Berkeley, George

[60] Berkeley, George, geb. 12. März 1684 zu Killerin (Irland), studierte Theologie in Dublin, war 1713, 1714, 1715 in Frankreich (Bekanntschaft mit Malebranche) und Italien (bis 1720), wurde 1724 Dechant, lebte 1728-31 in Amerika, wurde 1734 Bischof von Cloyne (Irland), lebte seit 1752 in Oxford, wo er 14. Januar 1753 starb.

Von Locke ausgehend, begründete B. den neueren erkenntnistheoretischen Idealismus als »Immaterialismus«. Ansätze zur idealistischen Auffassung der Außenwelt finden sich schon in der ersten Ausgabe der »Theorie des Sehens«, in welcher gezeigt wird, daß Farbe und leicht nur Empfindungen sind und daß die Entfernung u. dgl. nicht direkt wahrgenommen wird, sondern auf dem Urteil beruht. In dem Hauptwerke, den »Principles«, bekämpft B. zunächst die Lehre von den abstrakten Ideen. Er ist entschiedener »Nominalist«, da es nach ihm weder außer noch im Geiste so etwas wie ein allgemeines und abstraktes Dreieck u. dgl. gibt, sondern bloß Einzelvorstellungen, die nur insoweit allgemein sind, als sie (vermittelst des Wortes) eine ganze Klasse repräsentieren, vertreten. (Eine Vorstellung wird allgemein »by being made to represent or stand for all other particular ideas of the same sort«.) Ein Dreieck, das weder gleichseitig noch ungleichseitig noch schiefwinkelig usw. ist besteht höchstens »in den Köpfen der Gelehrten«.

Was B. vor allem bekämpft, ist die Annahme einer außerhalb des Geistes, des Vorstellens und Wahrnehmens, also an sich existierenden Materie, die ihm ein Unding, ein Unbegriff ist. Eine solche kann es nicht geben; sie ist weder durch die Sinne noch durch das Denken konstatierbar, auch könnte sie nicht auf den Geist einwirken, wäre überhaupt ganz unnütz. Es gibt vielmehr nur aktive »Geister«, d.h. perzipierende und wollende Wesen (Subjekte) und deren Bewußtseinsinhalte, zu denen auch die Objekte oder Außendinge, die Körper, gehören. Gegeben sind mir nur Vorstellungen (ideas) und diese sind in mir, nicht außer mir. Die Dinge (Körper) nun sind mir nur als Vorstellungen gegeben; ziehe ich das Vorstellbare von ihnen ab, so bleibt nichts übrig. Ein Ding außerhalb der Vorstellung ist ein undenkbares Unding, ein Widerspruch. Körperliche Dinge sind also nicht Dinge an sich, aber auch nicht etwa Einbildungen; sie sind als Vorstellungen wirklich da, wo wir sie wahrnehmen, im Raum und in der Zeit, unter bestimmten Bedingungen für jeden, der normale Sinne hat, gegeben – aber eben nur in Beziehung zum Wahrnehmenden, als rein passive Wahrnehmungsinhalte, als Komplexe (wirklicher oder möglicher) Empfindungsqualitäten, als gesetzlich verknüpfte Bündel von Färben, Tönen, Drücken usw. Nicht bloß die »zweiten« Qualitäten (wie Locke, Descartes u. a. meinten), auch die »ersten« Qualitäten (Ausdehnung, Dichte u. dgl.) existieren nur subjektiv, nur als Wahrnehmungsinhalte, denn sie sind ohne die zweiten Qualitäten (Farbe usw.) nicht denkbar (»In[60] short, extension, figure and motion, abstracted from all other qualities, are inconceivable«). Alle Bewegung ist nur relativ, einen absoluten Raum gibt ^s nicht, nur einen Vorstellungsraum, der nicht, außerhalb des Geistes existiert, ebensowenig wie die Zeit, die nichts anderes ist als die Aufeinanderfolge der Vorstellungen. Eine unendliche Teilbarkeit gibt es nicht, denn keine endliche Ausdehnung kann aus unendlich vielen Teilen bestehen. Die Dinge sind also Empfindungskomplexe, oder diese selbst sind die Dinge, denn auch der naive Mensch versteht unter diesen nichts anderes als seine Wahrnehmungsinhalte. (Ein »Positivismus«, wie ihn später J. St. Mill, E. Mach u. a. erneuerten.)

