Lyon

[445] Lyon. Diese noch vor kurzen so reiche und blühende Stadt, nach Paris die erste Stadt in Frankreich, liegt im ehemahligen Gouvernement Lyonnois, nach der jetzigen Französischen Geographie im Departement Rhone und Loire. Wiewohl die meisten Straßen etwas enge sind, so hatte es doch viele prächtige Gebäude und vorzüglich schöne Plätze. Es war noch kürzlich der Sitz eines Bischofs, und zählte im Jahr 1789 5000 Häuser und 150,000 Einwohner. Außer seinen berühmten Seiden- Tressen- u. a. Manufacturen machte es seine glückliche Lage am Zusammenfluß der Saone und Rhone zur Niederlage aller Waren aus der Levante und dem Süden. Lyon hatte vor allen andern Handelsstädten Europens den wesentlichen Vortheil, daß es beim Ankaufe immer in barem Gelde zahlte, und beim Verkaufe ein Jahr Credit gab. Es erregte in einem hohen Grade die Bewunderung Josephs II. als er Frankreich durchreiste, besonders da man ihm auf seine Frage sagte, daß Lyon allein wohl in den ersten 24 Stunden 20 Millionen aufzubringen fähig sei, ohne daß dessen Handel dadurch ins Stocken käme. – Während im Verfolg der Französischen Revolution Robespierre und der Berg sich die Herrschaft im Rational-Convent zu verschaffen suchten, und das Schreckenssystem seinen Anfang nahm, suchten die großen Städte Marseille, Toulon, Lyon nebst Bourdeaux, von Natur Rivale der Hauptstadt und durch die daselbst herrschenden Gräuel um so mehr empört, da sie wirklich viele Königlichgesinnte in sich faßten, im mittägigen Frankreich [445] eine Gegenrevolution zu bewirken. So wie ihnen aber überhaupt der anhaltende Ernst fehlte, so hatten sie auch keinen Vereinigungspunkt, wie ihn die Jacobiner schon an dem National-Convent hatten. Indeß wagten vorzüglich Marseille und Lyon kühne Versuche, welche jedoch mißlangen, wovon vorzüglich Lyon die traurigsten Folgen empfand. Lyon wagte es zwei Tage vor dem 31. Mai 1793, nach einem großen Gemetzel unter den Parteien, ihre Jacobinische Municipalität abzusetzen und dem National-Convent den Gehorsam aufzukündigen, indem sie ihn für nicht frei erklärte, wie er denn auch wirklich nicht war. Die Nachricht von der Revolution des genannten Tages, durch welche der Sieg der Bergpartei über die Girondisten entschieden war, bestärkte sie vollends in ihrem Unternehmen. Allein der National-Convent ließ sie, anfangs durch den General Kellermann, dann durch den Volksrepräsentanten Dubots-Cranceʼ und den General Doppet förmlich belagern; und sie mußte sich, nach der tapfersten Gegenwehr unter dem General Precy, am 9. Oct. d. J. auf Gnade und Ungnade ergeben, nachdem dieser vergebens den Kern seiner Mannschaft durch die Flucht zu retten gesucht hatte. Es war schrecklich, wie die Eroberer mit dieser unglücklichen Stadt verfuhren. Die Guillotine, welche Tage lang fortwüthete, war noch zu langsam für die Wuth der Rach- und Habsüchtigen; man trieb die für schuldig gehaltenen in einen Haufen zusammen, und schoß sie mit Kartätschen- und Flintenschüssen nieder. Der National-Convent erklärte, »es solle künftig in Frankreich keine Stadt genannt Lyon mehr sein; nur die Häuser der Armen, der erwürgten oder verbannten Patrioten, oder die dem Kunstfleiße, der Unterstützung der Nothleidenden, dem Unterricht der Jugend dienten, sollten noch bleiben und künftig den Namen Ville affranchie (befreite Stadt) führen. Auf den Trümmern von Lyon sollte sich eine Säule erheben, mit der Aufschrift: »Lyon führte Krieg mit der Freiheit; Lyon ist nicht mehr.« Am 31. Dec. 1793 ließ diese Stadt dem National-Convent eine rührende Bittschrift um Schutz übergeben (Minerva, Febr. 1794), die derselbe jedoch gar nicht achtete. Man hat nicht ohne Glaubwürdigkeit versichert, daß die öffentlichen Nachrichten die traurige [446] Lage von Lyon um vieles übertrieben haben, welches um so mehr zu wünschen ist, da selbst bei der größten Uebertreibung notorisches Unglück für dieselbe genug übrig bleibt. Die gemäßigten Gesinnungen der gegenwärtigen Verwaltung in Frankreich haben sich auch in Rücksicht auf Lyon geäußert; und da diese Stadt noch unlängst voller Feinde der jetzigen Regierung war, so hat sie das Directorium (1796) in einer vortrefflich abgefaßten Proclamation zur Ruhe aufgefordert.

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Brockhaus Conversations-Lexikon Bd. 2. Amsterdam 1809, S. 445-447.
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