Spitzen

[359] Spitzen, deren es genähte, gewebte und geklöppelte gibt, nehmen noch immer eine ansehnliche Stelle unter den Gegenständen ein, welche den Frauen wünschenswerth erscheinen. Ehe noch die Blonden und der englische Tüll durchgängig bekannt waren, erbten die Spitzenhaube, Tücher und Besetzungen von der Groß-Großmutter auf die Enkelin und machten einen wichtigen Theil der Ausstattung aus. Man wußte noch nicht, daß der gute Ton im 19. Jahrhundert gebieten würde, Blonden zu seidenen Roben zu tragen, sondern ließ getrost die Brüsseler Kanten, welche viermal höheren Werth als Gold hatten, neben Diamanten auf den schwersten Stoffkleidern paradiren. Noch theuerer zu stehen kamen die ersten Spitzen, welche Frankreich, als es selbst keine producirte, von den damaligen Stapelplätzen des Luxus, Genua und Venedig, kommen ließ. Es erschien deßhalb 1629 eine Verordnung, welche verbot, Spitzen, von denen die Elle mehr denn 18 Gr. (3 Livres) koste, zu tragen, und da man um diesen Preis keine ausländischen erhalten konnte, so mußte auf Anlegung von Spitzen-Manufacturen im Lande gedacht werden. Zu Alençon und Argenton traten sie zuerst in's Leben, und die französischen und östreichischen Niederlande folgten dem gegebenen Beispiele. Bald übertraf Brabant seine Vorgänger, und noch jetzt, wo man längst in England und Sachsen versucht hat, vortreffliche Spitzen zu verfertigen, bleibt doch den Brüsselern immer der Vorzug. Der wunderschöne Lein, der in Flandern und Geldern zu diesem Zwecke eigends gebaut wird, trägt sicher das Meiste dazu bei, und wie hoch die sorgsame Pflege eines Naturprodukts[359] seinen Werth zu steigern vermag, beweist die Bemerkung, daß man in Brabant aus einem Pfunde zu Spitzen verarbeiteten Flachses, 7000 Gulden gewinnt. Das Spinnen geschieht in Hennegau, worauf das Gespinnst zur Bleiche nach Harlem, Bloomenthal und Gent geschafft wird, von wo es die Reise nach Mecheln und anderen Orten, die es zwirnen, macht. Dann kommt es noch einmal auf die Bleiche und nun endlich zu seiner letzten Bestimmung, dem Klöppeln, nach Brüssel, wo in der Stadt und Umgegend an 10,000 Personen in 10–15 Fabriken damit beschäftigt sind. Die dort gefertigten S. zeichnen sich durch Feinheit, glänzende Weiße und geschmackvoll variirte Zeichnungen vor allen anderen aus, und stehen noch in bedeutenden Preisen. Man unterscheidet sie nach dem Grunde, auf welchem die Muster angebracht werden, und es gibt da: points de Bruxelles à fond réseau, fond bride, fond mosaïque, fond clair, fond lâche, fond secré u. s. w. Nach ihnen kommen die Mechelner S. (points de Malines), welche aus dem besten Zwirn gemacht werden und deßhalb von einer solchen Dauerhaftigkeit sind, daß man sie am Liebsten zum Garniren der Leibwäsche erwählt. Sie fallen außerordentlich in's Gewicht, und sind darum fast noch theuerer, als die feineren und breiteren Brüsseler. Ihre kostbarste Sorte nennt man Spaldewerks Kanten. Doch werden auch zu Brüssel und Antwerpen S. verfertigt, die als points de Malines in den Handel gehen. Die points de Valenciennes, mit denen man besonders die prächtigen, modernen Taschentücher zu garniren pflegt, sind viel leichter gearbeitet, wie die bereits genannten, auch haben sie niemals eine so reine Weiße. Gent und Mons im Hennegau liefern die noch billigeren, aber freilich wieder geringeren fausses Valenciennes, welche Unbemittelteren zufallen. Das nördliche Frankreich fabricirt auch