Accidens

[8] Accidens (Accidenz) (to symbebêkos) heißt das unwesentliche, wechselnde, äußere, »zufällige«, nur in Beziehung auf besondere Dinge auftretende Merkmal eines Dinges. Der Gegensatz zu »accidentiell« ist »essentiell«. Die »Accidenzen« werden auch als Zustände, Bestimmungen der Substanz (s. d.) dieser selbst gegenübergestellt.

Das »Accidens« im Sinne des Unwesentlichen, nicht im Begriffe eines Dinges Liegenden oder direct aus ihm Folgenden kommt zuerst bei ARISTOTELES vor. Es ist das, was sich out' ex anankês out' epi to poly an einem Dinge[8] findet (Met. IV, 30, 1025 a 14), z.B. das Weiß-sein des Menschen (Met. V, 2, 1026 b 35). Was einem Dinge nur beziehungsweise zukommt, ist kata symbebêkos. Vom Accidentiellen gibt es kein eigentliches Wissen (Met. X, 8, 1065 a 4), weil es unbestimmt (aoriston) ist (Phys. II, 4, 196 b 28). PLOTIN unterscheidet die Accidentien der Dinge von ihren Wesenheiten (Enn. II, 6, 2). PORPHYR definiert: symbebêkos de estin, ho ginetai kai apoginetai chôris tês tou hypokeimenou phthoras (pag. 6, 4 a 25 ff.). In des BOËTHIUS Übersetzung: »Accidens vero est, quod adest et abest praeter subiecti corruptionem«. Es gibt ein »accidens separabile« und »inseparabile« (chôriston achôriston) (l.c. p. 39). Der Terminus »accidens« kommt schon bei SENECA (Ep. 117, 3) vor.

Die Scholastiker halten diesen Begriff fest (vgl. PRANTL, G. d. L. III, 343). Man unterscheidet zuweilen »absolute« (quantitas, qualitas) und »respective« Accidenzen (l.c. III, 282). Nach THOMAS ist accidens »res, cuius naturae debetur esse in alio« (Sum. th. III, 77, 1 ad 2), es ist »praeter essentiam«(l.c. I, 54, 3 ad 2). »Accidentis esse est inesse.« Es gibt »accidens commune« und »accidens proprium« (l.c. I, 3, 4c). SUAREZ erklärt, accidens esse talem formam, quae afficit vel modificat sÜbiectum extra rationem. eins existens (Met. disp. 37, sct. 2). GOCLEN teilt uns mit, accidens bedeute »quod accedit vel decedit absque rei corruptione«. »Quicquid nihil confert ad constitutionem subiecti, sed ad illud constitutum insuper accedit, illud potest abesse vel adesse praeter subiecti ipsius corruptionem« (Lex. phil. p. 26). So sind von den »formae essentiales« die »formae accidentales« zu unterscheiden (ib.). Man spricht auch von einer »accidenteïtas« als der »essentia accidentis«, sowie von einem »accidens per accidens« für jenes accidens, »quod non est per se seu essentiale« (l.c. p. 33).

Die Motokallimûn lehren das beständige Von-neuem-Geschaffenwerden der Accidenzen durch Gott (vgl. STÖCKL, G. d. Ph. d. M. II, 148).

BERKELEY verwirft mit dem Begriffe einer materiellen Substanz auch den des Accidens (Princ. XVII).

Nach BAUMGARTEN ist accidens ein »praedicamentum sive physicum, cuius esse et inesse« (Met. §191), und er erinnert an den scholastischen Satz: »accidentia non existere possunt nisi in aliis, non extra suas substantias« (l.c. § 194) KANT nennt Accidenzen »die Bestimmungen einer Substanz, die nichts anderes sind, als die besonderen Arten derselben, zu existieren« (Kr. d. r. V. S. 178). Nach PLATNER sind sie »die verschiedenen Arten und Grade des Wirkens oder Seins einer Substanz« (Phil. Aph. I, § 864). J. G. FICHTE: »Die Accidenzen, synthetisch vereinigt, geben die. Substanz – die Substanz, analysiert, gibt die Accidenzen« (Gr. d. g. W. S. 161). Nach SCHELLING ist an einem Objecte das Accidens, was nur eine Größe in der Zeit hat (Syst. d. tr. Id. S. 218, 233).

DESCARTES gebraucht lieber das Wort »modus«, denn »accidens« ist nicht »praeter modum cogitandi, utpote quod solummodo respectum denotat« (Princ. ph. I, 51, 55). Ähnlich die Logik von PORT-ROYAL (I, 6). Nach HOBBES ist accidens ein »modus concipiendi corporis« (Comp. VII, 2). J. ST. MIIL nennt Accidenzen »alle Attribute eines Dinges, die weder in der Bedeutung des Namens eingeschlossen liegen, noch in einem notwendigen Connex mit den darin eingeschlossenen Attributen stehen« (Log. I, 158). Es gibt trennbare und untrennbare Accidenzen (ib.). Vgl. Substanz, Ding.

Quelle:
Eisler, Rudolf: Wörterbuch der philosophischen Begriffe, Band 1. Berlin 1904, S. 8-9.
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