I

[302] Am 30. Juni Abends traf Seine Majestät mit dem Hauptquartier in Reichenberg ein. Die Stadt von 28000 Einwohnern beherbergte 1800 österreichische Gefangene und war nur von 500 preußischen Trainsoldaten mit alten Carabinern besetzt; nur einige Meilen davon lag die sächsische Reiterei. Dieselbe konnte in einer Nacht Reichenberg erreichen und das ganze Hauptquartier mit Sr. M. aufheben. Daß wir in Reichenberg Quartier hatten, war telegraphisch publicirt (ge)worden. Ich erlaubte mir den König hierauf aufmerksam zu machen, und infolge dieser Anregung wurde befohlen, daß die Trainsoldaten sich einzeln und unauffällig nach dem Schlosse begeben sollten, wo der König Quartier genommen hatte. Die Militärs waren über diese meine Einmischung empfindlich, und um ihnen zu beweisen, daß ich um meine Sicherheit nicht besorgt sei, verließ ich das Schloß, wohin S.M. mich befohlen hatte, und behielt mein Quartier in der Stadt. Es war damit schon[302] der Keim zu einer der Ressort-Eifersucht entspringenden Verstimmung der Militärs gegen mich wegen meiner persönlichen Stellung zu S.M. gelegt, die sich im Laufe des Feldzugs und des französischen Krieges weiter entwickelte.

Nach der Schlacht von Königgrätz war die Situation derartig, daß ein Eingehen auf die erste Annäherung Oesterreichs zu Friedensunterhandlungen nicht nur möglich, sondern durch die Einmischung Frankreichs geboten erschien. Letztre datirte von dem in der Nacht vom 4. zum 5. Juli in Horricz1 eingetroffenen, an S.M. gerichteten Telegramm, in welchem Louis Napoleon dem Könige mittheilte, daß der Kaiser Franz Joseph ihm Venetien abgetreten und seine Vermittlung angerufen habe. Der glänzende Erfolg der Waffen des Königs nöthigte Napoleon aus seiner bisherigen Zurückhaltung herauszutreten. Die Einmischung war hervorgerufen durch unsern Sieg, nachdem Napoleon bis dahin auf unsre Niederlage und Hülfsbedürftigkeit gerechnet hatte. Wenn unsrerseits der Sieg von Königgrätz durch Eingreifen des Generals v. Etzel und durch energische Verfolgung des geschlagenen Feindes vermittelst unsrer intacten Cavallerie vollständig ausgenutzt worden wäre, so würde wahrscheinlich die Sendung des Generals von Gablenz in das preußische Hauptquartier schon zu dem Abschluß nicht nur eines Waffenstillstandes, sondern der Basen des künftigen Friedens geführt haben, bei der Mäßigung, welche unsrerseits und damals auch noch bei dem Könige in Bezug auf die Bedingungen des Friedens vorwaltete, eine Mäßigung, die damals von Oesterreich doch schon mehr als nützlich beanspruchte und uns als künftige Genossen alle bisherigen Bundesglieder, aber alle verkleinert und verletzt, gelassen hätte. Auf meinen Antrag antwortete S.M. dem Kaiser Napoleon dilatorisch, aber doch mit Ablehnung jedes Waffenstillstandes ohne Friedensbürgschaften.

Ich fragte später in Nikolsburg den General von Moltke, was er thun würde, wenn Frankreich militärisch eingriffe. Seine Antwort war: Eine defensive Haltung gegen Oesterreich, mit Beschränkung auf die Elblinie, inzwischen Führung des Kriegs gegen Frankreich.

Dieses Gutachten befestigte mich noch mehr in meinem Entschlusse, Sr. M. den Frieden auf der Basis der territorialen Integrität Oesterreichs anzurathen. Ich war der Ansicht, daß wir im Falle der französischen Einmischung entweder sofort unter mäßigen Bedingungen mit Oesterreich Frieden und wo möglich ein Bündniß schließen müßten, um Frankreich anzugreifen, oder daß wir[303] Oesterreich durch raschen Anlauf und durch Förderung des Confliktes in Ungarn, vielleicht auch in Böhmen, schnell vollends lahm zu legen und bis dahin gegen Frankreich, nicht, wie Moltke wollte, gegen Oesterreich, uns nur defensiv zu verhalten hätten. Ich war des Glaubens, daß der Krieg gegen Frankreich, den Moltke, wie er sagte, zuerst und schnell führen wollte, nicht so leicht sei, daß Frankreich zwar für die Offensive wenig Kräfte übrig haben, aber in der Defensive nach geschichtlicher Erfahrung im Lande selbst bald stark genug werden würde, um den Krieg in die Länge zu ziehen, so daß wir dann vielleicht unsre Defensive gegen Oesterreich an der Elbe nicht siegreich würden halten können, wenn wir einen Invasionskrieg in Frankreich, mit Oesterreich und Süddeutschland feindlich im Rücken, zu führen hätten. Ich wurde durch diese Perspective zur lebhafteren Anstrengung im Sinne des Friedens bestimmt.

Eine Betheiligung Frankreichs am Kriege hätte damals vielleicht nur 60000 Mann französischer Truppen sofort nach Deutschland in das Gefecht geführt, vielleicht noch weniger; diese Zuthat zu dem Bestande der süddeutschen Bundesarmee wäre jedoch ausreichend gewesen, um für die letztere die einheitliche und energische Führung, wahrscheinlich unter französischem Oberkommando, herzustellen. Allein die bayrische Armee soll zur Zeit des Waffenstillstandes 100000 Köpfe stark gewesen sein, und mit den übrigen verfügbaren deutschen Truppen, an sich guten und tapferen Soldaten, und 50000 Franzosen wäre uns von Südwesten her eine Armee von 200000 Mann unter einheitlicher kräftiger französischer Leitung anstatt der frühern, schüchternen und zwiespältigen entgegengetreten, der wir vorwärts Berlin keine gleichwerthigen Streitkräfte gegenüberzustellen hatten, ohne Wien gegenüber schwach zu werden. Mainz war von Bundestruppen unter dem Befehl des bayrischen Generals Grafen Rechberg besetzt; wären die Franzosen einmal darin gewesen, so würde es harte Arbeit gekostet haben, sie daraus zu entfernen.

Unter dem Druck der französischen Intervention und zu einer Zeit, als es sich noch nicht übersehen ließ, ob es gelingen werde, denselben auf dem diplomatischen Gebiete festzuhalten, entschloß ich mich, dem Könige den Appell an die ungarische Nationalität anzurathen. Wenn Napoleon in der angedeuteten Weise in den Krieg eingriff, Rußlands Haltung zweifelhaft blieb, namentlich aber die Cholera in unsrer Armee weitere Fortschritte machte, so konnte unsre Lage eine so schwierige werden, daß wir zu jeder[304] Waffe, welche uns die entfesselte nationale Bewegung nicht nur in Deutschland, sondern auch in Ungarn und Böhmen darbieten konnte, greifen mußten, um nicht zu unterliegen.

1

So schreibt der Generalstab, gesprochen wird es Horsitz.

Quelle:
Bismarck, Otto Eduard Leopold: Gedanken und Erinnerungen. Stuttgart 1959, S. 305.
Lizenz:
Ausgewählte Ausgaben von
Gedanken und Erinnerungen
Gedanken und Erinnerungen 3 Bände in einem Band.
Gedanken und Erinnerungen
Gedanken und Erinnerungen
Gedanken und Erinnerungen
Gedanken und Erinnerungen