Beneke, Friedrich Eduard

[53] Beneke, Friedrich Eduard, geb. 17. Februar 1798 in Berlin, studierte Theologie und Philosophie in Halle und Berlin, wurde 1820 Dozent in Berlin. 1822 wurden seine Vorlesungen sistiert, 1824 habilitierte er sich in Göttingen, 1827 wieder in Berlin, wo er aber infolge des Sieges des Hegelianismus wenig Hörer hatte. 1832 wurde er Professor und starb als solcher am l. März 1854: (vielleicht durch Selbstmord).

B. gehört zu den Begründern der neueren Psychologie und hat auch die Pädagogik beeinflußt. Beeinflußt ist er von Kant, Schleiermacher, Schopenhauer, Fries, Herbart, Th. Brown u. a. Er ist ein Gegner rein begrifflicher, über alle Erfahrung hinausgehender, konstruierender Spekulation. Sein Standpunkt ist der eines philosophischen, kritischen Empirismus, für den die Erfahrung die Grundlage alles Philosophierens ist, besonders die innere Erfahrung.und die auf sie sich stützende Psychologie. Erkenntnis ist aber nicht das passive Produkt der sinnlichen Erfahrung, sondern das Resultat denkender Verarbeitung des Erfahrungsinhalte. Die Anschauungsformen sind nicht rein subjektiv und apriorisch, sondern allgemeine, konstante Formen der Erfahrung, denen in den Dingen etwas (eine Ordnung) entspricht. Sein, Inhärenz, Kausalität sind uns unmittelbar durch innere Erfahrung gegeben und werden dann auch in die Objekte hineinverlegt. Überhaupt beruht alle Erkenntnis fremder Wesen auf Analogie, auf Deutung derselben als seelenartige Kräfte.

Die Metaphysik ergänzt die äußere durch den Befund der inneren Wahrnehmung. Letztere ändert am Sein nicht das geringste, sondern hat absolute Wahrheit, geht auf das »An sich« unseres Wesens. Unser psychisches Sein ist nicht Erscheinung, es wird unmittelbar erfaßt, in die Dinge hineinverlegt und die Objekte werden als Erscheinungen eines psychischen Seins aufgefaßt. »Es löst sich hierdurch das Rätsel, wie wir, obgleich rein auf unser Sein beschränkt und in uns selber bleibend, doch mit unserem Empfinden und Vorstellen zu einem Sein außer uns hinüberkommen können« (Lehrb. d. Psychol. § 159; Syst. d. Met. S. 76 ff.). Seele und Leib sind nur graduell verschieden, nur verschiedene Formen und Auffassungen derselben Art Wirklichkeit, wobei aber die Seele vom »An sich« des Leibes numerisch verschieden ist. Die Seele ist immateriell, wie es das An sich des Leibes auch ist, nur ist sie sinnlich und geistig zugleich.[53] Sie ist keine absolut einfache Substanz, sondern ein sich entwickelndes Kräftesystem, ein mit dem »An sich« des Leibes in Wechselwirkung stehendes »immaterielles Wesen, aus gewissen Grundsystemen bestehend, welche eins sind« (Lehrb. d, Psychol. § 38 f.; Met. S. 414 ff.). Der Leib ist an sich eine Psyche niederer Art. Die Seele besteht aus »Urvermögen«; die das Geistige konstituierenden »Spuren« nehmen immer mehr zu (Dynamischer Seelenbegriff). Durch die immer reichere Ausbildung ihrer Kräfte wird schließlich das Leben der Seele nach innen gezogen, bis dann der Tod eintritt, mit dem vielleicht ein neuer Bewußtseinsquell eröffnet wird (Met. S. 385 ff.).

Die Psychologie B.s will nichts von den »Seelenvermögen« wissen, sondern das durch innere Erfahrung möglichst getreu (mittelst »naturwissenschaftlicher« Methoden) erkannte psychische Geschehen dynamisch erklären. Angeboren sind der Seele nur »Urvermögen« (Kräfte), durch welche die Aufnahme und Aneignung der Reize erfolgt. Diese »sind schon vor allen Eindrücken, oder grundwesentlich, mit einem Aufstreben, einer Spannung behaftet und aller Aktivität von selten unserer Seele voran. Diese Spannung der Vermögen wird dann allerdings aufgehoben durch die Befriedigung, welche ihnen die Ausfüllungen durch die von außen kommenden Reize gewähren.« Jedes Urvermögen strebt schon vor der Anregung dem Reize entgegen und es wächst in dem Maße, wie mehrere »Angelegtheiten« gebildet werden. Reizempfänglichkeit, »Kräftigkeit«, Beharren, Verarbeitetwerden, sich Verbinden und Wirken alles dessen, was in der Seele auf Grund der Reize und psychischen Akte sich ansammelt, ist der Kern der B.scheu Psychologie. Unter »Spur« versteht er das in der Seele unbewußt Beharrende, soweit es Nachwirkung von Reizungen ist, während es als Bedingung weiterer psychischer Entwicklung Anlage, »Angelegtheit« ist (Lehrb. d. Psychol. § 27). Die »Spur« ist das, »was von früheren Seelenakten innerlich fortexistiert«, eine psychische Disposition.. Die vier seelischen »Grundprozesse« sind das Gesetz der Reizaneignung (Empfindung), der fortwährenden Bildung neuer Urvermögen (aus Spuren), der Ausgleichung beweglicher Elemente, der Verbindung gleichartiger Elemente (Verschmelzung). Was aus dem Bewußtsein geschwunden ist, erhält sich im innern, unbewußten Seelensein weiter als Spur, die zugleich »Strebung« ist (»Strebungshöhe«, »Strebungsraum«).

