4. Der Iambus.

[166] Die holde Anmut der bisherigen daktylischen Poesie wird vom siebenten Jahrhundert an durch eine herbe, von Anfang an der persönlichen Invektive dienende Form, den Iambus, geschnitten. Daß die Invektive bei den Griechen sich diese Form fand, wird damit entschuldigt, daß »auch der strafende und herbe Ton an seiner Stelle sein könne, wenn er von einer erhebenden großartigen Vorstellung der Dinge, wie sie sein sollten, ausgehe«342. Indes diese Aufgabe würde die Elegie schon sehr schön erledigt haben, und man hätte dazu des Iambus nicht auch noch bedurft, und auch das Komische, an das man den Iambus anknüpfen möchte, war ohne Iambus und persönliche Invektive und zwar in schönster Gestalt bereits bei Homer und Hesiod da. Da es ohne alles Gift und gerade mit dem heitersten Frohsinn bestehen kann, treffen auch die komischen und polemischen Partien des Epos, welche man als Parallele herbeizieht, teils in mythischen Persönlichkeiten und Gebilden, teils in der Polemik durchaus nur das Allgemeine. Sehen wir also davon ab, der künstlerischen Berechtigung auch eine sittliche beizugesellen, und geben wir einfach zu, daß die Schmähung von Individuum gegen Individuum zur Kunstgattung erhoben wurde. Wir wüßten nicht, daß irgend ein altes Volk Ähnliches gehabt hätte; später hat die Sirventese bei den Provençalen diesen Ton wieder angeschlagen.

Mehr schon als mit der Komik der alten Poesie war der Iambus mit den Spottreden verwandt, die bei großen Festen und Weihen, wie den Eleusinien, üblich waren und in den Fröschen des Aristophanes nachgebildet sind. Auch dies Necken und Spotten hieß Iambos, und es war daraus eine mythische Figur geworden, die Magd Iambe, welche laut dem Hymnus auf Demeter (202 ff.) durch ihre Scherze die trauernde Demeter erheiterte343. In die Literatur aber wurde diese Gattung durch Archilochos von Paros eingeführt, einen Dichter, von dessen Eigenart wir uns leider kaum einen genügenden Begriff machen können, da von seinen iambischen Fragmenten nur ganz wenige Zeilen zu der gewöhnlichen Charakteristik passen; vielleicht mochten ihn die späteren Literatoren nicht mehr gerne zitieren.

Im ganzen Altertum aber war man ergriffen von der außerordentlichen Heftigkeit und fürchterlichen Vehemenz und Elastizität seines Ausdruckes. Als der Parier Lykambes ihm die Hand seiner Tochter Neobule ausschlug,[166] soll sein entsetzlicher Haß ihm derartige Iamben eingegeben haben, daß Vater und Töchter sich erhängten. Diese Haupttatsache, die aus seinem vielbewegten344 Leben berichtet wird, braucht nicht buchstäblich wahr zu sein, ist aber der richtige Ausdruck dafür, welche Wirkung man ihm zutraute. Man braucht nicht anzunehmen, daß die Unglücklichen nicht in den Tod gegangen wären, wenn die Iamben nicht »einen innern Kern der Wahrheit« gehabt hätten345; Horaz346 lehnt es für sich ausdrücklich ab, in seinen Epoden diese Schärfe an den Tag gelegt zu haben.

Eine sehr hohe Stellung nimmt Archilochos in der Geschichte der poetischen Formen ein. Seine Metren sind, je nachdem der schwächere Taktteil voran- oder nachtritt, der Iambus und der Trochäus. Beide haben leichten und raschen Gang, der Iambus dient mehr dem Ausdruck des Zornes und der Bitterkeit, in den Trochäen sieht O. Müller347 eine Mittelgattung zwischen dem Iambus und der (von Archilochos ebenfalls kultivierten) Elegie, so daß sie weniger Schwung und Adel der Empfindung und mehr den Ton des gemeinen Lebens haben als diese. Die Verse aber waren der aus drei Dipodien bestehende iambische Trimeter und der aus vieren bestehende trochäische Tetrameter. Beide haben sich durch alle Zeiten als die gesetzmäßigen Formen bestimmter Arten der Poesie erhalten, schon Archilochos aber hat sie so vollkommen gebildet, daß später nichts wesentliches mehr daran zu bessern war. Und dazu kommt noch als eine Art Nebenleistung die Verwendung der sogenannten asynarteti schen Maße und des ithyphallischen Verses und ferner die Paarung von je einem oder zwei längeren und einem kürzeren Verse, woraus bereits eine kleine Strophe entsteht.

