[125] Deutschland (Geschichte). Geschichte. Die Urgeschichte der Deutschen ist dunkel, wie die eines jeden Volkes. Ueber den Heldengräbern (Hünengräbern), die wir gefunden, liegt das Moos von mehr als zwei Jahrtausenden, Knochen, Steine, Waffen geben nur dürftige Nachricht von unsern Stammvätern. Erst Römer und Griechen, mit denen sie in Berührung kamen, hellen das Dunkel einigermaßen auf und lüften den Schleier, der bis dahin Geschichte, Abstammung, Sitte und Religion des mächtigen Volkes verhüllte. Das Land über der Donau und dem Rhein weit hinauf bis in den Norden hieß damals Germanien, das Land der Wehrmannen. Es war rauh, von Wäldern bedeckt, in Nebel gehüllt, hatte wenige Weideplätze; die Einwohner, in verschiedene Horden getheilt, liebten die Jagd und den Krieg, wohnten in zerstreuten Hütten, waren von großer Gestalt, blauen Augen, röthlichen Haaren, tapfer, treu und bieder. Sie hatten keine Herrscher, nur die Priester befahlen Krieg oder Frieden im Namen der Gottheit. Auch gab es Priesterinnen, die in heiligen Hainen den Göttern opferten und wahrsagten. Im Jahre 113 vor Christus fallen zuerst zwei deutsche Stämme, Cimbern und Teutonen genannt, in's römische Gebiet, werden aber bei Verona vernichtet. Später erscheinen Sueven in Gallien, wo sie von Cäsar geschlagen werden. Die folgenden römischen Kaiser unterwarfen mehrere Stämme, als aber der Heerführer Varus sie gänzlich zu unterdrücken droht, da schlägt Hermann, der Cheruskerfürst, im Bunde mit mehreren Stämmen, die römischen Legionen im teutoburger Walde. Er ist die erste historisch genau ermittelte Heldenfigur unserer Vorgeschichte. Nicht lange darauf stiftet Marbed das markomannische Reich. Immer heftiger[125] und anhaltender drängen sich die nordischen Völker gegen Rom. Gothen dringen nach Spanien, Franken fallen in Gallien ein es beginnt die Völkerwanderung (s. d.). Aus den Hochebenen Asiens stürzen die Hunnen unter Attila (s. d.) wie eine dunkele Heuschreckenschar herab und überschwemmen fast ganz Westeuropa. Theoder ich, König der Ostgothen, der in Pannonien herrschte, erobert Italien 493 nach Christus und beherrscht es 30 Jahre. Nach ihm stiftet Alboin, der Longobardenkönig, in Oberitalien ein eigenes Reich. Die Franken, ein deutsches Volk, hatten sich in Gallien festgesetzt und Chlodwig gründete 481 die fränkische Monarchie. Sie eroberten den Westen und die Mitte Deutschlands. Unter Chlodwig's Söhnen wurde Deutschland eine Zeit lang von Frankreich getrennt. Die Karolinger herrschten nachher auch in Deutschland, das Christenthum wurde verbreitet, das Lehnsystem gegründet; es entstanden Klöster und Kirchen, Schlösser und Burgen. Karl der Große bestieg 768 den Thron. Sowohl die Sage als die Geschichte meldet Wunderbares von diesem großen Herrscher. Er vereinigte wie Artus seine Paladine um sich, wirkte für Kunst und Wissenschaft, gab Gesetze, verbreitete das Christenthum mit Gewalt der Waffen unter den heidnischen Sachsen und herrschte (einer der größten Männer aller Zeiten) kräftig und ruhmvoll über Frankreich, Deutschland und Italien. Seine drei Enkel aber theilten die Universalmonarchie unter einander. Karl der Dicke vereinigte später alle drei Reiche wieder, wurde aber abgesetzt und Deutschland erscheint von nun an als selbstständiges Reich. Deutschland bestand aus den vier Herzogthümern Franken, Schwaben, Baiern und Sachsen. Heinrich von Sachsen, der Vogelsteller, bestieg nach Konrad's von Franken Tode, 