viele S., die als points d'Alençon verkauft werden. Sie gleichen den Brüsselern sehr, entbehren jedoch Glanz und Zierlichkeit der Muster. England ist nicht minder eine Rivalin Brüssels hinsichtlich der S., doch ohne deren Trefflichkeit[360] zu erreichen. Dorset, Buckingham, Northampton, Salisbury und andere namhafte Städte geben sich viel damit ab. In Deutschland sind die im sächsischen Erzgebirge geklöppelten S. die berühmtesten. Nach dem Wohnsitze der ehrwürdigen Erfinderin (s. Barbara Uttmann) dieses für die armen Bergmannsfamilien so segensreichen Erwerbszweiges der Stadt Annaberg, heißen sie im Handel sämmtlich Annaberger Spitzen, und finden starken Absatz in allen Ländern Europa's. Die Hauptniederlagen sind zu Annaberg, Zwickau, Schneeberg, Altenberg. Die letzte Qualität der Spitzen endlich, die jedoch immer noch sehr gut ausfällt, wird zu Tundern im Herzogthum Schleswig gemacht. An 8000 Personen in und bei der Stadt nähren sich von dieser Arbeit, die viel und weit verkauft wird. Amerika, das Wunderland, hat vor unserem Welttheile auch noch den Vorzug, daß dort die Natur spendet, was bei uns der menschliche Fleiß mühsam hervorbringen muß. Auf Jamaica und Cuba nämlich wächst ein Baum, die Spitzenrinden-Daphne, deren seine innere Rinde täuschend die Brüsseler Kanten nachahmt. Die reichen Damen Havannahs benutzen dieß merkwürdige Gewebe zu Kleidern und Kragen. Schon Karl II. von England, dem man einen solchen Kragen zugesandt hatte, trug ihn gern neben den echten Spitzen seines prunkvollen Hofes. Bei Bällen und Abendgesellschaften verbergen die Kreolinnen die großen Glühwürmer Westindiens unter den durchsichtigen Falten solcher Gewänder und unter den Gürteln, was dann ein wahrer Feenputz ist, der die funkelndsten Diamanten noch übertrifft. Das männliche Geschlecht gab schon längst seine Ansprüche an die Spitzen auf, und freilich möchten die Tuchröcke dazu nicht so gut wie die Sammet-Wämser und Seidenkleider der vornehmen Herren von ehemals passen. Als die Frauen die mittelalterliche Kleidung ablegten und das fliegende Gewand ergriffen, behielten sie doch die Spitzen bei, und nur, nachdem die fortschreitende Industrie den Tüll an ihre Stelle wohlfeiler und neumodischer zu bieten begann, verschwanden die Spitzen bis zu einem[361] gewissen Grade. Allmälig kehrt seit wenig Jahren ihr Gebrauch wieder, und vielleicht möchten sie in Kurzem zur alten Herrschaft gelangen. Beim Waschen verlieren alle Spitzen etwas, und die Weiße, welche sie dadurch erhalten, war ehedem so unbeliebt, daß man die gewaschenen Spitzen vor dem Aufstecken, das ihnen die Form erhält, durch schwarzen Kasse zog, um ihnen die mattgelbliche Farbe der Neuheit wiederzugeben. Ein gutes Recept, schwarze Spitzen, vorzüglich Schleier, zu reinigen, ist folgendes: Das heiße Wasser wird mit Ochsengalle vermischt, und nachdem man die Spitzen darin ausgewaschen hat, spült man sie in kaltem, reinem Wasser, bis sich aller üble Geruch verloren. Hierauf taucht man sie in eine dünne Fischleimauflösung, drückt sie rein aus und steckt sie auf. Seidene Spitzen oder Blonden, die neben den zwirnenen allenthalben verfertigt werden, zu waschen, bedarf es eigener Kenntniß, auch darf man es nur sehr selten wagen. Die ersten wurden bei Paris, von wo noch jetzt die besten kommen, gemacht.

F.

Quelle:
Damen Conversations Lexikon, Band 9. [o.O.] 1837, S. 359-362.
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