Schauspiel

[81] Schauspiel. Alles Schöne entwickelt sich seinem ersten Ursprunge nach aus dem Gefühle des Hohen und Unendlichen. Aphrodite entstieg den Wogen des heiligen Oceans: die Kunst trank den ersten Lebensbalsam an dem Busen der Göttlichkeit. Daher war das Theater in frühester Zeit nicht bloß ein künstlerisches Vergnügen, sondern ein wichtiger Theil des religiösen Kultus. Zu Ehren des lybischen Löwenbändigers, des heiligen Dionysos (s. Bacchus[81] ertönten auf der Bühne der Griechen begeisterungstrunkene Dithyramben: Musik und Tanz vereinten sich mit dem Wohllaute der jonischen Rede, um die Mysterien des schäumenden Bacchusdienstes zu verherrlichen. Freilich war die Bühne nur eine kunstlos aus Baumzweigen zusammengefügte Hütte. Selbst Thespis (s. d.) 580 v. Chr., dem man die Einführung der Tragödie (s. tragisch) zuschreibt, – dieser dramatischen (s. Drama) Darstellung einer großartigen Handlung, in welcher der Mensch im erhabenen Streite mit der Leidenschaft und den Verhältnissen der Außenwelt, gegen die Nothwendigkeit, gegen das Schicksal ankämpft – zog mit einem bloßen Wagen Umher, auf dem er seine rohen Stücke aufführte, und nur erst allmälig gesellte sich der innern Rundung und Ausbildung der theatralischen Dichtungen auch der äußere Glanz zu. Bald erhoben Aeschylus (s. d.), Sophokles (s. d) und Euripides (s. d.) vie Tragödie zur künstlerischen Vollendung: ihre harmonischen Verse tönten von der geschmückten Bühne herab wie melodisches Wellengekose an das zarte, lauschende Ohr der für das wahre Schöne entzündeten Griechen; – und hatte noch Thespis Zeitgenosse, Susarion, auf einem elenden Bretergerüste in plumper Satyre die Thorheiten und Laster seiner Zeit geschildert, so wurde später jene artige dramatische Bearbeitung einer komischen Handlung (s. komisch), in der Begebenheiten, wie Charakter und Sitten der dargestellten Personen, zur sinnreichen Erheiterung der Zuschauer geschildert werden, – die Komödie, zugleich mit der ihr verwandten Posse (s. d.), Farçe(s. d.) und den phantastischen Kindern der burlesken (s. d.) Laune überhaupt, durch Epicharmus, Krates, Aristophanes (s. d.),noch später durch Menander, und bei den Römern durch Plautus und Terentius, nach und nach in harmonischer Schürzung und Lösung des Knotens und kunstvoller Gliederung zu immer höherer Idealität ausgebildet. An die Stelle der Breterhütten traten große steinerne Theater, meist im Halbzirkel erbaut, oder von elliptischer Form, – Amphitheater (s. d.). Namentlich[82] überboten sich die römischen Städte hierin an Luxus und fast unglaublicher Verschwendung. Das Theater des Marcus Aemilius Scaurus, eines Zeitgenossen des Cäsar, zu Rom war mit 3000 Bildsäulen geschmückt und konnte 80,000 Menschen fassen. Wie bei den Griechen bestanden die röm. Schauspielhäuser aus 3 Haupttheilen: dem Halbzirkel, wo die Zuschauer saßen, oder dem eigentlichen Theater, sodann dem Platze für die Schauspieler in dem Quergebäude, welches die beiden Enden des im Halbzirkel gebauten Hauses verband, der Scene, – und endlich aus dem Orchester (s. d. und Proscenium und Chor). Prächtige Theater besaßen Korinth und Sparta, und vor Allem Epidaurus und Magalopolis auf der Insel Aegina. Früher wie die griechischen oben offen, wurden nach den punischen Kriegen die röm. Theater mit Purpurtüchern, später mit der kostbarsten, ausländischen Leinwand, und unter Nero sogar mit einem golddurchwirkten Teppich überspannt, und aus versteckten Röhrchen träufelte zugleich eine köstliche Mischung von Wein und Balsam herab, um im ganzen Gebäude eine liebliche Kühlung zu verbreiten. – Auch unter den neuen Völkern entfaltete sich die erste Blüthe der dramatischen Kunst im Schooße der Religion. Die heiligen Historien unter Karl dem Großen und in größerer Ausdehnung unter der Regierung Karl's V. in Frankreich versetzten die Bühne noch in die Kirche, und erst durch die Narrenfeste und Maskeraden, deren Haupttummelplätze ursprünglich auch die Gotteshäuser waren, durch die sogenannten »Moralitäten,« moralischen Schauspiele, hindurch bahnte sich die dramatische Kunst einen Weg zu jener weltlichen Herrschaft, die sie seit den Zeiten eines Racine, Corneille und Molière immer glorreicher behaupten lernte. Spanien erhielt seinen Calderon und Lopez de Vega, England seinen Shakespeare; das bisher nur in der Oper (s. d.) und in den weichen, melodischen Dialogen des Metastasio schwelgende Italien wurde durch Goldoni und Gozzi, besonders aber durch Dichter, wie Alfieri und Manzoni, für eine allseitigere Pflege der Dramatik empfänglich.[83] So konnte es denn nicht ausbleiben, daß auch in Deutschland die Puppenspiele und dramatisirten biblischen Geschichten, die nürnbergischen Fastnachtspiele, Schäfer- und Waldkomödien und die pomphaften »Haupt- und Staatsactionen« mit der Zeit dem geläuterten Geschmacke nicht mehr zusagen wollten. Karoline Neuberin (s. d.) bildete in den ersten Jahrzehenden des vorig. Jahrh. die erste regelmäßige Truppe. Der Harlekin (s. d.) mußte die Breter verlassen; Lessing (s. d.) erschien mit seiner dramaturgischen Kritik und seinen Schauspielen; Künstler, wie Eckhof, der wahre Vater der deutsch. Schauspielkunst, Reinecke (s. d.), Schröder etc., und vor Allem der als Dichter, wie Mime gleich große Iffland (s. d.) erhoben die Gebilde der Dramatik zum Nationalinteresse. Ihr widmeten von nun an die größten Ge:ster ihre schönsten Mußestunden; sie wurde zum süßen Bedürfniß, zur verfeinerten Erholung, ein Centralpunkt früher kaum geahneter, künstlerischer und geselliger Reize; und so soll und muß die Bühne immer mehr das werden, was Schiller von ihr wollte, in ihr sah: »ein offener Spiegel des menschlichen Lebens, auf welchem sich die geheimsten Winkelzüge des Herzens illuminirt und fresco zurückwerfen, wo alle Evolutionen von Tugend und Laster, alle die verworrensten Intriguen des Glückes, die merkwürdige Oekonomie des Schicksals, dem schwelgenden Auge übersehbar zu Gesichte liegt; – ein Tempel, wo der wahre, natürliche Apoll, wie einst zu Dodona und Delphi, in melodischen Tönen goldene Orakel zum Herzen redet!«

S....r.

Quelle:
Damen Conversations Lexikon, Band 9. [o.O.] 1837, S. 81-84.
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