Charakteristische Gefechte aus dieser Epoche.

[113] 2. Potidäa 432 (Thucyd. I, 1, 2f.) hatten beide Teile, die Athener und ihre verbündeten Gegner, Chalkidier und Korinther, neben den Hopliten mehrere Hundert Reiter. Diese waren jedoch detachiert und hielten sich gegenseitig vom Kampfplatz fern, so daß allein die Hopliten gegeneinander schlugen. Jede Partei siegte auf einem Flügel; die Verbündeten gaben dann den Kampf auf und zogen sich eng zusammengeschlossen eilig an den siegreichen Athenern wieder vorbei in die Stadt Potidäa zurück.

3. Im Gefecht von Spartalos 429 (Thuc. II, 79) wurden die chalkidischen Hopliten von den athenischen Hopliten 2000 Mann besiegt. Die chalkidischen Reiter jedoch und Ungewappnete, darunter Peltasten, siegten über die athenischen Reiter und Ungewappneten. Ermutigt durch diesen Erfolg griffen nun die chalkidischen Reiter, Peltasten und anderen Ungewappneten (offenbar in großer Überzahl) die athenischen Hopliten an, indem sie immer auswichen, sobald diese eine Attacke machten, dann wieder vorgingen, sobald diese stillstanden oder sich abwandten, und sie von fern beschossen. Auf diese Weise jagten sie sie endlich in die Flucht, verfolgten sie und töteten 430 Hopliten, darunter sämtliche Führer, von den 2000.[113]

4. Eine ganz ähnliche Niederlage wie bei Spartolos erlitten die Athener unter Führung eines ihrer besten Generale, des Demosthenes, im Jahre 426 in Ätolien. So lange ihre Bogenschützen noch Pfeile hatten, hielten sie sich die feindlichen Speerwerfer vom Leibe; als aber die Pfeile verschossen waren, drangen die leichtbewaffneten Feinde stets vorstürmend und zurückweichend von allen Seiten auf die Hopliten ein, ermüdeten sie und rieben sie zuletzt zum großen Teil auf. Hier in waldiger, hügeliger Gegend waren Reiter nicht beteiligt.

5. Nicht anders überwinden die Athener die 420 auf der Insel Sphakteria eingeschlossenen Spartaner im Jahre 424 (Thuc. IV, 27-29). So klein die Schaar der spartanischen Hopliten ist, so wollen die Athener sie doch nicht direkt angreifen, um nicht selbst den großen Verlust, der mit einem hartnäckig durchgeführten Nahgefecht gegen tüchtige und verzweifelte Krieger verbunden ist, auf sich zu nehmen. Sie halten also ihre Hopliten zurück und lassen eine ungeheure Masse von Ungewappneten, von Bogenschützen herunter bis zu den Ruderern der Trieren, die mit Steinen werfen, auf die Spartaner los. Dieser Überzahl, die sie von allen Seiten umschwärmt, erliegen die Spartaner endlich, ohne daß die Athener wesentlichen Verlust dabei haben. Besonders hervorgehoben wird noch, daß der Lärm der Menge die Spartaner verhinderte, die Kommandorufe ihrer Führer zu verstehen.


Dem vorstehenden Passus habe ich im zweiten Bande der ersten Auflage dieses Werkes noch einen Nachtrag zugefügt, der nunmehr hierher versetzt werden mag.


Ich habe die Gefangennahme der Spartaner auf Sphakteria i. J. 425 nicht in die Darstellung dieses Werkes einbezogen, da, so interessant das Ereignis in sich ist, es doch in eine Geschichte der Kriegskunst nicht gehört. Eine Geschichte der Kriegskunst ist keine allgemeine Kriegsgeschichte; dies möchte ich, beiläufig gesagt, auch Ad. Bauer zu bedenken geben, der sich wundert (H. Z. 86, 285), daß ich die Geschichte der Diadochen so kurz behandelt habe. Als Fehler werde ich das erst dann anerkennen, wenn jemand nachgewiesen hat, daß in dieser Epoche eine Abwandlung in der Kunst der Kriegführung sich vollzogen hat, die mir entgangen ist.

Unter dem Vorbehalt aber, daß es eigentlich nicht hierher gehöre, will ich doch über Sphakteria einige Worte einfügen, weil ED. MEYER (a.a.O. II, 333) sich mit einer früher darüber von mir veröffentlichten Untersuchung (Die Strategie des Perikles erläutert durch die Strategie Friedrichs des Großen, Anhang) nicht einverstanden erklärt hat, seine Polemik aber auf lauter Mißverständnissen beruht und ich weitere Leser vor diesen Irrungen bewahren möchte. Ich will aber nicht unterlassen, vorauszuschicken, daß ich die vorliegende Frage, die Darstellung des Thucydides und seine Beurteilung Kleons in dieser Sache für das schwierigste Thema und das[114] feinste psychologische Problem in der ganzen Welt-Kriegsgeschichte halte. Thucydides hat unbedingt, ausschließlich und vollkommen Recht; wer sich aber nicht begnügen will und mag, ihm einfach nachzuempfinden, sondern in selbständiger Analyse sein Urteil bilden will, der wage sich nicht eher daran, ehe er nicht Clausewitz durch und durch studiert und sich seine Psychologie der Strategie so zu eigen gemacht hat, daß er sie mit ganz selbständiger Sicherheit anzuwenden vermag.

Hier stelle ich nur die Mißverständnisse und Irrtümer der Meyerschen Untersuchung zusammen.

Ich habe dargelegt, daß die Landung der Athener auf der Insel wesentlich deshalb glückte, weil die Spartaner nicht aufpaßten. Die Insel sei noch nicht eine halbe Meile lang; hätten die Spartaner rings herum Posten ausgestellt und ein Signal-System eingerichtet, so konnte eine halbe Stunde, nachdem die Annäherung der Athener bemerkt wurde, also ehe die Landung wirklich vollzogen war und das Landungskorps sich geordnet aufgestellt hatte, das spartanische Gros zur Stelle sein und die Gelandeten wieder ins Meer werfen. Meyer findet es »begreiflich«, daß die Eingeschlossenen nicht so verfahren sind. Niemals in den zwei Monaten seit dem Ende des Waffenstillstandes hatten die Athener einen Angriffs-Versuch gemacht. »Da ist es nicht wunderbar, daß die Spartaner einen Angriff nicht erwarteten und ihre Kräfte nicht durch anstrengenden Postendienst erschöpften.« Diese Entschuldigung der Spartaner darf doch wohl um so weniger als genügend gelten, als von »anstrengendem Postendienst« gar nicht die Rede sein kann. Was hat denn eine eingeschlossene Besatzung anders zu tun, als Ausschau zu halten?

Durch eine vortreffliche topographische Untersuchung des Engländers GRUNDY (Journ. of Hellenic studies, Bd. 16; 1896) sind wir neuerdings instand gesetzt, die taktische Frage noch konkreter zu erörtern, und meine früher mehr prinzipiell ausgeführten Erwägungen haben dadurch noch eine wesentliche Verstärkung erhalten.

Die Insel Sphakteria erhebt sich ringsum mit steilen, bis zu mehreren hundert Fuß hohen Klippen und Abhängen aus dem Meer. Sie ist ganz schmal (500-750 Meter) und eine halbe deutsche Meile lang. Nur an sieben Stellen ist eine Landung möglich, und von diesen sieben Stellen liegt eine an der Nordspitze, die anderen alle in der Mitte oder im Süden. Der Nord-Zugang aber führt sofort steil hinauf, war also für die Landung und Entwicklung einer größeren Truppe nicht zu gebrauchen; die für die Athener etwa brauchbaren Landungsplätze sind die mittleren und südlichen, wo sich nicht unmittelbar am Strand steile Höhen erheben, sondern ein allmählicher breiterer Abfall zwischen den Klippen sich auftut. Die Aufgabe des spartanischen Kommandanten Epitadas wäre gewesen, alle diese Landungsplätze bewachen zu lassen.

An den sieben Stellen je ein Posten von zwei Spartiaten und einem Dutzend Heloten, täglich abgelöst, wäre kaum eine Leistung zu nennen.[115] Aber selbst wenn die Spartaner das getan hätten, meint Meyer, so wäre dadurch auch nicht viel geändert worden. Die Athener hätten die schwachen Posten immer bewältigt und sich, bis Sukkurs herankam, festgesetzt. Das ist eine in jeder Beziehung falsche Auffassung der militärischen Lage. Von einem »Überwältigen« der Posten kann keine Rede sein, da diese selbstverständlich sich gar nicht auf Fechten eingelassen hätten. Ihre einzige Aufgabe war, rechtzeitig zu signalisieren und einen Läufer abzusenden. Auf nichts als auf das richtige Funktionieren dieses Wach-Apparates kam es an. Eine Landung von ein paar Tausend Mann (Hopliten und Leichten) auf engem Raum vollzieht sich nicht so schnell. Kein Punkt der Insel aber war auch nur eine Viertelmeile vom spartanischen Lager in der Mitte der Insel entfernt. Ja, da die wirklich in Betracht kommenden Landungsstellen alle in der einen Richtung lagen, so hätten die Spartaner nicht ganz in der Mitte, sondern, noch etwas weiter südlich lagernd, noch schneller zur Hand sein können. Landeten die Athener an der Nordspitze, so brauchten die Spartaner etwas länger, um dahin zu kommen, aber kamen sicherlich immer noch an, ehe die Athener die Klippe heraufgestiegen waren. Der Platz, wo nach Grundy die Athener tatsächlich gelandet sind, ist von der Stelle, wo die Spartaner gelagert haben, bei der Quelle in der Mitte der Insel, nicht mehr als 1200 Meter entfernt. Da darf es doch wenigstens als sehr fraglich bezeichnet werden, ob die Athener eher in Schlachtordnung oder die Spartaner, wenn sie nur sofort alarmiert wurden, in der Attacke waren, und bei dem heillosen Respekt, den die spartanische Phalanx noch immer genoß, wäre auch eine große, schon gelandete, aber noch nicht geordnete Mehrzahl schwerlich geneigt gewesen, die Attacke auch nur anzunehmen. Nicht mit Unrecht sagt Grundy, die Erzählung des Thucydides von dem Gefecht der ungeheuren Übermacht der Athener gegen die kleine spartanische Phalanx macht den Eindruck, wie wenn eine Meute zähnefletschender Hunde einen sterbenden Löwen umheult, aber sich nicht an ihn herantraut.

Wäre es wirklich wahr, daß, wie Meyer sagt, »eine so ausgedehnte Position, wie die von Sphakteria, gegen eine Überrumpelung nicht zu schützen« ist, wäre also, mit anderen Worten, bei der großen numerischen Überlegenheit der Athener, ein Mißlingen so gut wie ausgeschlossen gewesen, so ist doch wohl klar, daß die sämtlichen athenischen Feldherren, die an die Sache nicht heranwollten, zu einer Art von Trotteln gestempelt sind. Aber auch Meyer kann nachträglich nicht umhin, zuzugeben, daß »der Angriff auf die Insel trotz alledem ein gewagtes Unternehmen« war, da die Gegner zufällig gewarnt oder zufällig sehr wachsam sein konnten. Setzen wir statt der zufälligen Wachsamkeit eine stete und dauernde, so sind wir einig. Durchaus falsch aber ist es, aus der Klarstellung der Gefährlichkeit des Unternehmens auf die Unrätlichkeit zu schließen.

Wenn Meyer mir unterlegt, ich sei »geneigt, dem Urteil zuzustimmen«, wie es etwa Nikias gehabt haben dürfte, »daß die Landung der reinste[116] Dilettantismus sei und den ersten Regeln der richtigen methodischen Kriegsführung ins Gesicht schlage«, so ist das nur ein Beweis, wie gänzlich er mich mißverstanden hat. Aus demselben Mißverständnis entspringt auch der Vorwurf, ich hätte außer Acht gelassen, daß die attische Position unhaltbar wurde, wenn die Blockade sich bis in den Winter hinzog. Ich habe diese Betrachtung nicht angestellt, weil nichts in der Welt selbstverständlicher ist, als daß die Athener das höchste Interesse daran hatten, die Eingeschlossenen vor dem Winter zu bezwingen.

Da Meyer die Landung auf Sphakteria für eine ziemlich leicht ausführbare Sache erklärt, so lehnt er konsequenterweise auch den Hinweis auf die nicht ausgeführte Landung auf Alsen, die ich zur Erläuterung herangezogen habe, als unpassend ab; bei Alsen hätten die Dänen die See beherrscht und die Preußen wären unter dem Feuer der dänischen Kartätschen gelandet. Hier war also das Unternehmen in der Tat höchst schwierig und gefährlich. Der Unterschied ist einleuchtend, aber er wird kompensiert durch andere Umstände. Alsen ist eine zwei Meilen lange, durch tief eingeschnittene Buchten zerrissene Insel, so daß es viele Stunden dauern konnte, ehe die dänische Hauptmacht an einem überraschend angegriffenen Küstenpunkt erschien. Sphakteria ist eine ganz kleine Insel, auf der die Besatzung allenthalben, wenn sie nur die richtigen Vorbereitungen traf und guten Ausguck hielt, fast im Moment zur Stelle sein konnte. Das tertium comparationis liegt also darin, daß hier wie dort das Gelingen ausschließlich an der Überraschung hing. Ich bemerke schließlich noch, daß Meyer die Übergangsversuche bei Alsen verwechselt. Der, von dem ich gesprochen habe, hat nicht an derselben Stelle stattfinden sollen, wie der nachher unter dem Feuer der däninschen Geschütze tatsächlich ausgeführte, von dem Meyer spricht. Bei Ballegaard, wo der erste stattfinden sollte, ist der Meeresarm so breit, daß von der einen Staffel bis zur Ankunft der andern 2 Stunden vergehen mußten; dafür ist die Stelle aber auch von Sonderburg sehr weit entfernt. Satrup, wo der Übergang ein Vierteljahr später wirklich ausgeführt worden ist, liegt ziemlich nahe bei Sonderburg, dafür ist der Meeresarm aber auch nur sehr schmal.

Indem Meyer die Landung auf Sphakteria als ein Unternehmen hinstellt, das kaum mißglücken konnte, fällt nach seiner Ansicht das wesentliche Verdienst als ein rein technisches dem Demosthenes als dem ausführenden General zu.

»Kleons Anteil besteht nur darin, daß er ihm das Unternehmen möglich gemacht und die moralische Verantwortung dafür auf sich genommen hat.« Man kann das Wesen der Strategie nicht stärker verkennen. So groß das Verdienst des Demosthenes bei der Ausführung war, die eigentliche Tat bleibt doch immer die des Mannes, der den großen Entschluß faßte und die Verantwortung dafür trug und noch dazu Verstand und Menschenkenntnis genug besaß, sich den vorzüglichsten militärischen Techniker heranzuholen und ihm die praktische Gestaltung zu überlassen. Erst indem[117] man sich die ganze Bedeutung der Tat Kleons klarmacht, erkennt man nun auch die ganze Schwierigkeit des Problems: daß dieser selbe Mann dennoch nichts als ein frecher, brutaler Demagoge gewesen sein soll. Von Grote bis Lange hat man die Lösung darin gesucht, daß man die Persönlichkeit Kleons gehoben, das Urteil des Thucydides für ungerecht erklärt hat. Meyer, der mir darin beistimmt, daß Amphipolis die völlige Nichtigkeit Kleons dartue, sucht die Einheit der Persönlichkeit auf dem Wege, daß er seine Leistung bei Sphakteria reduziert. Das eine ist so falsch wie das andere. Kleon hat in Sphakteria wirklich eine große Tat getan, und es ist keineswegs meine Meinung, wie Meyer sie wiedergibt (S. 333), nur durch die Gunst der Umstände sei es ihm geglückt.

Wenn die Sache so einfach läge, warum hätte sie uns Thucydides dann nicht so erzählt? Weshalb spricht er nicht einfach dem Demosthenes das Verdienst zu, wie es Aristophanes getan hat? Warum setzt er uns in Verlegenheit, indem er Kleons Forderung erst für »toll« erklärt und unmittelbar darauf ihre glänzende Erfüllung erzählt? Ehe man Thucydides kritisiert, soll man ihn zu verstehen suchen, und ich freue mich, daß auch Meyer all die Verirrungen falscher moderner Gelehrsamkeit, die über den Kriegsplan des Perikles oder über die Ereignisse bei Amphipolis klüger urteilen wollte als der Meister, mit Entschiedenheit abweist. Auch der Punkt Kleon-Sphakteria aber muß festgehalten werden. Thucydides wußte sehr wohl, was er tat, wenn er dem Demagogen die objektive Tat nicht im geringsten schmälerte und uns den Mann selbst zugleich als einen nichts-nutzigen Poltron schilderte.

Gerade dieser Gegensatz macht erst aus Kleon den politischen Typus, als welcher er in der Geschichte fortlebt und fortzuleben verdient. Thucydides hätte es schwerlich der Mühe wert gehalten, uns den widerwärtigen Menschen so sorgfältig zu porträtieren, wenn sein Eingreifen so wenig bedeutsam, die Frucht von Sphakteria so leicht zu pflücken gewesen wäre. Ja, man darf noch einen Schritt weiter gehen und sagen, nicht nur Kleon, ganz Athen in der Zwischenzeit zwischen dem Tode des Perikles und dem Auftreten des Alcibiades verliert, was es uns politisch so interessant macht, wenn die Stadt damals so arm an politischer Tüchtigkeit, Charakter und Intelligenz war, wie wir nach Meyer annehmen müßten. Aber so war es durchaus nicht. Die Aufgabe, die Athen gestellt war, war vielmehr so groß und schwierig, daß nur ein ganz großer Mann ihr nach allen Seiten hätte gerecht werden können. Ein solcher Mann war nicht da, und so kam es, daß Kleon nicht nur eine Stellung gewinnen, sondern auch einmal eine wirklich große Tat tun konnte. Nicht anders darf Thucydides verstanden werden, und wer noch Zweifel in der Seele behält und sich auch durch meinen Kommentar in dem oben genannten Büchlein nicht befriedigt fühlt, dem kann ich nur den einen Rat geben: Clausewitz und immer wieder Clausewitz zu studieren, so lange, bis er den Thucydides verstanden haben wird. (Vgl. noch das folgende Kapitel, Exc. 6.)[118]

6. Bei Olpä 426 besiegt Demosthenes ein ambrakiotisch-peloponnesisches Heer, obgleich geringer an Zahl, indem er einen Hinterhalt legt, der den andern, als die Schlacht beginnt, in den Rücken fällt. Sehr selten begegnen wir solchen Mannövern.

7. Wie ein Vorspiel späterer Zeit erscheint die Schilderung, die Thucydides60 (IV, 93-96) von der Schlacht bei Delion (424) gibt. Beide Teile, Athener und Böotier, sind an Hopliten gleich stark, 7000 Mann; die Böotier haben überdies 10000 Ungewappnete, die Athener nur wenige, da die Masse, die sie ebenfalls bei sich hatten, schon vorweg abmarschiert ist. Die Böotier haben ferner 1000 Reiter, die Zahl der athenischen Reiter ist nicht genannt, jedenfalls waren es erheblich weniger als die Böotier; Athen besaß damals schwerlich mehr als 900 Reiter überhaupt, und von diesen waren natürlich nicht wenige nicht an dem Feldzug beteiligt, und 300 Reiter waren bei Delion zurückgelassen, um von da aus gegen den Rücken der Böotier zu operieren, wurden jedoch durch böotische Reiter in Schach gehalten.

Die ganze Masse der böotischen Ungewappneten hatte in der Schlacht gar keine Wirkung, da Waldbäche sie verhinderten, an den Feind zu kommen – doch wohl ein Zeichen, daß in den Ungewappneten die kriegerische Energie sehr gering war. Die Schlacht wird wie gewöhnlich geschlagen von den Hopliten. Die lathenischen Hopliten standen gleichmäßig 8 Mann tief, hatten also eine Front von etwa 880 Mann. Die Böotier standen in den verschiedenen Kontingenten verschieden, und zwar das Hauptkorps, die Thebaner, nicht weniger als 25 Mann tief. Die böotische Schlachtlinie muß also erheblich kürzer gewesen sein, als die athenische. Das wurde aber ausgeglichen durch die Überlegenheit der böotischen Reiterei.

Von einem eigentlichen Reitergefecht hören wir nichts. Die Athener siegten auf ihrem rechten Flügel und umfaßten dann herumschwenkend die weiter nach der Mitte stehenden Böotier, die schwere Verluste erlitten. Mittlerweile aber hatte der tiefe thebanische Schlachthaufen, in seiner Flanke gedeckt durch die Reiter, vielleicht auch durch das Terrain, den gegenüberstehenden linken athenischen Flügel zurückgedrückt, und als das Gefecht hier glücklich für die Böotier vorwärts ging, schickte der thebanische Feldherr Pagondas zwei Reiterabteilungen dem andern Flügel zu Hilfe, die durch ihr plötzliches Erscheinen die Athener in Schrecken setzten und auch hier die Schlacht zugunsten der Böotier entschieden. Bei der Verfolgung der fliehenden athenischen Hopliten kamen nun auch neben den Reitern die zahlreichen böotischen Ungewappneten zur Geltung und töteten sehr viele.

8. Über die Schlacht bei Amphipolis (422) habe ich eingehend in dem Anhang zu meinem Buche »Die Strategie des Perikles« gehandelt. Die Athener verloren das Gefecht durch die Unfähigkeit Kleons, der in seiner patzigen Gedankenlosigkeit das Heer einem Angriff aussetzte, als es[119] eben aus der Schlachtformation in die Marschformation übergegangen war. Die lacedämonischen Hopliten des Brasidas wurden durch Leichtbewaffnete und Reiter unterstützt.

9. In der Schlacht bei Mantinea (418) war das spartanische Heer wohl im ganzen 7-8000 Mann stark61 und den gegnerischen Mantineern, Argivern und Athenern um einiges überlegen. Von dieser Schlacht im besonderen berichtet uns Thucydides das eigentümliche Rechtsziehen. König Agis von Sparta wollte die Umklammerung seines linken Flügels verhindern und befahl diesem, sich von dem Zentrum loszulösen und nach links zu ziehen; in die Lücke sollten zwei überschießende Lochen vom rechten Flügel einrücken. Aber die Befehlhaber der beiden Lochen wollten ihren schönen Platz nicht verlassen und versagten den Gehorsam. So blieb der linke Flügel vom Gros getrennt, wurde von beiden Seiten umfaßt und geschlagen. Der rechte Flügel aber siegte in derselben Weise, und da dieser Sieg über einen viel größeren Teil des feindlichen Heeres erfochten wurde, gab er die Entscheidung; der rechte Flügel der Mantineer und Argiver wagte den Kampf nicht wieder aufzunehmen, als sich Agis gegen ihn wandte, und verließ das Schlachtfeld62.[120]

Thucydides hebt hervor, daß der Verlust des zuerst geschlagenen Flügels der Argiver und Athener viel größer geworden wäre, wenn nicht die athenische Reiterei ihm geholfen hätte. Auch die Spartaner hatten Reiter; wir hören aber nichts von einem Reitergefecht. Auch von Leichtbewaffnet ist nicht die Rede.

10. Thuc. VI, 64. Nikias will nicht zu Lande von Katana nach Syrakus marschieren, denn die Syrakusischen Reiter würden den »ιλοί und dem ὄχλος« unterwegs viel Schaden getan haben. Die Athener sind ohne Reiterei.

Sie nehmen bei Syrakus eine Stellung, wo ihnen die Reiter nicht viel schaden können. »Mauern, Häuser, Bäume, Sümpfe und Abhänge«, sagt Thucydides, »schützten sie.«

11. Sehr dunkel ist der Bericht des Thucydides (VI, 67) über die erste Schlacht bei Syrakus. Die Athener sollen nur die Hälfte ihres Heeres in die eigentliche Schlachtlinie gestellt, die anderen weiter rückwärts in einem Viereck aufgestellt haben, in dessen Mitte das Gepäck gebracht wurde; diese zweite Hälfte erhielt zugleich den Befehl, der ersten, wo es not tue, zu Hilfe zu kommen. Beide Phalangen waren 8 Mann tief. Wie sollen wir uns das Viereck mit dem Gepäck in der Mitte vorstellen? Weshalb überließ man nicht die Verteidigung des Gepäcks den massenhaften Leichtbewaffneten, über die man in der Schiffsmannschaft verfügte? An Hopliten war das Heer dem Gesamtaufgebot der Syrakusaner gegenüber ohnehin schwach.

Die Syrakusaner hatten eine doppelt so tiefe Phalanx als die Athener, 16 Mann und außerdem 1200 Reiter. Trotzdem siegten die Athener; die feindlichen Reiter leisteten nichts weiter, als daß sie die Verfolgung hemmten.

