Deutschland

[343] Deutschland. Die Kenntniß der Größe dieses weitläuftigen Landes beruht bis jetzt noch bloß auf unmaßgeblichen Zahlen; doch nimmt man meist nach einer Mittelschätzung an, daß es gegen 12000 Deutsche Quadratmeilen an Fläche und über 500 Meilen im Umkreis habe. Wenn dem zu Folge Deutschland an Größe der [343] dritte Staat Europens ist, so ist er an Volksmenge der erste; denn man kann annehmen, daß Deutschlands jetzige Volksmenge, Schlesien mit inbegriffen, gegen 30 Millionen betrage. Deutschland liegt unter den mittlern Graden der gemäßigten Zone des Norden: sein Clima aber ist, nach Verschiedenheit der Oberfläche des Bodens oft in wenig Meilen ungemein verschieden, jedoch im Ganzen gemäßigt und gesund; am mildesten und schönsten ist es in seinen mittlern Provinzen. Ursprünglich war das Deutsche Clima außerordentlich rauh, wegen der vielen Wälder und Sümpfe, die es hatte; allein die Cultur der letztern und die Ausrottung vieler Wälder hat dasselbe sehr verändert. Deutschland besteht aus zwei Hauptnationen: aus Deutschen oder Germanen, und aus Völkern von Slavischer oder Wendischer Herkunft. Die Wohnplätze der ursprünglichen Deutschen sind die Länder der Unterelbe, nebst den mittlern und südlichen Gegenden von Deutschland; Slaven und Wenden hingegen bewohnen Deutschland nord- und ostwärts der Elbe, so wie eine Strecke west- und ostwärts der Mulde und südöstlich herab. Unter Deutschlands reichen Producten sind die mineralischen ohne Zweifel die wichtigsten, in Rücksicht auf welche Deutschland unter allen Europäischen Ländern einzig ist; im Pflanzenreiche zeichnet es sich vorzüglich durch seinen Ueberfluß an Getreide, durch Baumfrüchte, Weine, seinen unermeßlichen Flachsbau und seine Holzungen aus; endlich ist auch die Deutsche Viehzucht von großer Wichtigkeit. Deutschland war im 14. 15. und 16. Jahrhunderte, nächst den Niederlanden, der Hauptsitz des Europäischen Kunstfleißes, und zeichnete sich durch die wichtigsten Erfindungen hierin aus. Innere und äußere Ursachen, vorzüglich der dreißigjährige Krieg und die Zunahme fremder Industrie, erstickten den Deutschen Kunstfleiß eine Zeit lang, bis er sich in den neuern Zeiten wieder mächtig empor hob. Die vorzüglichsten Deutschen Manufacturen sind die Leinwand-Wollen-Baumwollen-Spitzen- und Porcellan-Arbeiten. Unläugbar ist der Einfluß der Aufnahme Französischer Flüchtlinge, Wallonen u Waldenser auf die Wiederauflebung der Deutschen Industrie. Nicht minder sind es die Französischen Refugiés, denen wir, nach Jerusalems Bemerkung, die Erweckung und Verbreitung des guten Geschmacks in der Litteratur zu verdanken haben, worin sich der Deutsche jetzt eben so [344] sehr ausgezeichnet, als er sich schon längst in der Gründlichkeit der Kenntnisse ausgezeichnet hat. Wenn übrigens dem Deutschen in Rücksicht auf Gemeinsinn, gleich vertheilte Cultur, Handel u. s. f. noch mancher gerechte Wunsch übrig bleibt; so ist es großen Theils Deutschlands politische Verfassung, vermöge welcher dasselbe in eine Menge von Staaten vertheilt ist, welche die Realisirung dieser Wünsche verhindert. Das Deutsche Reich enthält 300 größere und kleinere Staaten, von besondern Titeln und Verfassungen. Es giebt in Deutschland über 2300 Städte, an 3000 Marktflecken, zwischen 80–100000 Dörfer: ferner 35 Universitäten, ohne die Ritterakademien, Gymnasien und Schulen; und über 7000 lebende Schriftsteller. Die Hauptbücher zur Kenntniß von Deutschland sind die vortrefflichen Werke von Normann und Grellmann, von denen das letztere leider unvollendet ist.

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Brockhaus Conversations-Lexikon Bd. 1. Amsterdam 1809, S. 343-345.
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