Kirche

[134] Kirche. Im Raum und in der Zeit geboren und herangewachsen, immer nur an das Sichtbare gefesselt, vermag der Mensch nicht klar den Gedanken zu fassen an die ewige, von keinem Raum umschlossene Gottheit. Darum dachten sich die Heiden ihre Götter von menschlicher Gestalt und im Raum, in heiligen Hainen oder in prächtigen Tempeln wohnend. Auch der Mosaismus konnte sich von dieser Ansicht nicht völlig losreißen. Denn Jehovah wohnte im Allerheiligsten und zeigte sich dort dem Oberpriester in geweiheten Flammen, während das Volk im Vortempel betete. Die Idee von der Gottheit ward erst durch das Christenthum vollkommen ausgebildet. Darum tritt auch hier der Begriff Kirche in einer zweifachen Bedeutung hervor. Denn einmal versteht man darunter die der Gottesverehrung gewidmeten Gebäude, welche besonders seit dem vierten Jahrhundert in Gebrauch kamen, oft mit ausnehmender Pracht ausgeführt wurden, und durch diese Pracht das Gemüth der Gläubigen zur Andacht stimmten. Eine andere Bedeutung hat das Wort Kirche in sofern, als man darunter die Versammlung oder Vereinigung der Christen zu einem religiösen Bunde versteht. Zwar stiftete Jesus nicht unmittelbar selbst eine solche Vereinigung; aber aus den Anstalten, die er dazu traf, und aus den Aufträgen, welche er seinen Jüngern in den letzten Tagen, die er bei ihnen war, noch gab, geht es unverkennbar hervor, daß er die Absicht hatte, eine solche Anstalt zu gründen. Denn durch diese Anstalt wurde die geistige und sittliche Veredlung und Erhebung des Menschengeschlechtes erst möglich. Aber nicht immer begreift man unter dem Ausdrucke Kirche alle Menschen, welche zu dem Christenthum sich bekennen, sondern sehr oft versteht[134] man darunter auch nur eine religiöse Partei, z. B. die katholische, die evangelische, die lutherische, die reformirte, die anglikanische Kirche u. s. w. In dieser Hinsicht betrachtet man die Kirche auch als eine moralische Person oder als ein Staatsglied. Beide Anstalten können nur dann mit Erfolg für das Wohl der Menschheit wirken, wenn sie in so inniger Verbindung, in einem so richtigen Verhältniß zu einander stehen, welches weder den Staat in der Kirche, noch die Kirche im Staate untergehen läßt. Dann schützt und beaufsichtigt der Staat die Kirche, und kann derselben auch selbst befehlende Gewalt ertheilen.

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Quelle:
Damen Conversations Lexikon, Band 6. [o.O.] 1836, S. 134-135.
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