Meer

[163] Meer. Jene ungeheuere Wasseranhäufung, welche fast ¾ der Erde bedeckt, und in der das Land, Inseln bildend, schwimmt, ist die Quelle aller Flüsse und Bäche, des Regens und Schnees, und aller Feuchtigkeit überhaupt; denn von ihrer ausgedehnten, nicht überall gleich hohen Oberfläche verdunstet so viel Wasser, wie als Regen etc. wieder niederfällt. Die Grenzen des Meeres sind gewissermaßen alles Land, um aber beide Haupttheile des Oceans näher zu bestimmen, nimmt man an, daß das atlantische Meerd durch die Eisregionen des Nord- und Südpols, die Westseite von Europa, ganz Afrika und die Ostseite Amerika's eingeschlossen wird. Der andere, weit größere Haupttheil, das stille Meer oder die Südsee, hat die Westseite von Amerika, die Ostseite von Asien und die zahllosen Inseln Asiens und Amerika's, südlich aber die ewigen Eisfelder des Pols zu Grenzen. Zwischen diesen beiden Meeren befindet sich noch eine große Wassermasse, der indische Ocean, der die Ostküste von Afrika und die Süd-Westküste Asiens und Neuhollands bespült, und im Süden ebenfalls am Pole endet. Einzelne Theile der Hauptmeere führen besondere Namen, z. B. das Eismeer, das mittelländische, das schwarze etc. – Der Boden des Meeres ist so ungleich, als die Oberfläche des festen Landes. Berge und Thäler wechseln mit Flächen und Abgründen; es gibt Felsgebirge, die sich als Inseln, Risse, Sandbänke etc. zeigen, dagegen auch durch kein Senkblei zu erreichende Tiefen. Auf dem ebenso verschiedenen Grunde finden sich Erd-, Sand-, Kies- und Schlammbetten, Waldungen von hohen Pflanzen, neben Wüsten, die keine Spur von Vegetation haben, stark und schwach bevölkerte Gegenden etc.: kurz es läßt sich die Aehnlichkeit des Meerbodens mit dem Lande sehr weit durchführen. – Das Meerwasser enthält viele[163] Salztheile, die es specifisch schwerer machen, so daß im Süßwasser untergehende Hölzer im Seewasser schwimmen. Trinkbar wird dasselbe erst durch die Kunst, im natürlichen Zustande ist es ekelhaft von Geschmack. Die Temperatur zeigt sich gleich der des Landes verschieden, an den Polen eisig kalt, am Aequator 22–26 Grad R. warm. Damit ist jedoch nur der Spiegel gemeint, denn in jeder Zone wird in der Tiefe die Temperatur bedeutend kälter. Das Meerwasser hat vermöge seiner Salzigkeit eine größere Durchsichtigkeit als das Fluß- oder Quellwasser, die so auffallend ist, daß man oft in einer Tiefe von 60 bis 80 Ellen alle Gegenstände erkennen kann. So gibt es in Westindien Stellen, welche mit Pflanzen aller Art bedeckt sind; schwimmt man nun bei ruhigem Wetter in einem Boote auf der friedlichen Wasserfläche, so glaubt man in freier Luft zu schweben, und die Fische, Medusen etc. durch die Wälder, hochstämmiger Wassergräser schwimmen zu sehen, außer ihrem natürlichen Elemente. Dieses ist so täuschend, daß, wer des Anblicks nicht gewohnt ist, Schwindel bekommt, und sich fürchtet, aus der Gondel auf den Meeresboden zu fallen. Etwas Magisches hat dabei die blaßgrüne Farbe, welche dem Meere eigenthümlich ist, und die einen zarten Schimmer über Alles verbreitet, eine Beleuchtung, welche dem Mondlichte nicht unähnlich, doch so klar und hell ist, daß man die feurigen, brennenden Farben all' der wunderbaren Thiere, die durch die Wälder fliegen, schlüpfen oder kriechen, vollkommen gut erkennen kann. Localursachen geben übrigens dem Meerwasser häufig andere Farben. Eben so steht es auch mit der Durchsichtigkeit des Meerwassers, die zum Theil von der Ruhe seiner Fläche abhängt, tiefer abnimmt, und unter 700 Fuß gänzlich aufhört. Eine andere interessante Erscheinung ist das nächtliche Leuchten des Meeres. Dieses imposante Schauspiel zeigt sich im tropischen Meere am glänzendsten. Die Seiten des Schiffs sind von blitzähnlich gezacktem, farbigem Licht