Die Ethik beruht bei B. auf der Werttheorie, welche wiederum psychologisch fundiert ist. Wir schätzen die Werte der Dinge »nach den (vorübergehenden oder bleibenden) Steigerungen und Herabstimmungen, welche durch dieselben für innere psychische Entwicklung bedingt werden.« Die Höhe dieser Steigerungen und Herabsetzungen wird bedingt »teils durch die Natur unserer Urvermögen, teils durch die Natur der Reize oder Anregungen, teils endlich durch die den tiefsten Grundgesetzen der psychischen Entwicklung gemäß erfolgenden Aneinanderbildungen der aus den Verbindungen beider hervorgehenden Akte.« »Inwiefern... eine Steigerung als eine höhere bedingt ist, insofern ist auch der Wert, welcher durch sie vorgestellt wird, allgemeingültig ein höherer.« Es gibt also eine natürliche Werttafel (so ist z.B. das Geistige wertvoller als das Sinnliche), wenn es auch[54] Störungen der Wertschätzung gibt (Lehre vom »übermäßigen Schätzungsraum« des Niederen). Die sittlichen Urteile entwickeln sich aus Wertgefühlen. Sittlich geboten ist, »was nach der (objektiv- und subjektiv-) wahren Wertschätzung als das Beste (das Natürlich-Höchste) sich ergibt« (Lehrb. d. Psychol. § 256 ff. Grundl. d. Sittenl. I, 231 ff.; II, 411 ff.). Die richtige Wertschätzung kommt im Gefühl der Pflicht, des Sollens zum Ausdruck. Das oberste Sittengesetz ist ein Produkt psychischer Entwicklung, wie überhaupt alles Geistige (Vernunft, Wille, Denken usw.) sich aus einfachen psychischen Prozessen durch Verbindung, Steigerung usw. entfaltet (Genetischer Standpunkt). – Von Gott, den wir als das Unbedingte denken müssen, gibt es keine rechte Erkenntnis.

Anhänger Benekes sind Dressler, Dittes und andere Pädagogen. Beeinflußt von B. sind Fortlage, Ueberweg u. a.

SCHRIFTEN: Erkenntnislehre, 1820. – Erfahrungsseelenlehre, 1820. – De veris philos. initiis, 1820 (gegen die dialektische Methode). – Neue Grundlegung zur Metaphysik, 1822. – Grundleg. z. Physik d. Sitten, 1822. – Psychol. Skizzen, 1825-27, – Das Verhältnis von Seele u. Leib, 1826. – Kant u. d. philos. Aufgabe unserer Zeit, 1832 (gegen die erfahrungsfeindliche Spekulation). – Lehrbach d. Logik, 1832. – Lehrbuch d. Psychol. als Naturwissenschaft, 1833, 4. A. 1877 (Hauptwerk). – Die Philosophie, 1833. – Erziehungs- u. Unterrichtslehre, 1835-36, 4. A. 1876. – Erläuterungen üb. d. Natur u. Bedeut. meiner psychol. Grundhypothesen, 1836. – Grundlin. d. natürl. Systems d. prakt. Philos, 1837-1840. – System d. Metaphys, u. Religionsphilos., 1840. – System d. Logik, 1842. – Die neue Psychol. 1845. – Pragmatische Psychol., 1850. – Lehrbuch d. pragmat. Psychol., 1853. – Archiv f. pragm. Psychol., 1851-53. – Vgl. O. GRAMZOW, Fr. Ed. B., 1898; Fr. Ed. B.s Philos. 1899. – RENNER, B.s Erkenntnistheor., 1902. – A. WANDSCHEIDER, D. Metaphys. B.s, 1903.

Quelle:
Eisler, Rudolf: Philosophen-Lexikon. Berlin 1912, S. 53-55.
Lizenz: