteifert, sich in diesem Erdtheil Besitzungen zu erwerben, welcher kein einziges Nationalreich hat, sondern entweder Europäern unterworfen (die dreizehn vereinigten Provinzen bestehen auch aus Europäischen Abkömmlingen) oder unter kleine Horden von so genannten Wilden vertheilt ist. Die Schätze der Natur, welche Amerika besitzt, und durch deren Versendung es viel (soll ich sagen zum Glück oder zum Unglück von Europa?) beiträgt, sind unzählig. Das nützlichste Product, welches aus Amerika nach Europa kam, sind ohne Zweifel die Kartoffeln. Man hat berechnet, daß Amerika gegenwärtig nicht den zwanzigsten Theil von Einwohnern habe, die es hatte, als es von Columbo entdeckt wurde; eine Folge [47] des unmäßigen Gebrauchs der hitzigen Getränke, der Pocken, welche die Europäer eingeführt, aber auch der Grausamkeiten, welche die Europäer aus Habsucht und Aberglauben an den Amerikanern verübt haben. – (Eine vortreffliche Erdbeschreibung von Amerika liefert uns jetzt Herr Ebeling, zu deren Vervollkommnung er, zugleich mit Herrn Hegewisch, eine Amerikanische Bibliothek herausgiebt; er verbindet zugleich die Geschichte damit. Ueber die Geschichte von Amerika sind die Werke von Robertson, Russel und Munnotz vorzüglich lesenswerth; und über die Sitten der Wilden ist vorzüglich des P. Charlevoix Journal historique dʼun Voyage de lʼAmerique Septentrionale zu empfehlen.)

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Brockhaus Conversations-Lexikon Bd. 1. Amsterdam 1809, S. 45-48.
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