umgeben, auf allen Wellen hüpfen blasse Flammen – ja häufig sieht man nicht nur die Oberfläche des [164] Wassers, sondern selbst dessen Inneres leuchten, und leuchtende Fische darin umherschwimmen. Diese Erscheinung findet ihre Entstehung im Phosphorschimmer vieler Seethiere, welche wie die Johanniswürmchen leuchten, so wie in der Fäulniß, die eine große Menge Phosphor entwickelt. – Im Meere findet ein steter Kreislauf statt, und verdünstet auch ein Theil des Wassers, so strömt von andern Seiten genug zum Ersatz zurück. Die Hauptbewegungen, denen das Meer unterliegt, sind Ebbe und Fluth (s. d.), Strömungen, Wellenschlag und Strombewegung, welche letztere durch die Umdrehung der Erde entsteht. Weil die Erde sich mit einer Geschwindigkeit von 5400 Meilen binnen 24 Stunden von Westen nach Osten dreht, so kann unter dem Aequator, wo diese Bewegung am stärksten ist, das Wasser ihr nicht folgen, bleibt also zurück, wendet sich von Afrika weg nach Amerika, stauet sich an dessen Küsten, und wird durch die überwiegende Schwere rechts und links von den tropischen Gegenden abzufließen genöthigt. Hierdurch entstehen nun Meeresströme, und zwar außer der allgemeinen Strömung von Osten nach Westen, noch zwei bedeutende; sie laufen fast parallel mit dem großen, 50 Grad breiten Zuge, aber demselben durchaus entgegengesetzt, und bringen so die Gewässer, welche dieser von Afrika nach Amerika, und von Amerika nach Asien führt, wieder zurück von Amerika nach Afrika, und von Asien nach Amerika. Die sogenannten Strudel sind kleine, im Kreise sich bewegende, durch Felsen bedingte Strömungen. Der entsetzlichste von allen ist der Mahlstrudel bei Norwegen; denn die Scylla und Charybdis bei Sicilien sind nur in der Phantasie der Alten gefährlich gewesen. Die dritte Hauptbewegung des Meeres ist der Wellenschlag. Er rührt stets von äußeren Veranlassungen, und zwar von Wind und Wetter her. Der Wind regt das Meer furchtbar auf, man hört bei einem mächtigen Sturme das Tosen und Brausen desselben meilenweit. Es wird schwarz und bekommt durch die Wasserhäupter der schäumenden Wellenspitzen[165] einen entsetzlichen Anblick. Bergehohe Wellen scheinen sich aufzuthürmen, zu denen hinan der Wind das gebrechliche Fahrzeug treibt, bodenlose Abgründe öffnen sich, wenn es den Gipfel erreicht hat, drohend, es zu verschlingen. Doch fürchten gutgebaute Schiffe den Sturm nur in der Nähe der Küste. Da sind die Wellen oft hundert Fuß hoch, stürzen drohend auf die flachen Stellen, wo das Meer bis auf den Grund aufgewühlt ist, erheben das schwankende Haupt höher und höher, jede neue Welle vergrößert die vorhergehende, bis sie sich überstürzt, und unter ihre schäumende, zerstäubende Masse begräbt, was sich ihr nahet. Diese Wellen, welche sich nur am flachen Ufer finden, nennt man Brandung, und sie haben eine Alles zerstörende Gewalt. Vom Winde unterstützte, sogenannte Springfluthen, bringen diese Brandungen auf den höchsten Grad; sie erhalten dann überall verschiedene Namen, so Mascaret bei Bourdeaux, Sarf im indischen Meere, Pororocca in Südamerika etc., und gehören zu den schrecklichsten Erscheinungen des Oceans. Den Zusammenhang der Meere, welche die Erde umfließen, haben die Reisen um die Erde gezeigt, und seitdem man solchen Expeditionen wissenschaftlich gebildete Naturforscher mitgab, dazu beigetragen, viele Mährchen, die man dem wundersüchtigen Publikum aufgebunden hat, zu zerstreuen. So sind die Fabeln von dem Magnet-Berg, von den Meerseen, von den ganze Schiffe verschlingenden Haifischen etc. längst vergessen, und nur über wenige solcher Wunder, wie der Kraken und die Seeschlange, ist man noch in Zweifel.

V.

Quelle:
Damen Conversations Lexikon, Band 7. [o.O.] 1836, S. 163-166.
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