Was den Vortrag betrifft, so wurden die Iamben im allgemeinen nicht gesungen oder doch noch nicht eigentlich gesungen, sondern rhapsodiert; doch soll es auch eine von Archilochos eingeführte Vortragsweise gegeben haben, wobei Stücke zu den Tönen des Instruments gesprochen (Parakataloge), andere Stücke gesungen wurden348, und sangbar mußte ja wohl die Schmähung schon zum Zwecke ihrer leichtern Verbreitung und größern Beliebtheit sein. Das Saiteninstrument, das zur Begleitung der Iamben diente, war wohl schon seit Archilochos die dreieckige Iambyke.

[167] Der scharfen, raschen Form, welche im Iambus dem sanften Wogen der Elegie gegenübertrat, war auch die Sprache konform. Archilochos hielt sich dem Tone des gewöhnlichen Lebens nahe in vielfach wirklich rauhen Redeweisen, welche die spätern Grammatiker zur Aufzeichnung eingeladen haben, und auch seine Nachfolger führen einen ganzen Trödel des äußern Lebens, zumal des Essens, und viel Lokales mit sich; dabei mag daran erinnert werden, daß der Iambus an sich schon nach Aristoteles der gewöhnlichen Rede nahe war349. Und wenn wir uns nun überhaupt nach dem Grunde der großen Wirkung dieses genialen Lästerers auf Zeitgenossen und Nachwelt fragen, so möchte es im ganzen darauf hinauskommen, daß in ihm der erste scharfe Realist mit vollem Hohn unter die Poeten trat.

Die Nachfolger des Archilochos sind der wesentlich gnomische Simonides von Amorgos, von dem wir außer einem pessimistischen Fragment die große allgemeine Satire gegen die Weiber haben, während seine individuellen Invektiven (gegen Orodoikides) verloren sind; ferner Solon, dessen treffliche politische Iamben teilweise schon völlig wie aus einer Tragödie tönen, während ihr Inhalt ganz gut auch in elegischem Maße gegeben sein könnte; hier sowohl als in den munter spaßenden Trochäen findet sich, soweit die Überlieferung reicht, wenigstens keine persönliche Invektive. Diese pflegte dafür so giftig als Archilochos Hipponax (um 540 v. Chr.), der Schöpfer des absichtlich unschönen Hinkiambus (τρίμετρος σκάζων), der statt des letzten Iambus den Spondeus hat. Er war vor den Tyrannen Athenagoras und Komas aus Ephesos nach Klazomenä entwichen, und seine Opfer, die sich wie die des Archilochos erhängt haben sollen, waren die Bildhauer Bupalos und Athenis von Chios, welche das kleine, magere Männchen karikiert hatten. Daneben übte er auch die allgemeine Sittensatire, indem er das Leben realistisch von der törichten Seite schilderte. Von seiner Sprache gilt dasselbe wie von der des Archilochos: er versteht sich besonders vorzüglich auf einen derben Lokalton. Die Parodie dagegen, als deren Urheber er gilt, ist gewiß so alt als der von ihm parodierte Homer selbst350 und wird dann ein Element, welches die ganze griechische Poesie und Kultur durchdringt351.

[168] Mit der Zeit wird dann der Iambus das Gefäß für alles mögliche, so gut wie der Hexameter und das Distichon. Das Gnomische wurde wesentlich in diese Form geprägt, zumal seitdem der Trimeter der Vers des dramatischen Dialoges geworden war und durch Euripides und die neuere Komödie seine dramatisch sententiöse Ausbildung erhalten hatte. Von dieser spätern gnomischen Verwendung geben uns z.B. die Trimeter des Zynikers Krates eine Vorstellung352. Wir werden aber auch sagen können, daß in den Iambikern des VII. und VI. Jahrhunderts schon alle Elemente wenigstens der epicharmischen, aber auch schon der aristophanischen Komödie zu Tage gelegen haben mögen.[169]


Quelle:
Jakob Burckhardt: Gesammelte Werke. Darmstadt 1957, Band 7, S. CLXVI166-CLXX170.
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