Die »Existenz« der von mir nicht wahrgenommenen Objekte bedeutet nur die Fortdauer der betr. Wahrnehmungsinhalte in anderen Subjekten oder die Möglichkeit, daß ich sie unter bestimmten Bedingungen haben werde, wobei wir in der Regel an uns, die Subjekte, vergessen, von ihnen abstrahieren. Niemals aber können wir von einem wahrnehmenden Subjekte überhaupt abstrahieren. So ist alles (äußere) Sein ein Vorgestelltsein (»their esse is percipi«), das ganze räumliche Universum setzt sich aus Empfindungskomplexen zusammen (»that all the choir of heaven and furniture of the earth, in a word all those bodies which composes the mighty frame of the world, have not any subsistence without a mind, that their being is to be perceived or known«). Da Vorstellungen wieder nur Vorstellungen ähnlich sein können, so kann es keine von ihnen verschiedene, extramentale Dinge geben, deren Abbilder (Kopien) sie wären. Unsere Vorstellungen sind selbst die Dinge – aber nicht unsere Phantasievorstellungen, sondern unsere intensiven, lebhaften, konstanten, geordneten, zusammenhängenden Wahrnehmungsinhalte, die sich uns in regelmäßigen Reihen aufdrängen, von unserem Willen unabhängig sind, naturgesetzlich auftreten, verschwinden und sich miteinander verbinden. Die Naturgesetze sind feste Regel der Verbindung von Wahrnehmungsinhalten in einer von uns unabhängigen Ordnung, die uns eine Art von Voraussicht behufs zweckvoller Lebensgestaltung ermöglicht (»a sort of foresight, which enables us to regulate our actions for the benefit of life«). Die Kausalität steckt aber nicht in den Dingen selbst darin. Der Urheber dieser Vorstellungen (= Dinge) und der naturgesetzlichen Verbindungen derselben kann nur ein aktives Wesen, ein Geist sein. Gott selbst prägt uns die Objektvorstellungen (= Dinge) in bestimmter Ordnung auf. (»The ideas imprinted on the senses by the autor of nature are called real things.«) So erkennen wir alle Dinge in Gott (Ähnlichkeit mit der Lehre Malebranches), in welchem die von uns nicht wahrgenommenen Dinge ihren Bestand haben (»subsist in the mind of some eternal spirit«).

Es gibt keine andere Substanz als der Geist, das Vorstellende, Denkende, Wollende. Ein materielles Substrat existiert nicht, alle Vorstellungen sind inaktiv, passiv, sie weisen auf nichts Wirksames, Aktives hin, welchem sie gleichen könnten. Die Kausalität besteht nur darin, daß eine Vorstellung als natürliches Zeichen für das Auftreten einer ändern dient, aber nicht in einem Wirken der Dinge selbst. Kausal, aktiv verhält sich nur der Geist (des Subjektes oder der göttliche Geist) in seinem Denken und Wollen. Die Ursache[61] der Vorstellungen ist in jedem Falle eine »unkörperliche aktive Substanz«, ein Geist (»a spirit is one simple, undivided, active being«). Da der Geist aktiv, die »Idee« passiv ist, so kann es von einem Geiste kein Vorstellungsbild, nur einen »Begriff« (»notion«) geben, indem der Geist vermittelst seiner Wirkungen erkannt wird und wir wissen, was das Wort »Geist« bedeutet. Die fremden Geister erkennen wir aus der Analogie zu unserem eigenen, durch einen Schluß.

Im Sinne von B. ehrt Collyns Simon, verwandte Anschauungen betreffs der Außenwelt finden sich bei Hume, J. St. Mill, E. Mach u. a.

SCHRIFTEN: Theory of Vision, 1709. 1711, 1733. – Treatise on the principles of human knowledge, 1710 (Hauptwerk); deutsch in der Philos. Bibl. 1869, 4. A. 1906. – Three Dialogues between Hylas and Philonous, 1713; deutsch 1781, 1901 (Phil. Bibl.). – Alciphron or the minute philosopher, 1732; deutsch 1737. – Siris, 1744. – Miscellanies, 1752. – Works, 1784, 1871 (ed. Fraser). – Vgl. FRASER, Berkeley. 1881. – UEBERWEG, Z. f. Philos., 1869, 1871. – R. BÖHME, D. Grundlagen d. B.schen Immaterialismus, 1893.

Quelle:
Eisler, Rudolf: Philosophen-Lexikon. Berlin 1912, S. 60-62.
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