918 den deutschen Thron. Dieser große Fürst unterjochte die Herzoge von Baiern und Schwaben, schlug die Slaven und Ungarn und gründete Städte. Man lichtete Wälder, baute Heerstraßen, der Verkehr unter den Menschen wurde immer lebendiger. Sein Sohn Otto der Große befestigte [126] mit heldenmüthiger Hand das deutsche Kaiserthum nach innen und außen, und trug auch die römische Kaiserkrone auf seinem Haupte. Nach dem Aussterben der sächsischen Linie bestiegen Franken den deutschen Thron. Ihnen folgten später wieder Sachsen. Jetzt aber begegnen wir der schwäbischen Kaiserfamilie der Hohenstaufen (s. d.), einer Dynastie, die eben so glorreich als unglücklich regierte. Der größte Fürst aus diesem Geschlechte war FriedrichII.; der letzte Sprößling Konradin endete auf dem Blutgerüste zu Neapel. In die Periode des ersten Auftretens der Hohenstaufen allen die Kreuzzüge. Friedrich der Rothbart (Barbarossa) kämpfte mit Heinrich dem Löwen, regierte kräftig und stritt tapfer, ertrank aber 1190 in Asien. Otto von Wittelsbach ermordete 1208 den Hohenstaufen Philipp von Schwaben. Diesem folgte der erwähnte Friedrich II. Sein Leben war eine Kette von Kämpfen und Widerwärtigkeiten er überragte seine Zeit riesenhaft, unterlag aber und mit ihm erlosch allmälig der Glanz des staufischen Geschlechtes. In diesen Zeitraum und den der Kreuzzüge fällt die Blüthe des Ritterwesens, das romantische Mittelalter, die Zeit der Troubadurs, der Tourniere etc. Es entstanden Ritterorden, aber es herrschte auch das Faustrecht und die heilige Vehme waltete furchtbar im Dunkeln, den Schuldigen wie den Schuldlosen ihrer Rache opfernd. Nach Konrad's IV. Tode kam die Krone an Wilhelm von Holland, diesem folgte Richard von Cornwallis. Aber er erschien nur selten in Deutschland, die Vasallen wurden immer mächtiger. Die Verwirrung erreichte den höchsten Gipfel. Die Kurfürsten wählten endlich nach 18 Monate langem Zögern den Grafen Rudolph von Habsburg zum Kaiser. Dieser kräftige, heldenmüthige Herrscher, der edelste Ritter seiner Zeit, beschwor die wilden Elemente, regierte gerecht und weise, und gab dem zerütteten Reiche Ordnung und Ruhe zurück. Ihm folgte Rudolph von Nassau, ein tapferer Fürst, der aber 1298 in einer Nacht fiel. Nach ihm wurde Rudolph's Sohn, Albrecht von [127] Oestreich, Kaiser, der 10 Jahre später von seinem Neffen Johann von Schwaben ermordet ward. In diese Zeit fällt das Emporblühen des reichsstädtischen Wesens, Künste, Wissenschaften und Gewerbe begannen sich auszubilden, so auch der Handel durch die vielfache Berührung mit dem Oriente und der Bund der Hansa. Nach Albrecht bestieg ein Luxenburger (Heinrich VII.) den deutschen Thron, diesem folgte ein Baier (Ludwig der Vierte), der aber die Krone erst von Friedrich dem Schönen von Oestreich erkämpfen mußte. Einen charakteristischen Zug jenes Kampfes hat Schiller in seiner deutschen Treue besungen. Unter Siegmund, dem Sohne Karl's des IV., entbrannten in Böhmen die furchtbarem Hussittekriege. Nach seinem Tode begann mit Albrecht II. die nur einmal unterbrochene Reihe der habsburgischen (östreichischen) Fürsten auf dem deutschen Kaiserthrone. Unter Albrecht's Nachfolgern ragt besonders Maximilian, der »letzte Ritter,« wie ihn Anastasius Grün in seinem schönen Gedichte nennt, hervor. Er war tapfer, kräftig, weise. Er unterdrückte das Faustrecht und vertilgte die letzten Spuren des Vehmgerichts. Immer üppiger blühten in diesem Zeitraume Künste und