Böhmen

[114] Böhmen, von Bergen umgürtet, wie ein Götterkind von Riesen bewacht, durchrauscht von wunderbaren Sagen, erfüllt mit Heldenerinnerungen einer großen Zeit, reich, gesegnet, kräftig im Marke, ist einer der kostbarsten Juwelen in Oestreichs strahlender Kaiserkrone, und die nördlichst gelegene Provinz desselben Staates. Wer hätte nicht gehört von der fabelhaften Libussa und ihrem Gemahl Krok, vom Wischehrad, von Wlasta, der Amazonenheldin und ihrer Schar, vom heiligen Adalbert, dem Heidenbekehrer, vom tapfern Ritter Brunslik, von den Rittern, die im Berge Blanik schlafen und dereinst wiederkehren werden; wer hätte nicht gelesen von der heidnischen Drahomira und der heiligen Ludmilla, vom frommen König Wenzel, vom Helden Burdislav, von der fürstlichen Magd Bazuna und dem Herzog Udalrich, vom Eroberer Ottokar, der das Land zwischen der Ostsee und dem adriatischen Meere beherrschte, von den welterschütternden Hussitenkriegen, von Ziska und den Prokopen, vom König Georg von Podjebrad, von Wallenstein und den Schlachten des 30jährigen Krieges, von[114] tausend denkwürdigen Thaten, die noch jetzt das Land und seine Erinnerungen mit einem romantischen Sternenhimmel bedecken, unter welchem Heldenlieder und Zaubergesänge wunderreizend leis' und laut erklingen? Tausend Denkmale, uralte, prangende Städte, zahlreiche Burgruinen, Schlösser, Klöster, Kirchen und Grabmäler sprechen von jener großen Zeit und erfüllen noch jetzt des Böhmen Brust mit gerechtem Stolze auf sein Vaterland und seine Abkunft. – Das Land bietet einen ungeheuern Reichthum an Naturprodukten dar, die Berge liefern Silber, Eisen, Blei, Kupfer, Schwefel, Steinkohlen, seltene Edelsteine, darunter besonders Granaten. Die zahlreichen Wälder beherbergen die edelsten Arten von Wild – der Böhmerwald sogar noch Bären, Wölfe und Luchse. Der Boden bringt Getreide in Menge und Güte hervor; Obst ist im Ueberfluß vorhanden, man baut etwas Wein, und ungeheuer viel Hopfen, welcher der beßte in Europa ist. Die Viehzucht ist stark, die Schafzucht wird immer mehr veredelt. Böhmen ist eines der wichtigsten Fabrikländer in Leinwand, Woll-, Baumwoll- und Seidenzeug Zahlreich sind seine Hut-Papier-, Metall-, Fayancefabriken. Böhmische Glaswaaren, Spitzen und Zwirn sind durch ganz Europa berühmt. Das Land hat 153 Mineralquellen, darunter haben Karlsbad, Franzensbrunnen, Teplitz, Marienbad (s. d.) einen europäischen Ruf. Die zahlreichen Ströme und Flüsse sind reich an Fischen; die böhmischen Fasanen, in zahlreichen Gärten gehegt, werden geschätzt. Gute Landstraßen durchschneiden es in allen Richtungen (darunter eine Eisenbahn von Budweis nach Linz), und befördern den Handelsverkehr ungemein. Das Land umfaßt 952 Quadrat Meilen und zählt 3,540,000 Einwohner. Für die wissenschaftliche Bildung sorgen 1 Universität, mehrere Lyceen, eine große Anzahl Gymnasien, das böhmische Nationalmuseum, das polytechnische Institut. In Prag (s. d.) ist ein Conservatorium der Musik und eine Malerakademie, worin ausgezeichnete Künstler gebildet wurden. – Der slawische Theil der Bewohner Böhmens, die Czechen (spr. Tschechen), gehören zum großen slawischen Völkerstamme[115] der den größten Theil des östlichen Europa's bewohnt, und theilt mit diesem im Allgemeinen denselben Nationaltypus. Sie sind kräftig, ausdauernd, tapfer, voll Scharfsinn, voll Talent, namentlich für Musik; ein schöner, kräftiger, muskulöser Menschenschlag. Den gemeinen Mann beschuldigt man des Starrsinns, der Tücke, Trägheit und Kriecherei; doch finden sich diese Eigenschaften ja mehr und minder beiden untern Classen all er Völkerschaften. Die im Lande wohnenden Deutschen, seit alten Zeiten mit den Urbewohnern vermischt, haben diesen, germanischen Sinn, Geschmeidigkeit, Fleiß, Treue eingeimpft. Eine weise Regierung hat die Abkömmlinge zweier verschiedener Nationen zu Einem Brudervolke vereinigt. Der gebildete Böhme spricht und schreibt deutsch und böhmisch mit gleicher Geläufigkeit. In mehreren Kreisen wird jedoch vom Landvolke nur böhmisch gesprochen. Die Literatur fängt an national zu werden; es gibt böhmische Dichter, und das Volk liest seine Lieder, seine wunderbaren Sagen, in einer wohlklingenden, schön ausgebildeten Sprache. Die Böhminnen sind als schön bekannt. Herrliche Gestalten, frische, blühende Gesichter, dunkles seidenes Haar, Fülle und Grazie der Formen, und namentlich ein blühender Mund mit Perlenreihen zeichnet sie aus. Sie sind sinnig, schwärmerisch, kräftig und feurig in der Liebe. Gute Gattinnen und zärtliche Mütter ihrer Kinder, die sie in der Regel selbst säugen. Sie sind hochsinnig und muthig – in mancher blitzt noch der Geist jener heldenmüthigen Amazone Wlasta's. (s. d.)

–n.

Quelle:
Damen Conversations Lexikon, Band 2. Leipzig 1834, S. 114-116.
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