Gioberti, Vincenzo

[203] Gioberti, Vincenzo, geb. 1801 in Turin, studierte Theologie, wurde 1825 Professor in Turin, 1833 politisch verdächtigt und verbannt, lebte dann in Paris und Brüssel (als Lehrer), setzte sich für ein reformiertes Papsttum ein, durch welches Italien seine nationale Einheit erhalten sollte, gest. 1852 in Paris.

Von Plato, Malebranche, Leibniz, Hegel u. a. beeinflußt, will G. eine katholische, Wissen und Glauben vereinigende, auf »Offenbarung« sich stützende Philosophie geben, die er als »Ontologismus« bezeichnet und dem »Psychologismus«, d.h. dem Ausgehen vom Ich, vom Bewußtsein wie bei Descartes u. a. und bei Rosmini, entgegengestellt. Er will die Dialektik der Schöpfung entwerfen und das Existierende aus dem göttlichen Sein ableiten. Gott, das Seiende wird durch seine Idee, durch Selbstoffenbarung im menschlichen Geiste (als Gegenstand einer »Superintelligenz«) erfaßt. Die ontologische Formel lautet: Das Seiende erschafft das Existierende (»L'ente crea l'esistente«, Introd. I, 4). Aus dem absoluten, göttlichen Sein geht das Endliche, Existierende durch Schöpfung hervor in einer Weise, die der Begriffsentwicklung der Vernunft entspricht. Das Seiende als solches ist Gegenstand der »scienza ideale«. Die Dinge sind Besonderungen der ewigen Idee; diese ist zugleich das Ziel des Strebens, welches schließlich auf die Einigung des Endlichen mit dem göttlichen Sein geht. Durch seine Monadenlehre und seine dynamistische Physik sowie durch die Annahme einer prästabilierten Harmonie nähert sich G. Leibniz. Die »Protologie« ist die »erste Philosophie«, die Wissenschaft von der Schöpfertätigkeit (»la scienza dell' atto creativo«). Das Gute und das Schöne stehen in Beziehung zur göttlichen Vollkommenheit.

Schüler G. s sind Massari, Fornari, P. Luciani, d'Acquisto, Toscano, Di Giovanni, Garzilli u. a. – Beeinflußt von G. ist Mamiani.

SCHRIFTEN: Teoria del sovranaturale, 1838, – Introduzione allo studio della filosofia, 1839-40 (Hauptwerk), französ. 1845. – Del bello, 1841. – Del buono, 1842, deutsch 1848. – Il gesuita moderno, 1846-47. – Opuscoli politici, 1850. – Del rinnovamento civile d'Italia 1851. – Della filosofia della rivelazione, 1856. – Della protologia, 1857. – Ricordi biografici e corrispondenza, 1860-63, u. a. – Vgl. SPAVENTA, La filosofia di G., 1863. – GENTILE. V. Gioberti, 1901.

Quelle:
Eisler, Rudolf: Philosophen-Lexikon. Berlin 1912, S. 203.
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