Die Historiker, GROTE, HOLM (Geschichte Siziliens im Altertum II, 26), haben, so viel ich sehe, die Thucydideische Erzählung immer einfach wiederholt, ohne auf die Fragen, die sie übrig läßt, einzugehen.

Trotz seines Sieges kehrte Nikias nach Katana zurück, da er ohne Reiterei nichts machen könne.

Daß die syrakusanische Reiterei, wenn sie auch in der Schlacht nichts leistete, doch die Verfolgung verhinderte, scheint sie über die persische zu stellen, die das bei Marathon nicht fertig brachte. Der Grund wird sein, daß die Syrakusaner sich eines unbedingt sicheren Rückzuges bewußt waren, während die persischen Reiter bei Marathon, als das Fußvolk die Flucht ergriff, von dem Gefühl beherrscht wurden, daß, wer jetzt nicht schnell in das Schiff gelange, verloren sei. Bei Platää kommt, falls ein Teil des persischen Heeres detachiert war, die große Überzahl der Griechen in Betracht, und ob nicht trotzdem die persische Reiterei die Verfolgung etwas gehemmt hat, wissen wir nicht.

12. Als Gylippos kam, fand er bald heraus, wie die Syrakusaner ihre Überlegenheit an Reiterei zu verwenden hätten. Er schickte sie mitsamt[121] seinen Speerschützen (Thucyd. VII, 6) den Athenern in die Flanke, während er sie in der Front mit Hopliten angriff, und die Athener wurden geschlagen.

13. Die Erzählung Diodors XIII, 72 von dem Zuge des Königs Agis gegen Athen im Jahre 408 enthält so viel Unverständliches oder Unglaubliches, daß sie geschichtlich kaum verwendet werden darf. Das Heer des Agis soll 14000 Hopliten, 14000 ψιλοὶ und 1200 Reiter stark gewesen sein. Die Phalanx war 4 Mann tief und 8 Stadien = 1500 Meter lang. Danach wäre also auf den Mann nur 43 Zentimeter Frontraum gekommen. Gleichzeitig aber soll das Heer zwei Drittel der athenischen Mauer umschlossen haben; dann müßte es sich also ganz im Gegensatz zu der gedrängtesten Aufstellung der Phalanx auf etwa 30 Stadien (3/4 Meilen) ausgedehnt haben, durch die ganze Ebene nördlich der Stadt bis über die Vorberge des Lykabettos hinüber. Die Athener sollen ihre Reiter zum Gefecht hinausgeschickt haben, die den Gegnern an Zahl gewachsen waren und sie besiegten – ist es denkbar, daß Athen noch im Jahre 408 plötzlich 1200 kampftüchtige Reiter vors Tor schicken konnte? Am anderen Tage soll sich das athenische Heer so dicht unter der Mauer zum Kampf aufgestellt haben, daß es durch die von oben entsendeten Geschosse gedeckt wurde. Wieviel Hopliten konnte denn Athen damals noch aufstellen, während eine große Flotte mit Alcibiades auswärts war? Sollten die Spartaner, die doch numerisch weit überlegen sein mußten, sich wirklich gescheut haben, die kurze Strecke des Pfeil- und Spießhagels vor der Mauer zu durcheilen, um dann den sicheren Sieg, der den an die Mauer gepreßten athenischen Hopliten den Untergang bringen mußte, zu erlangen? Sobald sie handgemein wurden, tat ihnen ja das Werfen und Schießen von oben nicht viel mehr Schaden als den Athenern, wenn die Mauerbesatzung es nicht überhaupt einstellte, um nicht die eigenen Leute zu treffen.

14. Die ausführliche Erzählung, die uns Thucydides von der Einschließung und Aushungerung Platääs im Peloponnesischen Kriege gibt, ist von MÜLLER-STRÜBING, Jahrb. f. Phil. Bd. 131 auf Grund der topographischen Verhältnisse angefochten, von HERM. WAGNER jedoch in dem Progr. d. Gymn. v. Dobberan 1892 und 1893 völlig retabliert worden.[122]

Quelle:
Hans Delbrück: Geschichte der Kriegskunst im Rahmen der politischen Geschichte. Berlin 1920, Teil 1, S. 113-123.
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