Wissenschaften empor, unten Albrecht Dürer die Malerei in Nürnberg, die Buchdruckerkunst war erfunden und vervielfältigte die Schätze des Wissens für die Aufstrebenden der Nation. Maximilian's Nachfolger, Kaxl V., war nicht nur Herrscher Deutschlands und Italiens, sondern auch König Spaniens und Herr beider Indien. Er konnte mit Recht von sich sagen, daß er Regent eines Landes sei, in welchem die Sonne nie untergehe. Ihm stand die Reformation (s. d.). feindlich gegenüber. Der große Astronom Kepler enträthselte die Wunder des Himmels und er gründete die Bahnen der Weltgebäude. Mit der Schlacht am weißen Berge bei Prag war der eherne Würfel des dreißigjährigen Krieges (s. d.), welcher Deutschland abermals in Verwirrung und Unglück stürzte, gefallen. Im Verlaufe desselben verringerte sich die Macht der deutschen Kaiser in demselben Maße, als[128] die der untergebenen Fürsten stieg. Die Türken, welche seit der Eroberung von Constantinopel, Oestreich und Deutschland mehrfach bedroht, wurden 1683 von Sobiesky bei Wien geschlagen. Kaiser Karl's VI. Tochter, Maria Theresia (s. d.) mußte um ihr Erbe mit Friedrich II. von Preußen und Andern kämpfen. 1756 brach endlich der siebenjährige Krieg aus, der Deutschland abermals zerrüttete. Der edle Kaiser Joseph II. bestieg den Thron; sein segenreiches Wirken aber dauerte nicht lange. Er starb 1790. Unter seiner und seiner beiden Nachfolger Leopolds II. und Franz's II. Regierung erreichten Künste und Wissenschaften die höchste Blüthe. Haydn und Mozart glänzten in der Tonkunst als die noch unübertroffenen Sterne erster Größe; Klopstock, Wieland, Herder, Goethe, Schiller u. A. m., zauberten das goldene Zeitalter der Poesie hervor, und wenn der Einfluß der französischen Moden sich allgemein in Deutschland geltend machte, so erfolgte dagegen in Kunst und Wissenschaft ein selbstständigeres, energisches Leben, welches eine neue Zeit vorbereitete Franz II. kämpfte lange heldenmüthig gegen die französische Revolution; da aber die Glieder des Reiches von Deutschland abfielen und sich mit Napoleon zum Rheinbund vereinigten und so die Souveränetätsrechte erhielten, legte Kaiser Franz am 6. August 1806 die Krone nieder und das ehrwürdige, heilige deutsche Reich endigte nach tausendjährigen Stürmen. Von jetzt an füllen den Zeitraum bis 1813 Kriege mit Frankreich aus, dessen Uebermuth im Streben nach Weltherrschaft die Deutschen erst zu vereinzelen, und dann zu unterjochen strebte. Aber die Liebe zur Freiheit, wie sie schon in der Brust des alten Germanen lebte, und die Liebe zu den angestammten Fürsten, erhob das gedemüthigte Volk, es zerbrach seine Fesseln, eine Begeisterung, welche eine heilige genannt werden kann, erfüllte jeden Stand, jedes Geschlecht, man strömte zu den Fahnen des ritterlichen Königs von Preußen, des Alles aufopfernden Kaisers von Oestreich. In der Schlacht bei Leipzig (18. October)[129] wurde Napoleon geschlagen und bald schrieb auf fränkischem Boden der Deutsche seinen Drängern Gesetze vor. Noch leben jene Großthaten alle in unserm Gedächtnisse, sie leben auch fort in den herrlichen Gesängen unserer Dichtex: Theodor Körner, Stängemann, Rückert, Schenkendorf etc. Seit jener Zeit genießt auch Deutschland unter dem Schutze der Gesetze und der Regierung milder Herrscher einer segensreichen Ruhe. (Ueber die ausgezeichnetsten deutscher Fürstinnen s. die betreffenden Artikel.)
n.
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