Industrie

[417] Industrie, der Kunstfleiß, der in unserm Leben, wie es jetzt gestaltet ist, eine hochwichtige Rolle spielt. Mit der wachsenden Kultur steigt und vergrößert sich auch die Industrie, neue Erfindungen erzeugen neue Bedürfnisse, und so umgekehrt. Rohe, uncivilisirte Völker haben keine Industrie, sie leben von ihren Naturprodukten, von Jagd und Fischfang und befriedigen damit alle ihre Bedürfnisse. Was sie außerdem etwa brauchen, das tauschen sie von kultivirten Nationen gegen ihre rohen Produkte ein. An dem kultivirten Menschen ist es nun, diese rohen Produkte zu verfeinern, zu veredeln, mannichfach umzugestalten und verschiedenartig zu verwenden. Einige Industrie besitzen schon die großen Negerstaaten in Süd- und Mittelafrika. So geht es stufenweise aufwärts zu den Italienern und Spaniern, den Türken und Russen, bis zu den Engländern, Deutschen und Franzosen, deren Industrie die höchste Stufe erreicht hat. Nach dem individuellen Charakter der Nationen ist auch ihre Industrie verschieden. Die Frauen in der Türkei und Persien üben nur einen geringen Einfluß auf die Industrie aus, da ihre Stellung im Leben eine sehr untergeordnete ist. Zwar tragen sie kostbare Shawls, edles Pelzwerk, trefflich gefaßte Juwelen, gold- und silbergestickte Schleier; aber hauptsächlich befaßt sich doch die Industrie mit der Fabrikation von Waffen, Säbeln, Pistolen, Flinten, Corduan und Saffian, [417] elegantem Sattel- und Riemenzeuge. Im südlichen Asien (Indien), wo die Sucht, sich zu schmücken, viel größer ist, wird wenig Eisen, aber viel Gold verarbeitet, meist zu Juwelierarbeiten, Goldstoffen etc. Die Chinesen, Eigenthümer eines eigenen barokken Geschmakkes, excelliren in Schnitzwerken aus Holz und Elfenbein, in Porzellangefäßen, Malereien, Korb- und lackirten Waaren. Bei uns hat das schöne Geschlecht den entschiedensten Einfluß auf die Industrie; denn wir unterliegen in Folge unserer höhern Kultur, welche nach und nach jeden nationellen Typus verwischt, der Mode! Riesige Dampfmaschinen und die kleinsten Spiralfedern werden in Bewegung gesetzt, um Erzeugnisse für den Gebrauch und den Luxus, zu Kleidung und Putz zu liefern. Die Dampfmaschine dreht Millionen der zartesten Fäden zu Musselin, Batist, Tibet etc.; zieht ungeheure Eisenklumpen, Messing, Kupfer, Gold, Silber etc. zu Draht, um Nähnadeln, Stricknadeln, Borden daraus zu verfertigen. Zahlreiche Handelsflotten holen Baumwollen zu seinen Stoffen, Indigo, Brasilien-, Gelbholz etc. zur Färbung, Diamanten aus Brasilien, Perlen aus Hindostan, Federn aus Afrika, Korallen vom Meeresgrunde etc., meistens in ihrer rohen Beschaffenheit, herbei, die von unserer Industrie verarbeitet, sich zu dem prachtvollsten Putze vereinen. An die wechselnde Mode (s. d.) schließt sich Hand in Hand die Industrie, tausend Erfindungen und Verbesserungen bereichern sie alljährig; ihr Wirken ist ein ewiges Weiterstreben, wie das der Menschheit; das Ziel ihrer Vollendung dürfte erst in Jahrtausenden, vielleicht auch nie, erreicht werden, denn dem menschlichen Forschungsgeiste scheint vom Schöpfer keine Grenze gesteckt zu sein. V.

Quelle:
Damen Conversations Lexikon, Band 5. [o.O.] 1835, S. 417-418.
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