Abälard, Petrus

[1] Abälard (Abeillard, Abélard), Petrus. Geb. 1079 in Pallet (oder Palette) bei Nantes. Er genoß den Unterricht der Scholastiker Roscelinus, Wilhelm von Champeaux u. a. Er lebte und lehrte an verschiedenen Orten, besonders in und bei Paris (Schloß Melun, Corbeil). Sein Liebesverhältnis mit Heloise (vgl. den Briefwechsel zwischen beiden, Reclams Universalbibliothek), der Nichte des Domherrn Fulbert, verlief bekanntlich schließlich so, daß sowohl Heloise als Abälard ins Kloster gingen. A. starb 1142 in der Priorei St. Marcel bei Chalons. Als Lehrer hatte A. einen großen Erfolg, aber auch heftige Gegner, besonders in Bernhard von Clairvaux. Wiederholt verwarf die Kirche seine Lehren.

A. ist einer der bedeutendsten Vertreter der älteren Scholastik. Er betont mit großem Freimut das Recht der Vernunft und des Zweifels gegenüber der bloßen Autorität. Der Glaube ist wohl das Höchste, aber die Vernunft muß die Gründe des Glaubens darlegen und auch entscheiden, welcher Autorität zu folgen ist. In »Sic et non« werden einander widersprechende Aussprüche von Autoritäten vorgeführt und die Methode angegeben, wie man[1] den Widerspruch lösen könne; die Schrift ist das Vorbild zu den theologischen »Summen« (Sentenzensammlungen). Die Dreieinigkeit Gottes wird so aufgefaßt, daß Gott Vater die Macht, Gott Sohn die Weisheit und der heilige Geist die Güte oder Liebe ist. Die »Dialektik« hat nach A. zur Aufgabe die Unterscheidung des Wahren vom Falschen (»veritatis seu falsitatis discretio«). Voraussetzung der Logik ist die Physik. Die Worte sind Erfindungen der Menschen, stehen aber zu den Dingen in natürlicher Beziehung.

In bezog auf den Universalienstreit vertritt A. einen vermittelnden Standpunkt, wobei er aber dem Nominalismus nähersteht. Das Allgemeine liegt nicht in den Worten selbst. sondern in den Aussagen (»sermones«, Sermonismus), in den Bedeutungen der Worte. Das Allgemeine ist ein »sermo praedicabilis«, eine begriffliche Bedeutung (Konzeptualismus): es ist das von vielem Aussagbare (»quod de pluribus natum est praedicari«). Das Allgemeine ist daher kein Ding, keine selbständige Wesenheit. Die Universalien (oder die Ideen) existieren vor der Schöpfung nur als »conceptus mentis« (Gedanken) im göttlichen Geiste.

Am bedeutendsten ist A.'s Ethik. Diese zeigt, wie das höchste Gut durch die Tugend erreicht wird. Auf die Gesinnung, den guten Willen sowie auf das Gewissen kommt alles an, nicht auf äußere Werke, die an sich weder gut noch schlecht sind. Die Tugend ist »bona in habitum solidata voluntas«. Das Sittliche liegt stets in der »intentio animi«, die Sünde in der Zustimmung zum Bösen, in der Absicht, in dem, was das Gewissen verwirft (»non est peccatum nisi contra conscientiam«). Wenn eine Handlung sowohl objektiv als subjektiv richtig ist, dann ist sie gut, immer aber kommt es auf die Gesinnung, das sittliche Bewußtsein an, das freilich irren kann. »Intentio faciendi propter Deum quod convenit et dimittendi quod non convenit sola in se bona est; opus vero quodcunque numquam ex se bonum appellatur, nisi si ex bona intentione procedit. Intentionis igitur bonitas est propria, operis vero tantum communicata« (Scito te ipsum, C. 7). Das objektiv Gute ist das dem göttlichen Willen Gemäße und dieses ist das natürliche Sittengesetz. Höchstes Gut ist Gott und die Liebe zu ihm.

SCHRIFTEN: Historia calamitatum mearum. – Theologia, 1616 (nur der erste Teil). – Scito to ipsum, 1721 (Ethik). Dialogus inter philosophum, Judaeum et Christianum, 1831. – Die Schriften: Sic et non (1851), die Dialektik und das Fragment: De generibus et speciebus u. a. sind enthalten in: V. Cousin, Ouvrages inédits d'Abélard, 1836. – De unitate et trinitate divina, 1891. – Gesamtausgabe der Schriften (mit Ausnahme der letztengeführten) von Cousin, 1849-59. – Vgl. CH. DE RÉMUSAT, Abélard, 1845. – S. M. DEUTSCH, Peter Abälard, 1883. – A. HAUSRATH, P. Abälard, 1893. – TH. ZIEGLER, Abälards Ethica, Zeller-Festschrift 1884.

Quelle:
Eisler, Rudolf: Philosophen-Lexikon. Berlin 1912, S. 1-2.
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