Industrie

[443] Industrie nennt man das auf Kenntnisse, Verstand, Fleiß und Geschicklichkeit sich gründende Bestreben nach Vervollkommnung und leichter Vervielfältigung der Producte der Kunst und des Gewerbfleißes; industriell ist der Mensch, welcher die Fähigkeit und den Willen zu solchem Bestreben besitzt. Wie Ungeheures die Industrie unter günstigen Umständen zu leisten im Stande sei, lehrt schon der oberflächlichste Vergleich des gesellschaftlichen Zustandes der Gegenwart mit dem der Vergangenheit. Fabriken und Manufacturen, Dampfmaschinen und Eisenbahnen, unzählbare Producte der Chemie, Buchdruckerkunst, Kupferstechkunst u.s.w., Alles dieses verdanken wir der Industrie. Diese kann in einem Volke erst dann aufkommen, wenn eine gehörige Verstandesbildung, eine Menge nützlicher Kenntnisse und Lust zum Erwerb in ihm verbreitet sind. Die ersten beiden sind nur da möglich, wo Aberglauben und Vorurtheile ihre Macht verloren haben, und die Lust zum Erwerb, welche Fleiß und durch Übung erlangte Geschicklichkeit im Gefolge hat, kann nur da eintreten, wo der Besitz gesichert ist, also in durch Gesetze innerlich und durch politisches Ansehen nach außen sicher gestellten Staaten. Aber auch das Klima und die Bodenbeschaffenheit des eignen Landes und der Verkehr mit andern Ländern sind auf die Industrie eines Volkes von großem Einfluß, indem nur, wenn diese Verhältnisse günstig sind, eine hinreichende Menge von Producten vorhanden ist, an deren Verarbeitung die Industrie sich geltend machen kann. Die Industrie kann für ein Volk nur dann gefährlich werden, wenn die Erwerbslust in Habsucht und die Verstandesbildung in eine thörichte Verachtung aller höhern, über das irdische Leben hinausreichenden geistigen Interessen ausartet. Eine wahrhaft tüchtige Erziehung und eine dieselbe kräftig unterstützende Gesetzgebung sind die Schutzmittel wider eine solche Entartung.

Weniger um Kinder so auszubilden, daß sie später in den Stand gesetzt sind, ihre geistigen und körperlichen Kräfte auf eine industrielle Weise in Anwendung zu bringen, als vielmehr in der Absicht, die Jugend selbst schon auf eine ihren Kräften angemessene, nützliche, ihnen einen, wenn auch nur erst geringen Erwerb sichernde und zugleich sie zum spätern Lebensberufe vorbereitende Weise zu beschäftigen, hat man an verschiedenen Orten Industrie- oder Arbeitsschulen errichtet. Feld- und Gartenbau im Sommer, Spinnerei im Winter sind die gewöhnlichsten Lehrgegenstände in diesen Anstalten. Besonders zeichnen sich die Industrieschulen Frankreichs aus; in der neuern Zeit behauptet aber die zu Hofwyl in der Schweiz (s. Fellenberg) den ersten Rang. In Deutschland wurde die erste Industrieschule 1777 zu Prag von dem Probste Schulstein errichtet. Würzburg, Mecklenburg-Schwerin, Baden, das Kurfürstenthum Hessen, Hanover, Braunschweig folgten nach. Die ausgezeichnetste franz. Industrieschule befindet sich in Strasburg.

Quelle:
Brockhaus Bilder-Conversations-Lexikon, Band 2. Leipzig 1838., S. 443-444.
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